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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

nicht mehr vorgeschrieben sind. Aber die Ressortminister haben, zuletzt durch
neue Rundverfügung vom 9. Februar 1884, den Regierungspräsidenten empfohlen,
solche Sitzungen noch weiter abzuhalten, damit sie bei wichtigeren Fragen das
Urteil der ihnen beigegebenen Beamten hören könnten, besonders aber, damit
diese die Kenntnis des Zusammenhangs der Geschäfte nicht verlören und nicht
durch die Beschränkung ans ein engbegrenztes Dezernat in ihrer Arbeitsfreudigkeit
gelähmt und infolgedessen in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert würden. Abge¬
sehen hiervon gelten aber alle jene Bestimmungen noch heute unverändert, sie
werden jedoch nicht mehr beobachtet, sie sind einfach eingeschlafen.

Man reist also nicht mehr planmäßig wie früher, sondern nur noch
gelegentlich zur Erledigung einzelner, ganz bestimmter Geschäfte und zur Wahr¬
nehmung einzelner besondrer Termine. Es ist demnach ganz dem Zufall über¬
lassen , ob ein Regierungsbeamter mit der nötigen Schnelligkeit oder gar überhaupt
Land und Leute seines Bezirks kennen lernt. Ebensowenig kümmern sich die
vorgesetzten Behörden um deu Geschäftsbetrieb der untern. Höchstens findet
einmal eine Prüfung statt, wenn ein ganz besondrer Grund vorliegt, etwa eine
Behörde die Zuweisung neuer Beamten beantragt. Aber eine solche Prüfung
erstreckt sich nur auf deu äußern Geschäftsgang und geht nicht auf die Erledigung
der Geschäfte selbst ein. Alles das gilt von den Zentralbehörden so gut wie
von allen Provinziälbehörden. Gefördert wurde diese Entwicklung bei den Re¬
gierungen durch die wenig glückliche Ordnung des Reisekostemvesens.

Ganz außer Übung gekommen sind die Reisebemerkungen und Reisetagc-
bücher und mit ihnen die allgemeinen Berichte der Oberpräsidenten, der
Regierungen und der einzelnen Regierungsmitglieder.

Fast ganz verschwunden sind die Sitzungen bei den Präsidialabteilungen
der Regierungen; in den andern Abteilungen finden sie nur noch selten statt.
Ebenso kommen Plenarsitzungen nur noch selten vor. Wird einmal eine Sitzung
abgehalten, dann dient sie einer ganz bestimmten Angelegenheit, eine Plenar¬
sitzung etwa der Einführung neuer Mitglieder oder der Erhebung eines Konflikts,
niemals der Besprechung allgemeiner Fragen, neuer Gesetze oder dergleichen,
niemals "groß angelegter Kollegialarbeit", wie es Lotz gut bezeichnet.

Für die Landrnte gibt es ans der Zeit nach 1806 ähnliche Bestimmungen
über Reisen und allgemeine Berichte meines Wissens nicht. Man wird angenommen
bilden, daß sie als Kreiseingesessene eine genaue Kenntnis der Verhältnisse ihres
Kreises in ihr Amt mitbrächten oder, sofern sie Berufsbenmte waren, von selbst bald
Mverben würden. Ob eine solche Annahme jemals allgemein gerechtfertigt
war, ist mir nicht bekannt. In der neuern Zeit hat es jedenfalls manchen
^antrat gegeben, der seinen Kreis nicht genau kennen gelernt hat. Geheimer
Rat von Massow erzählt von einen: Landrat, daß er dem seinen Kreis bereisenden
Oberpräsidenten den Namen eines Dorfs nicht habe nenneu können. Ähnliches
ist auch mir bekannt geworden. In einzelnen Fallen mag bei einem Landrat
eine solche unzureichende Bekanntschaft mit den Verhältnissen des Kreises auf


Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung

nicht mehr vorgeschrieben sind. Aber die Ressortminister haben, zuletzt durch
neue Rundverfügung vom 9. Februar 1884, den Regierungspräsidenten empfohlen,
solche Sitzungen noch weiter abzuhalten, damit sie bei wichtigeren Fragen das
Urteil der ihnen beigegebenen Beamten hören könnten, besonders aber, damit
diese die Kenntnis des Zusammenhangs der Geschäfte nicht verlören und nicht
durch die Beschränkung ans ein engbegrenztes Dezernat in ihrer Arbeitsfreudigkeit
gelähmt und infolgedessen in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert würden. Abge¬
sehen hiervon gelten aber alle jene Bestimmungen noch heute unverändert, sie
werden jedoch nicht mehr beobachtet, sie sind einfach eingeschlafen.

Man reist also nicht mehr planmäßig wie früher, sondern nur noch
gelegentlich zur Erledigung einzelner, ganz bestimmter Geschäfte und zur Wahr¬
nehmung einzelner besondrer Termine. Es ist demnach ganz dem Zufall über¬
lassen , ob ein Regierungsbeamter mit der nötigen Schnelligkeit oder gar überhaupt
Land und Leute seines Bezirks kennen lernt. Ebensowenig kümmern sich die
vorgesetzten Behörden um deu Geschäftsbetrieb der untern. Höchstens findet
einmal eine Prüfung statt, wenn ein ganz besondrer Grund vorliegt, etwa eine
Behörde die Zuweisung neuer Beamten beantragt. Aber eine solche Prüfung
erstreckt sich nur auf deu äußern Geschäftsgang und geht nicht auf die Erledigung
der Geschäfte selbst ein. Alles das gilt von den Zentralbehörden so gut wie
von allen Provinziälbehörden. Gefördert wurde diese Entwicklung bei den Re¬
gierungen durch die wenig glückliche Ordnung des Reisekostemvesens.

