Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.vom Aöimer und vom Dichter wenn nicht gar in der eigenen Villa, locis;, was ein Friseur und Maniküre Die Technik ist in Michels Augen noch immer die Prostitution. Sie ist es, Formlosigkeit, holdseliges deutsches Ideal! Wie durftest du vom Dichter vom Aöimer und vom Dichter wenn nicht gar in der eigenen Villa, locis;, was ein Friseur und Maniküre Die Technik ist in Michels Augen noch immer die Prostitution. Sie ist es, Formlosigkeit, holdseliges deutsches Ideal! Wie durftest du vom Dichter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315209"/> <fw type="header" place="top"> vom Aöimer und vom Dichter</fw><lb/> <p xml:id="ID_805" prev="#ID_804"> wenn nicht gar in der eigenen Villa, locis;, was ein Friseur und Maniküre<lb/> ist, kennt Trüffelpoularden und Sekt nicht nur vom Hörensagen und findet<lb/> braune Kassenscheine uicht minder erstrebenswert als blaue Blumen. An dieser<lb/> veränderten Lebensauffassung kann Michel nichts ändern; denn sie hängt mit<lb/> der ganzen Entwicklung des Deutschtums zusammen. Michel ist ja auch ein<lb/> recht pfiffiger Streber. Er sieht es ganz gern, wenn die Seinen nach außen<lb/> hin zeigen, das; er groß und mächtig geworden ist und das Geld bei ihm keine<lb/> Rolle spielt. Also mag sich in Gottes Rainen der Enkel des Hanswursten gut<lb/> kleiden, mag er gut essen und trinken, Autos halten und Weltreisen mache»,<lb/> wenn er nur noch in einem Winkelchen seines Herzens, in irgendeiner Kammer<lb/> seiner Seele der würdige Hnnswurstennnchfahre geblieben ist! Äußerlich mag<lb/> er sich mit allen Poren an der Wirklichkeit festsaugen, innerlich soll er sie nach<lb/> wie vor hassen. Mit allen möglichen raffinierter Künsten und Weibern mag<lb/> er sich sehen lassen, mit Mystizismus und Bretteldamen, mit Symbolismus und<lb/> Schlangenbändigcrinncn, aber uur uicht mit dem verfluchten Frauenzimmer Technik.</p><lb/> <p xml:id="ID_806"> Die Technik ist in Michels Augen noch immer die Prostitution. Sie ist es,<lb/> die Unfrieden sät zwischen ihm und seinem Dichter, und wie Friedrich Wilhelm IV.<lb/> einst wünschte, daß sich zwischen ihn und sein Volk kein Blatt Papier drängen<lb/> solle, das Blatt Papier nämlich, auf dein die Verfassung stand, so verlangt<lb/> auch Michel: „Ich will nicht, daß sich zwischen mich und meinen Dichter ein<lb/> Blatt Papier drängt", das Blatt Papier nämlich, auf dein ein wirksames<lb/> Szenarium steht. Wirksam! — welch entwürdigendes Wort für einen, dein die<lb/> Muse die Stirne geküßt hat! Wirksam -..... ein abscheulicher Begriff, der ein<lb/> zweites deutsches Ideal — die Formlosigkeit — verneint. Du erinnerst dich<lb/> doch, lieber Laie, daß bis vor kurzer Zeit Formlosigkeit eine unserer Leiden¬<lb/> schaften war, und daß es als deutsch und tugendhaft galt, die Form unter<lb/> allen Verhältnissen zu verachten. Nur als Zopf und als Lakaientnm halte sie<lb/> Ansehen. Bureankratismus und Kotau waren die einzigen Formen, die galten.<lb/> Fern vom Bureau, der Kaserne und dein Königschlosse wollte Michel sein<lb/> schönes Selbst rückhaltslos ausleben, daß heißt eben, an gar keine Form<lb/> gebunden sein. Wo Form herrschte, war'S ungemütlich. Gemütlich zu sein, war<lb/> der erste Beruf des Deutschen. Er war ja auch so gemütlich, daß er nicht<lb/> einmal ungemütlich wurde, wenn die Nachbarn ihm das Fell über die Ohren<lb/> zogen. Diesen rührenden Sinn hatte er sich denn auch glücklich ins neue Reich<lb/> hinübergerettet, und der Geist der Akademie Francaise schien ihm eben so<lb/> verächtlich wie der Gehrock und der Lackschuh. Er schrieb und redete, wie er<lb/> wollte, kleidete und benahm sich, wie er wollte und war überzeugt, daß nur<lb/> dekadente und vermorschte Existenzen sich täglich des Tuhs und des Smokings<lb/> bedienten.</p><lb/> <p xml:id="ID_807" next="#ID_808"> Formlosigkeit, holdseliges deutsches Ideal! Wie durftest du vom Dichter<lb/> weichen! Hat sich in: übrigen Leben auch Michel den allgemein-europäischen<lb/> Formfordemngen mehr oder weniger fügen müssen: am Dichter, um Werk des</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
