Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Jasmin Wie eine Heilige, die einen Martergang beginnt, schritt sie von mir; ich Denn solches war es mir geworden, weil doch kein grimmerer Tod ist, als Der Bote hielt an in seiner Rede, die mühevoll aus seiner Brust kam, als Und eine Träne hing in des einfachen Mannes Auge, mit einem rührenden "Gelebt habe ich in den ersten Jahren danach wohl kaum; aber ich mußte Und dann, -- mein Vater war ja da, und -- das Gebot! Daran hab Mein Herz hat dann nach und nach so eine Art von zager Frohheit bekommen. Lachen hab' ich nie mehr können, -- aber doch ein wehmütig Lächeln hab Einmal nur hat mich etwas aufgeschreckt. Da hab' ich erst gesehen, wie Mein Freund, der Bote, der drüben die Bergseite seit Jahren begeht, wo - ^ Und dann -- das tote Haus war gar uicht tot, -- sondern es stand in Es ist auch aus der Tür droben getreten, -- aber es war nur ein Schatten -- Da wußte ich zum zweitenmal, daß gestorbene Herzen weiterleben können, Des Boten Worte verhallten, und es ward eine Stille um uns. Das Abendlicht stand wie ein Rinnen von feinem Silber in der Lust. Försters Gestalt richtete sich hoch auf, und seine Blicke gingen groß und Jasmin Wie eine Heilige, die einen Martergang beginnt, schritt sie von mir; ich Denn solches war es mir geworden, weil doch kein grimmerer Tod ist, als Der Bote hielt an in seiner Rede, die mühevoll aus seiner Brust kam, als Und eine Träne hing in des einfachen Mannes Auge, mit einem rührenden „Gelebt habe ich in den ersten Jahren danach wohl kaum; aber ich mußte Und dann, — mein Vater war ja da, und — das Gebot! Daran hab Mein Herz hat dann nach und nach so eine Art von zager Frohheit bekommen. Lachen hab' ich nie mehr können, — aber doch ein wehmütig Lächeln hab Einmal nur hat mich etwas aufgeschreckt. Da hab' ich erst gesehen, wie Mein Freund, der Bote, der drüben die Bergseite seit Jahren begeht, wo - ^ Und dann — das tote Haus war gar uicht tot, — sondern es stand in Es ist auch aus der Tür droben getreten, — aber es war nur ein Schatten — Da wußte ich zum zweitenmal, daß gestorbene Herzen weiterleben können, Des Boten Worte verhallten, und es ward eine Stille um uns. Das Abendlicht stand wie ein Rinnen von feinem Silber in der Lust. Försters Gestalt richtete sich hoch auf, und seine Blicke gingen groß und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0196" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315193"/> <fw type="header" place="top"> Jasmin</fw><lb/> <p xml:id="ID_741"> Wie eine Heilige, die einen Martergang beginnt, schritt sie von mir; ich<lb/> aber hab' kein armes Wort mehr zu reden gewußt, sondern hab' nur gewinkt<lb/> und genickt und bin dann mit einem Schrei hinaus in die Nacht, von dem Toten-<lb/> hcius gewichen.</p><lb/> <p xml:id="ID_742"> Denn solches war es mir geworden, weil doch kein grimmerer Tod ist, als<lb/> wenn sich Liebende gestorben sind . . ."</p><lb/> <p xml:id="ID_743"> Der Bote hielt an in seiner Rede, die mühevoll aus seiner Brust kam, als<lb/> sei jedes Wort ein Schwertstreich, mit dem er sich selbst schlüge.</p><lb/> <p xml:id="ID_744"> Und eine Träne hing in des einfachen Mannes Auge, mit einem rührenden<lb/> Licht, wie wenn aus den Opalschaleu der Muschel eine edle Perle sich löst . . .<lb/> „Armer Mann," sagte ich unwillkürlich, — „und so seid Ihr ganz leer in Euer<lb/> Leben zurückgegangen?"</p><lb/> <p xml:id="ID_745"> „Gelebt habe ich in den ersten Jahren danach wohl kaum; aber ich mußte<lb/> vorwärts I Und dann —" sagte er schaudernd, „ich bin den Morgen nach jener<lb/> Sterbensnacht zu meinem Dienstobercn gegangen und hab' es durch Bitten erlangt,<lb/> einen andern Botenweg zu bekommen. Weil ich pünktlich und treu im Amt war,<lb/> hat man mir's auch bewilligt; kopfschüttelnd freilich, denn der Weg an dieser<lb/> Bergseite ist viel länger und beschwerlicher und steht doch unter gleichem Lohn, —<lb/> und seht, so blieb mir wenigstens der Anblick des Totenhauses entrückt . . .'</p><lb/> <p xml:id="ID_746"> Und dann, — mein Vater war ja da, und — das Gebot! Daran hab<lb/> ich mich gehalten wie an einen starken Stab und bin im Staub, so im tiefen<lb/> Staub des Lebens, das nun keinen Feiertag mehr für mich halte, stetig gewandert.</p><lb/> <p xml:id="ID_747"> Mein Herz hat dann nach und nach so eine Art von zager Frohheit bekommen.<lb/> '</p><lb/> <p xml:id="ID_748"> Lachen hab' ich nie mehr können, — aber doch ein wehmütig Lächeln hab<lb/> ich gefunden und eine stille Freudigkeit an einsamen Dingen — an Dingen, wo<lb/> mir die Menschen fern blieben. 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Jasmin
Wie eine Heilige, die einen Martergang beginnt, schritt sie von mir; ich
aber hab' kein armes Wort mehr zu reden gewußt, sondern hab' nur gewinkt
und genickt und bin dann mit einem Schrei hinaus in die Nacht, von dem Toten-
hcius gewichen.