Ganz außer Übung gekommen sind die Reisebemerkungen und Reisetagc-
bücher und mit ihnen die allgemeinen Berichte der Oberpräsidenten, der
Regierungen und der einzelnen Regierungsmitglieder.

Fast ganz verschwunden sind die Sitzungen bei den Präsidialabteilungen
der Regierungen; in den andern Abteilungen finden sie nur noch selten statt.
Ebenso kommen Plenarsitzungen nur noch selten vor. Wird einmal eine Sitzung
abgehalten, dann dient sie einer ganz bestimmten Angelegenheit, eine Plenar¬
sitzung etwa der Einführung neuer Mitglieder oder der Erhebung eines Konflikts,
niemals der Besprechung allgemeiner Fragen, neuer Gesetze oder dergleichen,
niemals „groß angelegter Kollegialarbeit", wie es Lotz gut bezeichnet.

Für die Landrnte gibt es ans der Zeit nach 1806 ähnliche Bestimmungen
über Reisen und allgemeine Berichte meines Wissens nicht. Man wird angenommen
bilden, daß sie als Kreiseingesessene eine genaue Kenntnis der Verhältnisse ihres
Kreises in ihr Amt mitbrächten oder, sofern sie Berufsbenmte waren, von selbst bald
Mverben würden. Ob eine solche Annahme jemals allgemein gerechtfertigt
war, ist mir nicht bekannt. In der neuern Zeit hat es jedenfalls manchen
^antrat gegeben, der seinen Kreis nicht genau kennen gelernt hat. Geheimer
Rat von Massow erzählt von einen: Landrat, daß er dem seinen Kreis bereisenden
Oberpräsidenten den Namen eines Dorfs nicht habe nenneu können. Ähnliches
ist auch mir bekannt geworden. In einzelnen Fallen mag bei einem Landrat
eine solche unzureichende Bekanntschaft mit den Verhältnissen des Kreises auf


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[0217] Die Methode und die Technik der preußischen Verwaltung nicht mehr vorgeschrieben sind. Aber die Ressortminister haben, zuletzt durch neue Rundverfügung vom 9. Februar 1884, den Regierungspräsidenten empfohlen, solche Sitzungen noch weiter abzuhalten, damit sie bei wichtigeren Fragen das Urteil der ihnen beigegebenen Beamten hören könnten, besonders aber, damit diese die Kenntnis des Zusammenhangs der Geschäfte nicht verlören und nicht durch die Beschränkung ans ein engbegrenztes Dezernat in ihrer Arbeitsfreudigkeit gelähmt und infolgedessen in ihrer Leistungsfähigkeit gemindert würden. Abge¬ sehen hiervon gelten aber alle jene Bestimmungen noch heute unverändert, sie werden jedoch nicht mehr beobachtet, sie sind einfach eingeschlafen. Man reist also nicht mehr planmäßig wie früher, sondern nur noch gelegentlich zur Erledigung einzelner, ganz bestimmter Geschäfte und zur Wahr¬ nehmung einzelner besondrer Termine. Es ist demnach ganz dem Zufall über¬ lassen , ob ein Regierungsbeamter mit der nötigen Schnelligkeit oder gar überhaupt Land und Leute seines Bezirks kennen lernt. Ebensowenig kümmern sich die vorgesetzten Behörden um deu Geschäftsbetrieb der untern. Höchstens findet einmal eine Prüfung statt, wenn ein ganz besondrer Grund vorliegt, etwa eine Behörde die Zuweisung neuer Beamten beantragt. Aber eine solche Prüfung erstreckt sich nur auf deu äußern Geschäftsgang und geht nicht auf die Erledigung der Geschäfte selbst ein. Alles das gilt von den Zentralbehörden so gut wie von allen Provinziälbehörden. Gefördert wurde diese Entwicklung bei den Re¬ gierungen durch die wenig glückliche Ordnung des Reisekostemvesens. Ganz außer Übung gekommen sind die Reisebemerkungen und Reisetagc- bücher und mit ihnen die allgemeinen Berichte der Oberpräsidenten, der Regierungen und der einzelnen Regierungsmitglieder. Fast ganz verschwunden sind die Sitzungen bei den Präsidialabteilungen der Regierungen; in den andern Abteilungen finden sie nur noch selten statt. Ebenso kommen Plenarsitzungen nur noch selten vor. Wird einmal eine Sitzung abgehalten, dann dient sie einer ganz bestimmten Angelegenheit, eine Plenar¬ sitzung etwa der Einführung neuer Mitglieder oder der Erhebung eines Konflikts, niemals der Besprechung allgemeiner Fragen, neuer Gesetze oder dergleichen, niemals „groß angelegter Kollegialarbeit", wie es Lotz gut bezeichnet. Für die Landrnte gibt es ans der Zeit nach 1806 ähnliche Bestimmungen über Reisen und allgemeine Berichte meines Wissens nicht. Man wird angenommen bilden, daß sie als Kreiseingesessene eine genaue Kenntnis der Verhältnisse ihres Kreises in ihr Amt mitbrächten oder, sofern sie Berufsbenmte waren, von selbst bald Mverben würden. Ob eine solche Annahme jemals allgemein gerechtfertigt war, ist mir nicht bekannt. In der neuern Zeit hat es jedenfalls manchen ^antrat gegeben, der seinen Kreis nicht genau kennen gelernt hat. Geheimer Rat von Massow erzählt von einen: Landrat, daß er dem seinen Kreis bereisenden Oberpräsidenten den Namen eines Dorfs nicht habe nenneu können. Ähnliches ist auch mir bekannt geworden. In einzelnen Fallen mag bei einem Landrat eine solche unzureichende Bekanntschaft mit den Verhältnissen des Kreises auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/217>, abgerufen am 04.07.2024.