Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Parität

der westfälischen Mark. Ihnen allen wurde ihr Religionsbesitz garantiert. Bald
aber wurden Klagen laut über eine gar zu harte Ausübung des ^us circa
sacra in Ehesachen, Kulturangelegenheiten, Beschränkung der bischöflichen Gewalt
(deren Träger jenseits der Landesgrenzen wohnten), Säkularisierung der geistlichen
Güter, Bevorzugung der einheimischen (Reformierten) und der zugezogenen
Protestanten usw. Die Beamtenstellen wurden fast alle von altlündischen
Personen besetzt, und auch das mittlere und höhere Schulwesen war protestantischer
Art. Dies ist alles richtig, muß aber im Geiste der Zeit beurteilt werdeu. Parität
ist ein moderner Begriff, der alten wie der reformatorischen Kirche gleich fremd,
weder die "innerliche Konsequenz noch das angestrebte Ziel" der Reformation
(Kalk). Bei den reformiert gewordenen brandenburgischen Herrschern verloren
die Hofprediger und Konsistorien den politischen Einfluß. Dieser Umstand und
der Zuwachs an katholischen Untertanen machte den Großen Kurfürsten zum
Träger der paritätischen Staatsgewalt. Er gewährte allen Landesangehörigen
Gewissensfreiheit und Duldung mit Rücksicht auf die Staatsräson. Die trotz¬
dem vorhandenen Bedrückungen der Katholiken erschienen dein Kurfürsten nicht
als solche. Die unverbrüchlichen katholischen Lehren von der Heilsvermittelung
durch den Priester, die Treue und der Gehorsam gegen den Papst konnten keinen
Eindruck auf die machen, die im Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft
einer Welt von Feinden Trutz boten. Die Katholiken galten als unzuverlässig,
und ihr Aufgehen in die brandenburgisch-preußische Staatsidee schien fast
unmöglich.

Warum also solchen Leuten Rechte geben, sie fördern? Hieße das nicht
den mühsam zusammengeschweißten Staat äußerster Gefahr preisgeben?
Standen denn in Österreich, Bayern, den geistlichen Staaten, Frankreich usw.
die Protestanten nicht schlechter als die .Katholiken im Kurstaat? Mit dem
Erwerb Schlesiens kam zuerst ein katholischer Bischof als Untertan an die
Krone Preußens. Friedrich dein Großen schien die Nebenordnung der katholischen
Kirche gefährlich, es fehlte nicht nu Eingriffen ins kirchliche Leben und an
zahlreichen Abgaben an die damals mit großem Grundbesitz ausgestatteten
schlesischen Klöster. In Mittel- und Oberschlesien sollten Katholiken nur wenig,
in dem mehr protestantischen Niederschlesien aber gar nicht zu Staats- und
Gemeindeämtern gelangen. Es galt die uuter österreichischer Herrschaft bedrückten
Protestanten an das neue Staatswesen zu ketten. Allmühlich war der Geist
der Aufklärung in die protestantischen und katholischen höheren und mittleren
Kreise gedrungen. Was dein sechzehnte,! Jahrhundert unmöglich war, fing
damals an Gestalt zu nehmen: Vereinigung der getrennten Brüder auf der
Grundlage der Toleranz, Humanität und -- dogmatischer Gleichgültigkeit. Darum
regte auch die Säkularisierung der geistlichen Kurfürstentümer und Hochstifte
die Gemüter wenig auf. Dort gab es eiuen Überfluß an Insassen der Feld¬
klöster, Kollegialstifte und Klöster für Bettelmönche, dazu viele weibliche Religiösen.
Die adeligen Domherren nebst dem übrigen adeligen Klüngel (jetzt meist aus-


Parität

der westfälischen Mark. Ihnen allen wurde ihr Religionsbesitz garantiert. Bald
aber wurden Klagen laut über eine gar zu harte Ausübung des ^us circa
sacra in Ehesachen, Kulturangelegenheiten, Beschränkung der bischöflichen Gewalt
(deren Träger jenseits der Landesgrenzen wohnten), Säkularisierung der geistlichen
Güter, Bevorzugung der einheimischen (Reformierten) und der zugezogenen
Protestanten usw. Die Beamtenstellen wurden fast alle von altlündischen
Personen besetzt, und auch das mittlere und höhere Schulwesen war protestantischer
Art. Dies ist alles richtig, muß aber im Geiste der Zeit beurteilt werdeu. Parität
ist ein moderner Begriff, der alten wie der reformatorischen Kirche gleich fremd,
weder die „innerliche Konsequenz noch das angestrebte Ziel" der Reformation
(Kalk). Bei den reformiert gewordenen brandenburgischen Herrschern verloren
die Hofprediger und Konsistorien den politischen Einfluß. Dieser Umstand und
der Zuwachs an katholischen Untertanen machte den Großen Kurfürsten zum
Träger der paritätischen Staatsgewalt. Er gewährte allen Landesangehörigen
Gewissensfreiheit und Duldung mit Rücksicht auf die Staatsräson. Die trotz¬
dem vorhandenen Bedrückungen der Katholiken erschienen dein Kurfürsten nicht
als solche. Die unverbrüchlichen katholischen Lehren von der Heilsvermittelung
durch den Priester, die Treue und der Gehorsam gegen den Papst konnten keinen
Eindruck auf die machen, die im Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft
einer Welt von Feinden Trutz boten. Die Katholiken galten als unzuverlässig,
und ihr Aufgehen in die brandenburgisch-preußische Staatsidee schien fast
unmöglich.

