Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.gestanden,. Ehe die Staatsregierung nicht gesprochen hat, will niemand ans der Alles das sind Dinge, mit denen man sich in der einen oder anderen Rich¬ gestanden,. Ehe die Staatsregierung nicht gesprochen hat, will niemand ans der Alles das sind Dinge, mit denen man sich in der einen oder anderen Rich¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315196"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_769" prev="#ID_768"> gestanden,. Ehe die Staatsregierung nicht gesprochen hat, will niemand ans der<lb/> Deckung herauskommen. Unterdessen verbeißt sich die Erörterung hauptsächlich<lb/> auf eine Frage, die durchaus nicht das Wesentliche einer Wahlreform zu bedeuten<lb/> braucht: auf die Frage der öffentlichen oder der geheimen Wahl. Herr von Zedlitz,<lb/> der diese Frage noch kürzlich im „Tag" behandelt hat, meint, die Lösung der<lb/> Aufgabe der Wahlreform würde sich voraussichtlich verlMnismäßig, leicht<lb/> gestalten, wenn man sich über die Einführung der geheimen Wahl verständigte.<lb/> Es will scheinen, als ob Herr von Zedlitz bei der weiteren Ausführung dieser Gedanken<lb/> sich selbst widerlegt oder doch wenigstens an die Ausführbarkeit dieses Vorschlags selbst<lb/> nicht recht glauben kann. Denn zuletzt kommt er doch auch in der Frage, ob öffentliche<lb/> oder geheime Wahl, auf ein Kompromiß hinaus, und zwar nachdem er mit<lb/> vollem Recht hervorgehoben hat, daß die Wirkungen, die man hier der<lb/> geheimen, dort der öffentlichen Wahl beimißt, zum mindesten sehr zweifel¬<lb/> haft sind. Wie es die Sozialdemokratie versteht, anch bei der geheimen<lb/> Wahl die Wähler zu überwachen und zu knebeln, ist bekannt. Man hat nun<lb/> wohl gesagt, dem stehe bei der öffentlichen Wahl der Terrorismus von<lb/> oben gegenüvenüber. Die letzten Landtagswahlen in Preußen haben uns auch<lb/> darüber eines bessern belehrt. Etwas Aergeres als den damals geübten<lb/> Wahlterrorismns der Sozialdemokrciten konnte es kaum geben. Wie aber will<lb/> man bei solcher Sachlage die Frage der öffentlichen oder geheimen Wahl zum<lb/> Angelpunkt der Reform machen? Auch Laband betrachtet diese Frage als einen<lb/> Nebenpunkt und weist zutreffend darauf hin, daß man sich bei dem stark<lb/> entwickelten Überwachungsdienst der Parteien auch bei der geheimen Wahl<lb/> keiner allzu großen Illusion von der Währung des Wahlgeheimnisses hin¬<lb/> geben dürfe. Wer mit Laband ein Freund der Proportioualwcchl ist, wird<lb/> in der Tat in der Frage „öffentlich oder geheim?" gegenüber dem Hauptprinzip<lb/> nur ein nebensächliches Moment sehen können. Auch ein Pluralwahlrecht schließt<lb/> erheblich wichtigere Fragen ein, als die der öffentlichen oder geheimen Abstimmung.<lb/> Und wenn man erwägt, ob ein öffentliches direktes einem geheimen indirekten<lb/> Verfahren vorzuziehen wäre, so wird mancher der Ansicht sein, daß die über¬<lb/> wiegenden Vorzüge bei der ersten Kombination liegen würden. Das gilt in noch<lb/> höherem Grad bei Komvinaiionen mit dem Prinzip der Gleichheit. Überall<lb/> kommt man bei genauerer Prüfung zu dein Ergebnis, daß es sehr viel wichtigere<lb/> Entscheidungen gibt, als gerade die über Öffentlichkeit oder Geheimnis der Ab¬<lb/> stimmung. Auch innerhalb eines Dreiklassensystems sind manche Verbesserungen<lb/> denkbar, die höher anzuschlagen sind, als die Einführung des geheimen Ver¬<lb/> fahrens. An dem plutokratischen Charakter der jetzigen Form der Dreiklassenwahl<lb/> z. B. würde durch das Wahlgeheimnis nicht das mindeste geändert werden. Sehr<lb/> viel wichtiger sind doch auch in diesem Rahmen die Erwägungen, die der Bildung,<lb/> dem Alter, der sozialen Stellung einen Anteil an der Klasseneinteilung gewähren<lb/> wollen, oder die Schmiedingschen Vorschläge, die auf die Wahl der Abgeordneten<lb/> innerhalb jeder der drei Klassen hinauslaufen.</p><lb/> <p xml:id="ID_770"> Alles das sind Dinge, mit denen man sich in der einen oder anderen Rich¬<lb/> tung auseinandersetzen kann, ohne sich ausschließlich auf eine einzige Seite der<lb/> komplizierten Reformfrage festzulegen. Aussichtslos allein sind die Bestrebungen,<lb/> die auf eine unveränderte Übertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen<lb/> gehen und damit natürlich auch den Ersatz des öffentlichen durch das geheime<lb/> Wahloerfahren als conäitio sine czus non aufstellen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0199]
gestanden,. Ehe die Staatsregierung nicht gesprochen hat, will niemand ans der
Deckung herauskommen. Unterdessen verbeißt sich die Erörterung hauptsächlich
auf eine Frage, die durchaus nicht das Wesentliche einer Wahlreform zu bedeuten
braucht: auf die Frage der öffentlichen oder der geheimen Wahl. Herr von Zedlitz,
der diese Frage noch kürzlich im „Tag" behandelt hat, meint, die Lösung der
Aufgabe der Wahlreform würde sich voraussichtlich verlMnismäßig, leicht
gestalten, wenn man sich über die Einführung der geheimen Wahl verständigte.