Denn solches war es mir geworden, weil doch kein grimmerer Tod ist, als
wenn sich Liebende gestorben sind . . ."
Der Bote hielt an in seiner Rede, die mühevoll aus seiner Brust kam, als
sei jedes Wort ein Schwertstreich, mit dem er sich selbst schlüge.
Und eine Träne hing in des einfachen Mannes Auge, mit einem rührenden
Licht, wie wenn aus den Opalschaleu der Muschel eine edle Perle sich löst . . .
„Armer Mann," sagte ich unwillkürlich, — „und so seid Ihr ganz leer in Euer
Leben zurückgegangen?"
„Gelebt habe ich in den ersten Jahren danach wohl kaum; aber ich mußte
vorwärts I Und dann —" sagte er schaudernd, „ich bin den Morgen nach jener
Sterbensnacht zu meinem Dienstobercn gegangen und hab' es durch Bitten erlangt,
einen andern Botenweg zu bekommen. Weil ich pünktlich und treu im Amt war,
hat man mir's auch bewilligt; kopfschüttelnd freilich, denn der Weg an dieser
Bergseite ist viel länger und beschwerlicher und steht doch unter gleichem Lohn, —
und seht, so blieb mir wenigstens der Anblick des Totenhauses entrückt . . .'
Und dann, — mein Vater war ja da, und — das Gebot! Daran hab
ich mich gehalten wie an einen starken Stab und bin im Staub, so im tiefen
Staub des Lebens, das nun keinen Feiertag mehr für mich halte, stetig gewandert.
Mein Herz hat dann nach und nach so eine Art von zager Frohheit bekommen.
'
Lachen hab' ich nie mehr können, — aber doch ein wehmütig Lächeln hab
ich gefunden und eine stille Freudigkeit an einsamen Dingen — an Dingen, wo
mir die Menschen fern blieben. Bücher mit nachdenklichen Geschichten und vor
allem die liebe Natur draußen, die ich nach und nach mit all ihren Stimmen
verstand.
Einmal nur hat mich etwas aufgeschreckt. Da hab' ich erst gesehen, wie
viel Abgründiges in mir ich mit Hüllen bedeckt hatte, um nicht in das Grauen zu
sehen, — und wie so gar dünn die Hüllen waren.
Mein Freund, der Bote, der drüben die Bergseite seit Jahren begeht, wo - ^
Brigittcns Haus steht, der ward krank, und mein Amtsoberer stellte mich zum
Vertreter. Das ist just eine Woche her. Ich Hab's nach einem Tag aufgegeben,"
er seufzte laut auf vor Qual, „denn lieber hätte ich mein Brot verloren, als
wieder an dem Totenhügel vorüber zu müssen.
Und dann — das tote Haus war gar uicht tot, — sondern es stand in
lauter Glanz und Blüten, und es war voller Sonne und Lachen. — Blonde
Kinderköpfchen lugten über die Jasminhecken, und die Büsche blühten — blühten
wie damals, also daß mein Weg voll Duft wurde und es mir war, als müsse
das tote Glück aufstehen und gegen mich herwandeln.
Es ist auch aus der Tür droben getreten, — aber es war nur ein Schatten —
ein armer Schatten im hellen Tagesschein. Eine blasse ernste Frau hat mich an¬
gestarrt — mit Augen, hört: mit Augen, die wie aus einer andern Welt herblickten.
Da wußte ich zum zweitenmal, daß gestorbene Herzen weiterleben können,
und daß es ein Heiligeres über dem Glück gibt — und das heißt: Pflicht!" . . ,
Des Boten Worte verhallten, und es ward eine Stille um uns.
Das Abendlicht stand wie ein Rinnen von feinem Silber in der Lust.
Försters Gestalt richtete sich hoch auf, und seine Blicke gingen groß und
suchend in die Ferne, als sähen sie über Dinge hinaus, auf ewig Einiges, etwas,
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