Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Vom Aönnev und vom Dichter ) Von "Larry Brachvogel II deinem Nutzen, lieber Laie, schreibe ich diese Zeilen nieder, Aus veilchenblauen Laienaugeu blickst du mich mit stummer Frage an. Ganz richtig, lieber Laie, oder vielmehr, es wäre ganz richtig, wenn du *) Angesichts der äußeren Erfolge, die eine felle Dutzend-Literatur heute wie ehedem
davonträgt, während die Werke der Vornehmen und Edlen ungekannt beiseite stehen, ist der obige temperamentvolle Ausbruch einer empörten und sich doch satirisch bändigenden "Körner"- Seele Wohl zu verstehen. Im übrigen vergl. unsern Leitartikel in Ur. 27 v. t. Juli 1909. D. Schriftltg. Vom Aönnev und vom Dichter ) Von «Larry Brachvogel II deinem Nutzen, lieber Laie, schreibe ich diese Zeilen nieder, Aus veilchenblauen Laienaugeu blickst du mich mit stummer Frage an. Ganz richtig, lieber Laie, oder vielmehr, es wäre ganz richtig, wenn du *) Angesichts der äußeren Erfolge, die eine felle Dutzend-Literatur heute wie ehedem
davonträgt, während die Werke der Vornehmen und Edlen ungekannt beiseite stehen, ist der obige temperamentvolle Ausbruch einer empörten und sich doch satirisch bändigenden „Körner"- Seele Wohl zu verstehen. Im übrigen vergl. unsern Leitartikel in Ur. 27 v. t. Juli 1909. D. Schriftltg. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0210" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315207"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341891_314996/figures/grenzboten_341891_314996_315207_000.jpg"/><lb/> </div> </div> <div n="1"> <head> Vom Aönnev und vom Dichter )<lb/><note type="byline"> Von «Larry Brachvogel</note></head><lb/> <p xml:id="ID_799"> II deinem Nutzen, lieber Laie, schreibe ich diese Zeilen nieder,<lb/> zu deiner Aufklärung, Nicht zu deiner religiösen, politischen<lb/> oder sexuellen, sondern zu deiner literarischen. Ich habe nämlich<lb/> immer bemerkt, daß du in puncto Literatur uoch in kindlichen<lb/> Irrtümern befangen bist, soviel Mühe wir vom Bau, wir<lb/> Literaten und Journalisten, uus auch seit Jahrzehnten mit dir gegeben haben.<lb/> Immer noch greifst du gierig nach einem fesselnden Roman, immer uoch läufst<lb/> du erwartungsvoll in ein spannendes Drama, immer noch hältst du deu Autor<lb/> solch verirrter Machwerke für eine bewundernswerte Erscheinung. Darum eben,<lb/> lieber Laie, mußt du aufgeklärt werden! So gründlich aufgeklärt, daß du<lb/> künftighin den fesselnden Roman mit einer verächtlichen Geste beiseite schiebst<lb/> und den langweiligsten verlangst, daß du dich eher in die Zwangsjacke stecken,<lb/> als in ein fesselndes Drama führen läßt. Dagegen eilst du mit gierigen Nerven<lb/> nach einem recht öden, das schon nach der dritten Aufführung abgesetzt wird,<lb/> und in dem du bereits nach dem ersten Akt an den Folgen der Exposition<lb/> entschläfst. Den Verfasser der verirrten Machwerke aber — im Parnaßjargon<lb/> „Körner" genannt — wirst du dann mit der ihm gebührenden Verachtung<lb/> betrachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_800"> Aus veilchenblauen Laienaugeu blickst du mich mit stummer Frage an.<lb/> Doch ehe dem Mund noch die ungesprochene zum Satze geformt hat, muß ich<lb/> an dich die prüfende Gegenfrage stellen: „Was ist ein Körner?" Du erwiderst<lb/> darauf: „Ein Körner ist ein Mann, der etwas kann, der sein Metier versteht."