Warum also solchen Leuten Rechte geben, sie fördern? Hieße das nicht
den mühsam zusammengeschweißten Staat äußerster Gefahr preisgeben?
Standen denn in Österreich, Bayern, den geistlichen Staaten, Frankreich usw.
die Protestanten nicht schlechter als die .Katholiken im Kurstaat? Mit dem
Erwerb Schlesiens kam zuerst ein katholischer Bischof als Untertan an die
Krone Preußens. Friedrich dein Großen schien die Nebenordnung der katholischen
Kirche gefährlich, es fehlte nicht nu Eingriffen ins kirchliche Leben und an
zahlreichen Abgaben an die damals mit großem Grundbesitz ausgestatteten
schlesischen Klöster. In Mittel- und Oberschlesien sollten Katholiken nur wenig,
in dem mehr protestantischen Niederschlesien aber gar nicht zu Staats- und
Gemeindeämtern gelangen. Es galt die uuter österreichischer Herrschaft bedrückten
Protestanten an das neue Staatswesen zu ketten. Allmühlich war der Geist
der Aufklärung in die protestantischen und katholischen höheren und mittleren
Kreise gedrungen. Was dein sechzehnte,! Jahrhundert unmöglich war, fing
damals an Gestalt zu nehmen: Vereinigung der getrennten Brüder auf der
Grundlage der Toleranz, Humanität und — dogmatischer Gleichgültigkeit. Darum
regte auch die Säkularisierung der geistlichen Kurfürstentümer und Hochstifte
die Gemüter wenig auf. Dort gab es eiuen Überfluß an Insassen der Feld¬
klöster, Kollegialstifte und Klöster für Bettelmönche, dazu viele weibliche Religiösen.
Die adeligen Domherren nebst dem übrigen adeligen Klüngel (jetzt meist aus-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315251"/>
          <fw type="header" place="top"> Parität</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_985" prev="#ID_984"> der westfälischen Mark.  Ihnen allen wurde ihr Religionsbesitz garantiert. Bald<lb/>
aber wurden Klagen laut über eine gar zu harte Ausübung des ^us circa<lb/>
sacra in Ehesachen, Kulturangelegenheiten, Beschränkung der bischöflichen Gewalt<lb/>
(deren Träger jenseits der Landesgrenzen wohnten), Säkularisierung der geistlichen<lb/>
Güter, Bevorzugung der einheimischen (Reformierten) und der zugezogenen<lb/>
Protestanten usw.  Die Beamtenstellen wurden fast alle von altlündischen<lb/>
Personen besetzt, und auch das mittlere und höhere Schulwesen war protestantischer<lb/>
Art. Dies ist alles richtig, muß aber im Geiste der Zeit beurteilt werdeu. Parität<lb/>
ist ein moderner Begriff, der alten wie der reformatorischen Kirche gleich fremd,<lb/>
weder die &#x201E;innerliche Konsequenz noch das angestrebte Ziel" der Reformation<lb/>
(Kalk).  Bei den reformiert gewordenen brandenburgischen Herrschern verloren<lb/>
die Hofprediger und Konsistorien den politischen Einfluß.  Dieser Umstand und<lb/>
der Zuwachs an katholischen Untertanen machte den Großen Kurfürsten zum<lb/>
Träger der paritätischen Staatsgewalt.  Er gewährte allen Landesangehörigen<lb/>
Gewissensfreiheit und Duldung mit Rücksicht auf die Staatsräson.  Die trotz¬<lb/>
dem vorhandenen Bedrückungen der Katholiken erschienen dein Kurfürsten nicht<lb/>
als solche.  Die unverbrüchlichen katholischen Lehren von der Heilsvermittelung<lb/>
durch den Priester, die Treue und der Gehorsam gegen den Papst konnten keinen<lb/>
Eindruck auf die machen, die im Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft<lb/>
einer Welt von Feinden Trutz boten.  Die Katholiken galten als unzuverlässig,<lb/>
und ihr Aufgehen in die brandenburgisch-preußische Staatsidee schien fast<lb/>
unmöglich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_986" next="#ID_987"> Warum also solchen Leuten Rechte geben, sie fördern? Hieße das nicht<lb/>
den mühsam zusammengeschweißten Staat äußerster Gefahr preisgeben?<lb/>
Standen denn in Österreich, Bayern, den geistlichen Staaten, Frankreich usw.<lb/>
die Protestanten nicht schlechter als die .Katholiken im Kurstaat? Mit dem<lb/>
Erwerb Schlesiens kam zuerst ein katholischer Bischof als Untertan an die<lb/>
Krone Preußens. Friedrich dein Großen schien die Nebenordnung der katholischen<lb/>
Kirche gefährlich, es fehlte nicht nu Eingriffen ins kirchliche Leben und an<lb/>
zahlreichen Abgaben an die damals mit großem Grundbesitz ausgestatteten<lb/>
schlesischen Klöster. In Mittel- und Oberschlesien sollten Katholiken nur wenig,<lb/>