vom Aöimer und vom Dichter
wenn nicht gar in der eigenen Villa, locis;, was ein Friseur und Maniküre
ist, kennt Trüffelpoularden und Sekt nicht nur vom Hörensagen und findet
braune Kassenscheine uicht minder erstrebenswert als blaue Blumen. An dieser
veränderten Lebensauffassung kann Michel nichts ändern; denn sie hängt mit
der ganzen Entwicklung des Deutschtums zusammen. Michel ist ja auch ein
recht pfiffiger Streber. Er sieht es ganz gern, wenn die Seinen nach außen
hin zeigen, das; er groß und mächtig geworden ist und das Geld bei ihm keine
Rolle spielt. Also mag sich in Gottes Rainen der Enkel des Hanswursten gut
kleiden, mag er gut essen und trinken, Autos halten und Weltreisen mache»,
wenn er nur noch in einem Winkelchen seines Herzens, in irgendeiner Kammer
seiner Seele der würdige Hnnswurstennnchfahre geblieben ist! Äußerlich mag
er sich mit allen Poren an der Wirklichkeit festsaugen, innerlich soll er sie nach
wie vor hassen. Mit allen möglichen raffinierter Künsten und Weibern mag
er sich sehen lassen, mit Mystizismus und Bretteldamen, mit Symbolismus und
Schlangenbändigcrinncn, aber uur uicht mit dem verfluchten Frauenzimmer Technik.
Die Technik ist in Michels Augen noch immer die Prostitution. Sie ist es,
die Unfrieden sät zwischen ihm und seinem Dichter, und wie Friedrich Wilhelm IV.
einst wünschte, daß sich zwischen ihn und sein Volk kein Blatt Papier drängen
solle, das Blatt Papier nämlich, auf dein die Verfassung stand, so verlangt
auch Michel: „Ich will nicht, daß sich zwischen mich und meinen Dichter ein
Blatt Papier drängt", das Blatt Papier nämlich, auf dein ein wirksames
Szenarium steht. Wirksam! — welch entwürdigendes Wort für einen, dein die
Muse die Stirne geküßt hat! Wirksam -..... ein abscheulicher Begriff, der ein
zweites deutsches Ideal — die Formlosigkeit — verneint. Du erinnerst dich
doch, lieber Laie, daß bis vor kurzer Zeit Formlosigkeit eine unserer Leiden¬
schaften war, und daß es als deutsch und tugendhaft galt, die Form unter
allen Verhältnissen zu verachten. Nur als Zopf und als Lakaientnm halte sie
Ansehen. Bureankratismus und Kotau waren die einzigen Formen, die galten.
Fern vom Bureau, der Kaserne und dein Königschlosse wollte Michel sein
schönes Selbst rückhaltslos ausleben, daß heißt eben, an gar keine Form
gebunden sein. Wo Form herrschte, war'S ungemütlich. Gemütlich zu sein, war
der erste Beruf des Deutschen. Er war ja auch so gemütlich, daß er nicht
einmal ungemütlich wurde, wenn die Nachbarn ihm das Fell über die Ohren
zogen. Diesen rührenden Sinn hatte er sich denn auch glücklich ins neue Reich
hinübergerettet, und der Geist der Akademie Francaise schien ihm eben so
verächtlich wie der Gehrock und der Lackschuh. Er schrieb und redete, wie er
wollte, kleidete und benahm sich, wie er wollte und war überzeugt, daß nur
dekadente und vermorschte Existenzen sich täglich des Tuhs und des Smokings
bedienten.
Formlosigkeit, holdseliges deutsches Ideal! Wie durftest du vom Dichter
weichen! Hat sich in: übrigen Leben auch Michel den allgemein-europäischen
Formfordemngen mehr oder weniger fügen müssen: am Dichter, um Werk des
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