Es will scheinen, als ob Herr von Zedlitz bei der weiteren Ausführung dieser Gedanken
sich selbst widerlegt oder doch wenigstens an die Ausführbarkeit dieses Vorschlags selbst
nicht recht glauben kann. Denn zuletzt kommt er doch auch in der Frage, ob öffentliche
oder geheime Wahl, auf ein Kompromiß hinaus, und zwar nachdem er mit
vollem Recht hervorgehoben hat, daß die Wirkungen, die man hier der
geheimen, dort der öffentlichen Wahl beimißt, zum mindesten sehr zweifel¬
haft sind. Wie es die Sozialdemokratie versteht, anch bei der geheimen
Wahl die Wähler zu überwachen und zu knebeln, ist bekannt. Man hat nun
wohl gesagt, dem stehe bei der öffentlichen Wahl der Terrorismus von
oben gegenüvenüber. Die letzten Landtagswahlen in Preußen haben uns auch
darüber eines bessern belehrt. Etwas Aergeres als den damals geübten
Wahlterrorismns der Sozialdemokrciten konnte es kaum geben. Wie aber will
man bei solcher Sachlage die Frage der öffentlichen oder geheimen Wahl zum
Angelpunkt der Reform machen? Auch Laband betrachtet diese Frage als einen
Nebenpunkt und weist zutreffend darauf hin, daß man sich bei dem stark
entwickelten Überwachungsdienst der Parteien auch bei der geheimen Wahl
keiner allzu großen Illusion von der Währung des Wahlgeheimnisses hin¬
geben dürfe. Wer mit Laband ein Freund der Proportioualwcchl ist, wird
in der Tat in der Frage „öffentlich oder geheim?" gegenüber dem Hauptprinzip
nur ein nebensächliches Moment sehen können. Auch ein Pluralwahlrecht schließt
erheblich wichtigere Fragen ein, als die der öffentlichen oder geheimen Abstimmung.
Und wenn man erwägt, ob ein öffentliches direktes einem geheimen indirekten
Verfahren vorzuziehen wäre, so wird mancher der Ansicht sein, daß die über¬
wiegenden Vorzüge bei der ersten Kombination liegen würden. Das gilt in noch
höherem Grad bei Komvinaiionen mit dem Prinzip der Gleichheit. Überall
kommt man bei genauerer Prüfung zu dein Ergebnis, daß es sehr viel wichtigere
Entscheidungen gibt, als gerade die über Öffentlichkeit oder Geheimnis der Ab¬
stimmung. Auch innerhalb eines Dreiklassensystems sind manche Verbesserungen
denkbar, die höher anzuschlagen sind, als die Einführung des geheimen Ver¬
fahrens. An dem plutokratischen Charakter der jetzigen Form der Dreiklassenwahl
z. B. würde durch das Wahlgeheimnis nicht das mindeste geändert werden. Sehr
viel wichtiger sind doch auch in diesem Rahmen die Erwägungen, die der Bildung,
dem Alter, der sozialen Stellung einen Anteil an der Klasseneinteilung gewähren
wollen, oder die Schmiedingschen Vorschläge, die auf die Wahl der Abgeordneten
innerhalb jeder der drei Klassen hinauslaufen.
Alles das sind Dinge, mit denen man sich in der einen oder anderen Rich¬
tung auseinandersetzen kann, ohne sich ausschließlich auf eine einzige Seite der
komplizierten Reformfrage festzulegen. Aussichtslos allein sind die Bestrebungen,
die auf eine unveränderte Übertragung des Reichstagswahlrechts auf Preußen
gehen und damit natürlich auch den Ersatz des öffentlichen durch das geheime
Wahloerfahren als conäitio sine czus non aufstellen.
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