in dem mehr protestantischen Niederschlesien aber gar nicht zu Staats- und<lb/>
Gemeindeämtern gelangen. Es galt die uuter österreichischer Herrschaft bedrückten<lb/>
Protestanten an das neue Staatswesen zu ketten. Allmühlich war der Geist<lb/>
der Aufklärung in die protestantischen und katholischen höheren und mittleren<lb/>
Kreise gedrungen. Was dein sechzehnte,! Jahrhundert unmöglich war, fing<lb/>
damals an Gestalt zu nehmen: Vereinigung der getrennten Brüder auf der<lb/>
Grundlage der Toleranz, Humanität und &#x2014; dogmatischer Gleichgültigkeit. Darum<lb/>
regte auch die Säkularisierung der geistlichen Kurfürstentümer und Hochstifte<lb/>
die Gemüter wenig auf. Dort gab es eiuen Überfluß an Insassen der Feld¬<lb/>
klöster, Kollegialstifte und Klöster für Bettelmönche, dazu viele weibliche Religiösen.<lb/>
Die adeligen Domherren nebst dem übrigen adeligen Klüngel (jetzt meist aus-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0254] Parität der westfälischen Mark. Ihnen allen wurde ihr Religionsbesitz garantiert. Bald aber wurden Klagen laut über eine gar zu harte Ausübung des ^us circa sacra in Ehesachen, Kulturangelegenheiten, Beschränkung der bischöflichen Gewalt (deren Träger jenseits der Landesgrenzen wohnten), Säkularisierung der geistlichen Güter, Bevorzugung der einheimischen (Reformierten) und der zugezogenen Protestanten usw. Die Beamtenstellen wurden fast alle von altlündischen Personen besetzt, und auch das mittlere und höhere Schulwesen war protestantischer Art. Dies ist alles richtig, muß aber im Geiste der Zeit beurteilt werdeu. Parität ist ein moderner Begriff, der alten wie der reformatorischen Kirche gleich fremd, weder die „innerliche Konsequenz noch das angestrebte Ziel" der Reformation (Kalk). Bei den reformiert gewordenen brandenburgischen Herrschern verloren die Hofprediger und Konsistorien den politischen Einfluß. Dieser Umstand und der Zuwachs an katholischen Untertanen machte den Großen Kurfürsten zum Träger der paritätischen Staatsgewalt. Er gewährte allen Landesangehörigen Gewissensfreiheit und Duldung mit Rücksicht auf die Staatsräson. Die trotz¬ dem vorhandenen Bedrückungen der Katholiken erschienen dein Kurfürsten nicht als solche. Die unverbrüchlichen katholischen Lehren von der Heilsvermittelung durch den Priester, die Treue und der Gehorsam gegen den Papst konnten keinen Eindruck auf die machen, die im Vertrauen auf Gott und die eigene Kraft einer Welt von Feinden Trutz boten. Die Katholiken galten als unzuverlässig, und ihr Aufgehen in die brandenburgisch-preußische Staatsidee schien fast unmöglich. Warum also solchen Leuten Rechte geben, sie fördern? Hieße das nicht den mühsam zusammengeschweißten Staat äußerster Gefahr preisgeben? Standen denn in Österreich, Bayern, den geistlichen Staaten, Frankreich usw. die Protestanten nicht schlechter als die .Katholiken im Kurstaat? Mit dem Erwerb Schlesiens kam zuerst ein katholischer Bischof als Untertan an die Krone Preußens. Friedrich dein Großen schien die Nebenordnung der katholischen Kirche gefährlich, es fehlte nicht nu Eingriffen ins kirchliche Leben und an zahlreichen Abgaben an die damals mit großem Grundbesitz ausgestatteten schlesischen Klöster. In Mittel- und Oberschlesien sollten Katholiken nur wenig, in dem mehr protestantischen Niederschlesien aber gar nicht zu Staats- und Gemeindeämtern gelangen. Es galt die uuter österreichischer Herrschaft bedrückten Protestanten an das neue Staatswesen zu ketten. Allmühlich war der Geist der Aufklärung in die protestantischen und katholischen höheren und mittleren Kreise gedrungen. Was dein sechzehnte,! Jahrhundert unmöglich war, fing damals an Gestalt zu nehmen: Vereinigung der getrennten Brüder auf der Grundlage der Toleranz, Humanität und — dogmatischer Gleichgültigkeit. Darum regte auch die Säkularisierung der geistlichen Kurfürstentümer und Hochstifte die Gemüter wenig auf. Dort gab es eiuen Überfluß an Insassen der Feld¬ klöster, Kollegialstifte und Klöster für Bettelmönche, dazu viele weibliche Religiösen. Die adeligen Domherren nebst dem übrigen adeligen Klüngel (jetzt meist aus-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/254
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/254>, abgerufen am 24.07.2024.