Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

verschuldet ist. Zweifellos hat er damit bis zu einem gewissen Grade recht.
Wenn man nicht weiß, wie die Dinge draußen liegen, dann empfindet man auch
nicht das Bedürfnis, auf ihre Gestaltung einzuwirken. Und tatsächlich war das
planmäßige Studium der Verhältnisse des Landes durch die Beamten des alten
Staats die Grundlage für ihre gewaltigen Leistungen. Aber diese Verkümmerung der
Verwaltungsmethode kann nicht die einzige Ursache gewesen sein. Wie man
aus den Erinnerungen des Ministers vou Delbrück und der Darstellung von
Treitschke ersehen kann, trat der Mangel an schöpferischen Unternehmungsgeist
in der preußischen Verwaltung schon früh, in den zwanziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts hervor, oder in einer Zeit, wo die alte Verwaltnngsmethode
noch geübt wurde. Andrerseits ist ein kräftiges schöpferisches Vorgehen zwar so
selten geworden, daß man in dieser Erscheinung ein allgemeines Gebrechen
erblicken darf und muß. Indessen gab und gibt es glücklicherweise immer noch
Ausnahmen. Derartige Beobachtungen weisen auf die letzte Ursache dieser
Erscheinung hin; es sind wiederum persönliche Unzulänglichkeiten, die den
Mangel an schöpferischer Tatkraft erklären und herbeiführen.

Erst recht gilt dies von einer weitem Erscheinung, die unsrer Verwaltung
wahrlich nicht zum Ruhme gereicht, aber für die Verhältnisse darin besonders
bezeichnend ist. Es fehlt der Verwaltung nicht nur an selbständiger Unter-
uehmungskraft, sondern überhaupt an Tatkraft anch gegenüber den Dingen,
die an sie ohne ihr Zutun herantreten. Es ist gradezu unheimlich, welche
Schwäche jetzt überall herrscht, nicht bloß im Wollen und Handeln, sondern
auch in der Auffassung. Daran, daß die Verwaltung vor allem den Staats¬
gedanken zu verkörpern und zu vertreten hat und daß der Staat Macht ist,
merkt man bei uns nicht viel. Man ist ängstlich bemüht, eigne Ansichten zu
unterdrücken, -- nach oben und nach unten und erst recht nach anßen. Über
die gröbsten Beschimpfungen der Verwaltung und ihrer Vertreter geht man
hinweg. Die Fähigkeit, einmal an der rechten Stelle grob zu werden oder
unerfüllbaren Ansprüchen gegenüber ein festes Nein zu sprechen, ist längst ver¬
schwunden. Anscheinend hat man in den weitesten Kreisen der Verwaltung kein
Gefühl mehr dafür, daß, wie ein bekanntes Wort Wilhelms von Humboldt
sagt, die Energie die erste aller Tugenden ist, und daß, um mit Ranke zu
reden, nichts echtes Leben hat, das nicht von der Energie ausgeht. Unser
Ideal ist jetzt "die mittlere Linie".

Ich bin wirklich kein Berserker und weiß genau, daß nur heutzutage nicht
mehr verfahren könnten wie Friedrich Wilhelm der Erste. Aber Rücksichten
und Nachgiebigkeit müssen doch da, wo das Staatswohl aus dem Spiele steht,
ihre Greuzen haben; hier sind sie schon weit überschritten. Wer es nicht selbst
erlebt hat, glaubt z. B. gar nicht, was sich oft Beamte in untergeordneten
Stellungen, etwa kleine Bürgermeister, und nun gar erst Landräte oder Ober¬
bürgermeister, die irgendwelchen Rückhalt haben, vielleicht dein Landtag an¬
gehören, gegen ihre nächsten Vorgesetzten, oder sonstige Abgeordnete oder Vertreter


Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

verschuldet ist. Zweifellos hat er damit bis zu einem gewissen Grade recht.
Wenn man nicht weiß, wie die Dinge draußen liegen, dann empfindet man auch
nicht das Bedürfnis, auf ihre Gestaltung einzuwirken. Und tatsächlich war das
planmäßige Studium der Verhältnisse des Landes durch die Beamten des alten
Staats die Grundlage für ihre gewaltigen Leistungen. Aber diese Verkümmerung der
Verwaltungsmethode kann nicht die einzige Ursache gewesen sein. Wie man
aus den Erinnerungen des Ministers vou Delbrück und der Darstellung von
Treitschke ersehen kann, trat der Mangel an schöpferischen Unternehmungsgeist
in der preußischen Verwaltung schon früh, in den zwanziger Jahren des vorigen
Jahrhunderts hervor, oder in einer Zeit, wo die alte Verwaltnngsmethode
noch geübt wurde. Andrerseits ist ein kräftiges schöpferisches Vorgehen zwar so
selten geworden, daß man in dieser Erscheinung ein allgemeines Gebrechen
erblicken darf und muß. Indessen gab und gibt es glücklicherweise immer noch
Ausnahmen. Derartige Beobachtungen weisen auf die letzte Ursache dieser
Erscheinung hin; es sind wiederum persönliche Unzulänglichkeiten, die den
Mangel an schöpferischer Tatkraft erklären und herbeiführen.

Erst recht gilt dies von einer weitem Erscheinung, die unsrer Verwaltung
wahrlich nicht zum Ruhme gereicht, aber für die Verhältnisse darin besonders
bezeichnend ist. Es fehlt der Verwaltung nicht nur an selbständiger Unter-
uehmungskraft, sondern überhaupt an Tatkraft anch gegenüber den Dingen,
die an sie ohne ihr Zutun herantreten. Es ist gradezu unheimlich, welche
Schwäche jetzt überall herrscht, nicht bloß im Wollen und Handeln, sondern
auch in der Auffassung. Daran, daß die Verwaltung vor allem den Staats¬
gedanken zu verkörpern und zu vertreten hat und daß der Staat Macht ist,
merkt man bei uns nicht viel. Man ist ängstlich bemüht, eigne Ansichten zu
unterdrücken, — nach oben und nach unten und erst recht nach anßen. Über
die gröbsten Beschimpfungen der Verwaltung und ihrer Vertreter geht man
hinweg. Die Fähigkeit, einmal an der rechten Stelle grob zu werden oder
unerfüllbaren Ansprüchen gegenüber ein festes Nein zu sprechen, ist längst ver¬
schwunden. Anscheinend hat man in den weitesten Kreisen der Verwaltung kein
Gefühl mehr dafür, daß, wie ein bekanntes Wort Wilhelms von Humboldt
sagt, die Energie die erste aller Tugenden ist, und daß, um mit Ranke zu
reden, nichts echtes Leben hat, das nicht von der Energie ausgeht. Unser
Ideal ist jetzt „die mittlere Linie".