<lb/> — „Und was verdient ein Körner?" — „Achtung, Bewunderung und unter<lb/> Umständen viel Geld."</p><lb/> <p xml:id="ID_801" next="#ID_802"> Ganz richtig, lieber Laie, oder vielmehr, es wäre ganz richtig, wenn du<lb/> von einem Schuster, vou einem Koch, von einem Juristen, Kaufmann, Diplomaten,<lb/> Minister oder noch erhabeneren Persönlichkeiten sprächest. In jedem Beruf gilt</p><lb/> <note xml:id="FID_10" place="foot"> *) Angesichts der äußeren Erfolge, die eine felle Dutzend-Literatur heute wie ehedem<lb/> davonträgt, während die Werke der Vornehmen und Edlen ungekannt beiseite stehen, ist der<lb/> obige temperamentvolle Ausbruch einer empörten und sich doch satirisch bändigenden „Körner"-<lb/> Seele Wohl zu verstehen. Im übrigen vergl. unsern Leitartikel in Ur. 27 v. t. Juli 1909.<lb/><note type="byline"> D. Schriftltg.</note></note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0210]
[Abbildung]
Vom Aönnev und vom Dichter )
Von «Larry Brachvogel
II deinem Nutzen, lieber Laie, schreibe ich diese Zeilen nieder,
zu deiner Aufklärung, Nicht zu deiner religiösen, politischen
oder sexuellen, sondern zu deiner literarischen. Ich habe nämlich
immer bemerkt, daß du in puncto Literatur uoch in kindlichen
Irrtümern befangen bist, soviel Mühe wir vom Bau, wir
Literaten und Journalisten, uus auch seit Jahrzehnten mit dir gegeben haben.
Immer noch greifst du gierig nach einem fesselnden Roman, immer uoch läufst
du erwartungsvoll in ein spannendes Drama, immer noch hältst du deu Autor
solch verirrter Machwerke für eine bewundernswerte Erscheinung. Darum eben,
lieber Laie, mußt du aufgeklärt werden! So gründlich aufgeklärt, daß du
künftighin den fesselnden Roman mit einer verächtlichen Geste beiseite schiebst
und den langweiligsten verlangst, daß du dich eher in die Zwangsjacke stecken,
als in ein fesselndes Drama führen läßt. Dagegen eilst du mit gierigen Nerven
nach einem recht öden, das schon nach der dritten Aufführung abgesetzt wird,
und in dem du bereits nach dem ersten Akt an den Folgen der Exposition
entschläfst. Den Verfasser der verirrten Machwerke aber — im Parnaßjargon
„Körner" genannt — wirst du dann mit der ihm gebührenden Verachtung
betrachten.
Aus veilchenblauen Laienaugeu blickst du mich mit stummer Frage an.
Doch ehe dem Mund noch die ungesprochene zum Satze geformt hat, muß ich
an dich die prüfende Gegenfrage stellen: „Was ist ein Körner?" Du erwiderst
darauf: „Ein Körner ist ein Mann, der etwas kann, der sein Metier versteht."
— „Und was verdient ein Körner?" — „Achtung, Bewunderung und unter
Umständen viel Geld."
Ganz richtig, lieber Laie, oder vielmehr, es wäre ganz richtig, wenn du
von einem Schuster, vou einem Koch, von einem Juristen, Kaufmann, Diplomaten,
Minister oder noch erhabeneren Persönlichkeiten sprächest. In jedem Beruf gilt
*) Angesichts der äußeren Erfolge, die eine felle Dutzend-Literatur heute wie ehedem
davonträgt, während die Werke der Vornehmen und Edlen ungekannt beiseite stehen, ist der
obige temperamentvolle Ausbruch einer empörten und sich doch satirisch bändigenden „Körner"-
Seele Wohl zu verstehen. Im übrigen vergl. unsern Leitartikel in Ur. 27 v. t. Juli 1909.
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