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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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vom Aönncr und vom Dichter

Dichters oder wenigstens an der Struktur des Werkes will er die Malzeichen
seiner köstlichen Vergangenheit sehen. Mag er sich sonst zur Entwicklungslehre
verhalten, wie er will, vom Dichter zu ihm muß sich das ontogenetische Gesetz
spannen. Und weil beim Dichter eben Form gleichbedeutend ist mit Technik,
soll der Nachfahre des tief veranlagten Hanswursten sie verabscheuen, oder noch
besser, gar nicht kennen,

Dn lächelst, lieber Laie, und meinst, die erste Forderung aller Kultur sei
die Form, ja, Kultur sei dasselbe wie Form, und du weisest auf Dichter, auf
Erscheinungen hin, die im eigenen Vaterland hoch emporgekommen sind und
den deutschen Namen auch außerhalb der LnndeSgrenze zu Ansehen gebracht
haben. Solche Einwendungen, lieber Laie, sind recht kindlich, um nicht zu
sagen kindisch. Wer sagt dir denn, daß der Deutsche vou heute an seinen Dichter
eine Kulturforderung stellt? Ob er ihn mit seinein "Los von der Technik"
nicht viel eher in verzückter Barbarei sehen will . . . Und was die lebenden
Dichter betrifft, die fremde Länder, fremde Verleger und fremde Bücher erobert
haben, lieber Laie, täusche dich uicht über sie! Mag mau sie im Ausland noch
so sehr bewundern ob ihrer Technik, ob ihrer Fähigkeit, Gedachtes und Erlebtes
in eine strenge und zugleich blendende Form zu gießen -- wenn sie heimkehren
von ihrem Triumphzug, bläst der Wind aus einer anderen Ecke. Michel steht
da, die Hände in den Hosentaschen, sieht den Manu des Erfolges halb spöttisch,
halb mitleidig an, spuckt ans und sagt ärgerlich ganz von oben herab: "Der Körner!"

Wieder lächelst du, lieber Laie, und meinst, daß Deutschland, in dem
Technik auf allen möglichen anderen Lebensgebieten so hoch gewertet wird, doch
unmöglich gerade die dichterische Technik verachten könne. Ja, weißt du denn
nicht, daß die Schreckensmänner der großen Revolution, die tagsüber im Amt
voll Vergnügen durch Blut wateten, am Abend, wenn sie heimkamen, die
zärtlichsten, sentimentalsten Fanüliensnnpel waren? Irgendeine Stelle muß der
Mensch haben, um der er Mensch, d. h. rührselig und unter Umständen anch
verlogen sein kann. Wenn Michel tagsüber im Getriebe seiner prachtvollen
Maschinentechnik gestanden hat, wenn er die Hämmer seiner Eisenwerke, die
Räder seiner Fabriken, die Dampfrosse seines Verkehrsnetzes hat klirren, schnurren
und fauchen hören, wenn ihm der Kopf wirr und müde ist vom Kampf und
Geschrei der Konkurrenz, dann geht er abends denn und verlangt nach einem
Roman, der nicht etwa ein interessantes Stück Menschengeschichte gibt, mit
Begebnissen, heiß und wundersam wie das Leben selbst, sondern der nur Neben¬
sächlichkeiten und Banalitüten enthält. Und wenn er ins Theater geht, will
er eilt Stück sehen, in den: der vierte Akt an der Stelle des zweiten stehen und
der letzte wegfallen oder auch durch drei weitere ergänzt werden könnte . . .
Du lächelst überlegen und nimmst an, daß ich flunkere, findest, daß der Mann,
der sich unterfängt, einen Roman, ein Drama zu schreiben, ohne die Technik
seines Metiers zu beherrschen, im Gegensatz zum Körner ein Nichtkönner sei.
Weit gefehlt! Der Antipode des Körners ist keineswegs der Nichtkönner, sondern


Grenze ton I 1910 S"i
vom Aönncr und vom Dichter

Dichters oder wenigstens an der Struktur des Werkes will er die Malzeichen
seiner köstlichen Vergangenheit sehen. Mag er sich sonst zur Entwicklungslehre
verhalten, wie er will, vom Dichter zu ihm muß sich das ontogenetische Gesetz
spannen. Und weil beim Dichter eben Form gleichbedeutend ist mit Technik,
soll der Nachfahre des tief veranlagten Hanswursten sie verabscheuen, oder noch
besser, gar nicht kennen,

Dn lächelst, lieber Laie, und meinst, die erste Forderung aller Kultur sei
die Form, ja, Kultur sei dasselbe wie Form, und du weisest auf Dichter, auf
Erscheinungen hin, die im eigenen Vaterland hoch emporgekommen sind und
den deutschen Namen auch außerhalb der LnndeSgrenze zu Ansehen gebracht
haben. Solche Einwendungen, lieber Laie, sind recht kindlich, um nicht zu
sagen kindisch. Wer sagt dir denn, daß der Deutsche vou heute an seinen Dichter
eine Kulturforderung stellt? Ob er ihn mit seinein „Los von der Technik"
nicht viel eher in verzückter Barbarei sehen will . . . Und was die lebenden
Dichter betrifft, die fremde Länder, fremde Verleger und fremde Bücher erobert
haben, lieber Laie, täusche dich uicht über sie! Mag mau sie im Ausland noch
so sehr bewundern ob ihrer Technik, ob ihrer Fähigkeit, Gedachtes und Erlebtes
in eine strenge und zugleich blendende Form zu gießen — wenn sie heimkehren
von ihrem Triumphzug, bläst der Wind aus einer anderen Ecke. Michel steht
da, die Hände in den Hosentaschen, sieht den Manu des Erfolges halb spöttisch,
halb mitleidig an, spuckt ans und sagt ärgerlich ganz von oben herab: „Der Körner!"