Ich bin wirklich kein Berserker und weiß genau, daß nur heutzutage nicht
mehr verfahren könnten wie Friedrich Wilhelm der Erste. Aber Rücksichten
und Nachgiebigkeit müssen doch da, wo das Staatswohl aus dem Spiele steht,
ihre Greuzen haben; hier sind sie schon weit überschritten. Wer es nicht selbst
erlebt hat, glaubt z. B. gar nicht, was sich oft Beamte in untergeordneten
Stellungen, etwa kleine Bürgermeister, und nun gar erst Landräte oder Ober¬
bürgermeister, die irgendwelchen Rückhalt haben, vielleicht dein Landtag an¬
gehören, gegen ihre nächsten Vorgesetzten, oder sonstige Abgeordnete oder Vertreter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0220" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315217"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_835" prev="#ID_834"> verschuldet ist. Zweifellos hat er damit bis zu einem gewissen Grade recht.<lb/>
Wenn man nicht weiß, wie die Dinge draußen liegen, dann empfindet man auch<lb/>
nicht das Bedürfnis, auf ihre Gestaltung einzuwirken. Und tatsächlich war das<lb/>
planmäßige Studium der Verhältnisse des Landes durch die Beamten des alten<lb/>
Staats die Grundlage für ihre gewaltigen Leistungen. Aber diese Verkümmerung der<lb/>
Verwaltungsmethode kann nicht die einzige Ursache gewesen sein. Wie man<lb/>
aus den Erinnerungen des Ministers vou Delbrück und der Darstellung von<lb/>
Treitschke ersehen kann, trat der Mangel an schöpferischen Unternehmungsgeist<lb/>
in der preußischen Verwaltung schon früh, in den zwanziger Jahren des vorigen<lb/>
Jahrhunderts hervor, oder in einer Zeit, wo die alte Verwaltnngsmethode<lb/>
noch geübt wurde. Andrerseits ist ein kräftiges schöpferisches Vorgehen zwar so<lb/>
selten geworden, daß man in dieser Erscheinung ein allgemeines Gebrechen<lb/>
erblicken darf und muß. Indessen gab und gibt es glücklicherweise immer noch<lb/>
Ausnahmen. Derartige Beobachtungen weisen auf die letzte Ursache dieser<lb/>
Erscheinung hin; es sind wiederum persönliche Unzulänglichkeiten, die den<lb/>
Mangel an schöpferischer Tatkraft erklären und herbeiführen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_836"> Erst recht gilt dies von einer weitem Erscheinung, die unsrer Verwaltung<lb/>
wahrlich nicht zum Ruhme gereicht, aber für die Verhältnisse darin besonders<lb/>
bezeichnend ist. Es fehlt der Verwaltung nicht nur an selbständiger Unter-<lb/>
uehmungskraft, sondern überhaupt an Tatkraft anch gegenüber den Dingen,<lb/>
die an sie ohne ihr Zutun herantreten. Es ist gradezu unheimlich, welche<lb/>
Schwäche jetzt überall herrscht, nicht bloß im Wollen und Handeln, sondern<lb/>
auch in der Auffassung. Daran, daß die Verwaltung vor allem den Staats¬<lb/>
gedanken zu verkörpern und zu vertreten hat und daß der Staat Macht ist,<lb/>
merkt man bei uns nicht viel. Man ist ängstlich bemüht, eigne Ansichten zu<lb/>
unterdrücken, &#x2014; nach oben und nach unten und erst recht nach anßen. Über<lb/>
die gröbsten Beschimpfungen der Verwaltung und ihrer Vertreter geht man<lb/>
hinweg. Die Fähigkeit, einmal an der rechten Stelle grob zu werden oder<lb/>
unerfüllbaren Ansprüchen gegenüber ein festes Nein zu sprechen, ist längst ver¬<lb/>
schwunden. Anscheinend hat man in den weitesten Kreisen der Verwaltung kein<lb/>
Gefühl mehr dafür, daß, wie ein bekanntes Wort Wilhelms von Humboldt<lb/>
sagt, die Energie die erste aller Tugenden ist, und daß, um mit Ranke zu<lb/>
reden, nichts echtes Leben hat, das nicht von der Energie ausgeht. Unser<lb/>
Ideal ist jetzt &#x201E;die mittlere Linie".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_837" next="#ID_838"> Ich bin wirklich kein Berserker und weiß genau, daß nur heutzutage nicht<lb/>
mehr verfahren könnten wie Friedrich Wilhelm der Erste. Aber Rücksichten<lb/>
und Nachgiebigkeit müssen doch da, wo das Staatswohl aus dem Spiele steht,<lb/>
