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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Diese Entwicklung hängt am letzten Ende mit den mehrfach erwähnten
Veränderungen in den allgemeinen Verhältnissen zusammen, die die Verwaltungs-
geschüfte stark vermehrten, erschwerten und verfeinerten. Das zwang zur Ver¬
größerung der Behörden durch Vermehnmg der Beamten und damit natürlich
auch zur Zersplitterung der Referate und Dezernate und weiter zur Vermehrung
der technischen Beamten. Während die Regierungsinstruktion von 1817
nur Forst-, Schul-, Medizinal- und Bauräte kennt, gibt es jetzt bei allen
Regierungen noch Gewerberüte und Departementstierärzte und an mehreren
außerdem uoch Gewerbeschulrüte für das gewerbliche Schulwesen und Kassen¬
inspektoren für die Bearbeitung der technischen Kassensachen. Es ist nur eine
Frage einer kurzen Zeit, daß diese neuen Beamten auch an allen andern
Regierungen vertreten sein werden. Insofern liegen also bis zu einem gewissen
Grade sachliche Gründe für die Entstehung und Weiterbildung des Spezialistentums
vor. Aber ganz läßt es sich so nicht erklären; es haben auch persönliche Gründe
mitgewirkt. Namentlich waren solche für die Einführung der Kasseninspektoren
maßgebend, womit den höhern Beamten ein Tätigkeitsgebiet entzogen wurde,
auf dem Hervorragendes zu leisten immerdar der Stolz und der Ruhm unsrer
Amtsvorgänger gewesen waren.

Jedenfalls sind die Folgen diese? Spezialistentums unerfreulich. Es ist
klar, daß die Beschäftigung mit einen: engbegrenzten Gebiet einseitig machen
muß und das Verständnis für andres einschränkt, die Arbeitsfreudigkeit beeiuttächtigt
und damit die Arbeitsleistungen verschlechtert, auch den innern Zusammenhang
der Behörden lockert und so an die Stelle der frühern groß angelegten Gesamtarbeit
zersplitterte Einzelarbeit setzt. Auch führt ein solches ausartendes Spezialistentum
häufig für manche Beamte zu einer weitern Verminderung der lebendigen
Anschauung von Land und Leuten, da kurzsichtige Vorgesetzte nur zu leicht
geneigt sind, die Dieustreiseu der Verwaltungsbeamten zugunsten ihrer technischen
Mitarbeiter mehr einzuschränken, als nötig und gut ist. Diese Gefahren des
Spezialistentums drohen selbst solchen Beamten, die durch eine allseitige Aus¬
bildung und Schulung den ganzen Umkreis der Verwaltung einmal kennen
gelernt haben. Man kann sich also denken, wie es den Beamten ergeht, die
eine solche Ausbildung nicht hatten, sondern von vornherein in engbegrenzten
Wirkungskreisen tätig sein müssen, z. B. den Juristen, die aus der Justiz¬
verwaltung unmittelbar in Zentral- oder sonstige höhere Behörden kommen. --

Einen andern Mißstand findet von Massow darin, daß der heutigen Ver¬
waltung die Initiative und Offensive vollständig verloren gegangen sei. Sie
leite und führe uicht mehr, sie sei vielmehr uur noch Geschäftsstelle. Wie die
Post auf Briefe und Pakete, so warte sie, bis Wünsche und Anträge an sie
heranträten. Und es ist in der Tat so, daß diese unentbehrliche Voraussetzung
einer gedeihlichen Verwaltungstätigkeit fast vollständig zu vermissen ist.

Geheimrat von Massow findet den Grund dafür in der Unbekanntschaft
mit den Verhältnissen, die durch die Veränderung in der Verwaltungsmethode


Diese Entwicklung hängt am letzten Ende mit den mehrfach erwähnten
Veränderungen in den allgemeinen Verhältnissen zusammen, die die Verwaltungs-
geschüfte stark vermehrten, erschwerten und verfeinerten. Das zwang zur Ver¬
größerung der Behörden durch Vermehnmg der Beamten und damit natürlich
auch zur Zersplitterung der Referate und Dezernate und weiter zur Vermehrung
der technischen Beamten. Während die Regierungsinstruktion von 1817
nur Forst-, Schul-, Medizinal- und Bauräte kennt, gibt es jetzt bei allen
Regierungen noch Gewerberüte und Departementstierärzte und an mehreren
außerdem uoch Gewerbeschulrüte für das gewerbliche Schulwesen und Kassen¬
inspektoren für die Bearbeitung der technischen Kassensachen. Es ist nur eine
Frage einer kurzen Zeit, daß diese neuen Beamten auch an allen andern
Regierungen vertreten sein werden. Insofern liegen also bis zu einem gewissen
Grade sachliche Gründe für die Entstehung und Weiterbildung des Spezialistentums
vor. Aber ganz läßt es sich so nicht erklären; es haben auch persönliche Gründe
mitgewirkt. Namentlich waren solche für die Einführung der Kasseninspektoren
maßgebend, womit den höhern Beamten ein Tätigkeitsgebiet entzogen wurde,
auf dem Hervorragendes zu leisten immerdar der Stolz und der Ruhm unsrer
Amtsvorgänger gewesen waren.