Wieder lächelst du, lieber Laie, und meinst, daß Deutschland, in dem
Technik auf allen möglichen anderen Lebensgebieten so hoch gewertet wird, doch
unmöglich gerade die dichterische Technik verachten könne. Ja, weißt du denn
nicht, daß die Schreckensmänner der großen Revolution, die tagsüber im Amt
voll Vergnügen durch Blut wateten, am Abend, wenn sie heimkamen, die
zärtlichsten, sentimentalsten Fanüliensnnpel waren? Irgendeine Stelle muß der
Mensch haben, um der er Mensch, d. h. rührselig und unter Umständen anch
verlogen sein kann. Wenn Michel tagsüber im Getriebe seiner prachtvollen
Maschinentechnik gestanden hat, wenn er die Hämmer seiner Eisenwerke, die
Räder seiner Fabriken, die Dampfrosse seines Verkehrsnetzes hat klirren, schnurren
und fauchen hören, wenn ihm der Kopf wirr und müde ist vom Kampf und
Geschrei der Konkurrenz, dann geht er abends denn und verlangt nach einem
Roman, der nicht etwa ein interessantes Stück Menschengeschichte gibt, mit
Begebnissen, heiß und wundersam wie das Leben selbst, sondern der nur Neben¬
sächlichkeiten und Banalitüten enthält. Und wenn er ins Theater geht, will
er eilt Stück sehen, in den: der vierte Akt an der Stelle des zweiten stehen und
der letzte wegfallen oder auch durch drei weitere ergänzt werden könnte . . .
Du lächelst überlegen und nimmst an, daß ich flunkere, findest, daß der Mann,
der sich unterfängt, einen Roman, ein Drama zu schreiben, ohne die Technik
seines Metiers zu beherrschen, im Gegensatz zum Körner ein Nichtkönner sei.
Weit gefehlt! Der Antipode des Körners ist keineswegs der Nichtkönner, sondern


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[0213] vom Aönncr und vom Dichter Dichters oder wenigstens an der Struktur des Werkes will er die Malzeichen seiner köstlichen Vergangenheit sehen. Mag er sich sonst zur Entwicklungslehre verhalten, wie er will, vom Dichter zu ihm muß sich das ontogenetische Gesetz spannen. Und weil beim Dichter eben Form gleichbedeutend ist mit Technik, soll der Nachfahre des tief veranlagten Hanswursten sie verabscheuen, oder noch besser, gar nicht kennen, Dn lächelst, lieber Laie, und meinst, die erste Forderung aller Kultur sei die Form, ja, Kultur sei dasselbe wie Form, und du weisest auf Dichter, auf Erscheinungen hin, die im eigenen Vaterland hoch emporgekommen sind und den deutschen Namen auch außerhalb der LnndeSgrenze zu Ansehen gebracht haben. Solche Einwendungen, lieber Laie, sind recht kindlich, um nicht zu sagen kindisch. Wer sagt dir denn, daß der Deutsche vou heute an seinen Dichter eine Kulturforderung stellt? Ob er ihn mit seinein „Los von der Technik" nicht viel eher in verzückter Barbarei sehen will . . . Und was die lebenden Dichter betrifft, die fremde Länder, fremde Verleger und fremde Bücher erobert haben, lieber Laie, täusche dich uicht über sie! Mag mau sie im Ausland noch so sehr bewundern ob ihrer Technik, ob ihrer Fähigkeit, Gedachtes und Erlebtes in eine strenge und zugleich blendende Form zu gießen — wenn sie heimkehren von ihrem Triumphzug, bläst der Wind aus einer anderen Ecke. Michel steht da, die Hände in den Hosentaschen, sieht den Manu des Erfolges halb spöttisch, halb mitleidig an, spuckt ans und sagt ärgerlich ganz von oben herab: „Der Körner!" Wieder lächelst du, lieber Laie, und meinst, daß Deutschland, in dem Technik auf allen möglichen anderen Lebensgebieten so hoch gewertet wird, doch unmöglich gerade die dichterische Technik verachten könne. Ja, weißt du denn nicht, daß die Schreckensmänner der großen Revolution, die tagsüber im Amt voll Vergnügen durch Blut wateten, am Abend, wenn sie heimkamen, die zärtlichsten, sentimentalsten Fanüliensnnpel waren? Irgendeine Stelle muß der Mensch haben, um der er Mensch, d. h. rührselig und unter Umständen anch verlogen sein kann. Wenn Michel tagsüber im Getriebe seiner prachtvollen Maschinentechnik gestanden hat, wenn er die Hämmer seiner Eisenwerke, die Räder seiner Fabriken, die Dampfrosse seines Verkehrsnetzes hat klirren, schnurren und fauchen hören, wenn ihm der Kopf wirr und müde ist vom Kampf und Geschrei der Konkurrenz, dann geht er abends denn und verlangt nach einem Roman, der nicht etwa ein interessantes Stück Menschengeschichte gibt, mit Begebnissen, heiß und wundersam wie das Leben selbst, sondern der nur Neben¬ sächlichkeiten und Banalitüten enthält. Und wenn er ins Theater geht, will er eilt Stück sehen, in den: der vierte Akt an der Stelle des zweiten stehen und der letzte wegfallen oder auch durch drei weitere ergänzt werden könnte . . . Du lächelst überlegen und nimmst an, daß ich flunkere, findest, daß der Mann, der sich unterfängt, einen Roman, ein Drama zu schreiben, ohne die Technik seines Metiers zu beherrschen, im Gegensatz zum Körner ein Nichtkönner sei. Weit gefehlt! Der Antipode des Körners ist keineswegs der Nichtkönner, sondern Grenze ton I 1910 S«i

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/213>, abgerufen am 04.07.2024.