ihre Greuzen haben; hier sind sie schon weit überschritten. Wer es nicht selbst<lb/>
erlebt hat, glaubt z. B. gar nicht, was sich oft Beamte in untergeordneten<lb/>
Stellungen, etwa kleine Bürgermeister, und nun gar erst Landräte oder Ober¬<lb/>
bürgermeister, die irgendwelchen Rückhalt haben, vielleicht dein Landtag an¬<lb/>
gehören, gegen ihre nächsten Vorgesetzten, oder sonstige Abgeordnete oder Vertreter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0220] Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung verschuldet ist. Zweifellos hat er damit bis zu einem gewissen Grade recht. Wenn man nicht weiß, wie die Dinge draußen liegen, dann empfindet man auch nicht das Bedürfnis, auf ihre Gestaltung einzuwirken. Und tatsächlich war das planmäßige Studium der Verhältnisse des Landes durch die Beamten des alten Staats die Grundlage für ihre gewaltigen Leistungen. Aber diese Verkümmerung der Verwaltungsmethode kann nicht die einzige Ursache gewesen sein. Wie man aus den Erinnerungen des Ministers vou Delbrück und der Darstellung von Treitschke ersehen kann, trat der Mangel an schöpferischen Unternehmungsgeist in der preußischen Verwaltung schon früh, in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hervor, oder in einer Zeit, wo die alte Verwaltnngsmethode noch geübt wurde. Andrerseits ist ein kräftiges schöpferisches Vorgehen zwar so selten geworden, daß man in dieser Erscheinung ein allgemeines Gebrechen erblicken darf und muß. Indessen gab und gibt es glücklicherweise immer noch Ausnahmen. Derartige Beobachtungen weisen auf die letzte Ursache dieser Erscheinung hin; es sind wiederum persönliche Unzulänglichkeiten, die den Mangel an schöpferischer Tatkraft erklären und herbeiführen. Erst recht gilt dies von einer weitem Erscheinung, die unsrer Verwaltung wahrlich nicht zum Ruhme gereicht, aber für die Verhältnisse darin besonders bezeichnend ist. Es fehlt der Verwaltung nicht nur an selbständiger Unter- uehmungskraft, sondern überhaupt an Tatkraft anch gegenüber den Dingen, die an sie ohne ihr Zutun herantreten. Es ist gradezu unheimlich, welche Schwäche jetzt überall herrscht, nicht bloß im Wollen und Handeln, sondern auch in der Auffassung. Daran, daß die Verwaltung vor allem den Staats¬ gedanken zu verkörpern und zu vertreten hat und daß der Staat Macht ist, merkt man bei uns nicht viel. Man ist ängstlich bemüht, eigne Ansichten zu unterdrücken, — nach oben und nach unten und erst recht nach anßen. Über die gröbsten Beschimpfungen der Verwaltung und ihrer Vertreter geht man hinweg. Die Fähigkeit, einmal an der rechten Stelle grob zu werden oder unerfüllbaren Ansprüchen gegenüber ein festes Nein zu sprechen, ist längst ver¬ schwunden. Anscheinend hat man in den weitesten Kreisen der Verwaltung kein Gefühl mehr dafür, daß, wie ein bekanntes Wort Wilhelms von Humboldt sagt, die Energie die erste aller Tugenden ist, und daß, um mit Ranke zu reden, nichts echtes Leben hat, das nicht von der Energie ausgeht. Unser Ideal ist jetzt „die mittlere Linie". Ich bin wirklich kein Berserker und weiß genau, daß nur heutzutage nicht mehr verfahren könnten wie Friedrich Wilhelm der Erste. Aber Rücksichten und Nachgiebigkeit müssen doch da, wo das Staatswohl aus dem Spiele steht, ihre Greuzen haben; hier sind sie schon weit überschritten. Wer es nicht selbst erlebt hat, glaubt z. B. gar nicht, was sich oft Beamte in untergeordneten Stellungen, etwa kleine Bürgermeister, und nun gar erst Landräte oder Ober¬ bürgermeister, die irgendwelchen Rückhalt haben, vielleicht dein Landtag an¬ gehören, gegen ihre nächsten Vorgesetzten, oder sonstige Abgeordnete oder Vertreter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/220
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/220>, abgerufen am 22.12.2024.