Jedenfalls sind die Folgen diese? Spezialistentums unerfreulich. Es ist
klar, daß die Beschäftigung mit einen: engbegrenzten Gebiet einseitig machen
muß und das Verständnis für andres einschränkt, die Arbeitsfreudigkeit beeiuttächtigt
und damit die Arbeitsleistungen verschlechtert, auch den innern Zusammenhang
der Behörden lockert und so an die Stelle der frühern groß angelegten Gesamtarbeit
zersplitterte Einzelarbeit setzt. Auch führt ein solches ausartendes Spezialistentum
häufig für manche Beamte zu einer weitern Verminderung der lebendigen
Anschauung von Land und Leuten, da kurzsichtige Vorgesetzte nur zu leicht
geneigt sind, die Dieustreiseu der Verwaltungsbeamten zugunsten ihrer technischen
Mitarbeiter mehr einzuschränken, als nötig und gut ist. Diese Gefahren des
Spezialistentums drohen selbst solchen Beamten, die durch eine allseitige Aus¬
bildung und Schulung den ganzen Umkreis der Verwaltung einmal kennen
gelernt haben. Man kann sich also denken, wie es den Beamten ergeht, die
eine solche Ausbildung nicht hatten, sondern von vornherein in engbegrenzten
Wirkungskreisen tätig sein müssen, z. B. den Juristen, die aus der Justiz¬
verwaltung unmittelbar in Zentral- oder sonstige höhere Behörden kommen. —

Einen andern Mißstand findet von Massow darin, daß der heutigen Ver¬
waltung die Initiative und Offensive vollständig verloren gegangen sei. Sie
leite und führe uicht mehr, sie sei vielmehr uur noch Geschäftsstelle. Wie die
Post auf Briefe und Pakete, so warte sie, bis Wünsche und Anträge an sie
heranträten. Und es ist in der Tat so, daß diese unentbehrliche Voraussetzung
einer gedeihlichen Verwaltungstätigkeit fast vollständig zu vermissen ist.

Geheimrat von Massow findet den Grund dafür in der Unbekanntschaft
mit den Verhältnissen, die durch die Veränderung in der Verwaltungsmethode


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[0219] Diese Entwicklung hängt am letzten Ende mit den mehrfach erwähnten Veränderungen in den allgemeinen Verhältnissen zusammen, die die Verwaltungs- geschüfte stark vermehrten, erschwerten und verfeinerten. Das zwang zur Ver¬ größerung der Behörden durch Vermehnmg der Beamten und damit natürlich auch zur Zersplitterung der Referate und Dezernate und weiter zur Vermehrung der technischen Beamten. Während die Regierungsinstruktion von 1817 nur Forst-, Schul-, Medizinal- und Bauräte kennt, gibt es jetzt bei allen Regierungen noch Gewerberüte und Departementstierärzte und an mehreren außerdem uoch Gewerbeschulrüte für das gewerbliche Schulwesen und Kassen¬ inspektoren für die Bearbeitung der technischen Kassensachen. Es ist nur eine Frage einer kurzen Zeit, daß diese neuen Beamten auch an allen andern Regierungen vertreten sein werden. Insofern liegen also bis zu einem gewissen Grade sachliche Gründe für die Entstehung und Weiterbildung des Spezialistentums vor. Aber ganz läßt es sich so nicht erklären; es haben auch persönliche Gründe mitgewirkt. Namentlich waren solche für die Einführung der Kasseninspektoren maßgebend, womit den höhern Beamten ein Tätigkeitsgebiet entzogen wurde, auf dem Hervorragendes zu leisten immerdar der Stolz und der Ruhm unsrer Amtsvorgänger gewesen waren. Jedenfalls sind die Folgen diese? Spezialistentums unerfreulich. Es ist klar, daß die Beschäftigung mit einen: engbegrenzten Gebiet einseitig machen muß und das Verständnis für andres einschränkt, die Arbeitsfreudigkeit beeiuttächtigt und damit die Arbeitsleistungen verschlechtert, auch den innern Zusammenhang der Behörden lockert und so an die Stelle der frühern groß angelegten Gesamtarbeit zersplitterte Einzelarbeit setzt. Auch führt ein solches ausartendes Spezialistentum häufig für manche Beamte zu einer weitern Verminderung der lebendigen Anschauung von Land und Leuten, da kurzsichtige Vorgesetzte nur zu leicht geneigt sind, die Dieustreiseu der Verwaltungsbeamten zugunsten ihrer technischen Mitarbeiter mehr einzuschränken, als nötig und gut ist. Diese Gefahren des Spezialistentums drohen selbst solchen Beamten, die durch eine allseitige Aus¬ bildung und Schulung den ganzen Umkreis der Verwaltung einmal kennen gelernt haben. Man kann sich also denken, wie es den Beamten ergeht, die eine solche Ausbildung nicht hatten, sondern von vornherein in engbegrenzten Wirkungskreisen tätig sein müssen, z. B. den Juristen, die aus der Justiz¬ verwaltung unmittelbar in Zentral- oder sonstige höhere Behörden kommen. — Einen andern Mißstand findet von Massow darin, daß der heutigen Ver¬ waltung die Initiative und Offensive vollständig verloren gegangen sei. Sie leite und führe uicht mehr, sie sei vielmehr uur noch Geschäftsstelle. Wie die Post auf Briefe und Pakete, so warte sie, bis Wünsche und Anträge an sie heranträten. Und es ist in der Tat so, daß diese unentbehrliche Voraussetzung einer gedeihlichen Verwaltungstätigkeit fast vollständig zu vermissen ist. Geheimrat von Massow findet den Grund dafür in der Unbekanntschaft mit den Verhältnissen, die durch die Veränderung in der Verwaltungsmethode

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/219>, abgerufen am 04.07.2024.