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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Jasmin

Ein ganz absonderliches, wie abwesendes Lächeln lag dann um seinen Mund,
als tue er seiner Hände Werk wie eine Erlösung von etwas, das ihm auf die
Seele geworfen sei. Und jedes Brieflein, um das seine Tasche leichter wurde,
war gleichsam wie der hinschwindende Bruchteil einer Bürde.

In seinen Bewegungen lag etwas träumerisch Verlorenes und doch wieder
Pedantisch Bewußtes und ängstlich Geschäftiges. So etwa wie bei Knaben, deren
Schulweg durch duftenden Hochwald und an lockenden Gärten vorüber führt, die
starke Liebe zu der Schönheit und Freiheit ringsher in die erzene Kette gezwängt
wird, die Schule und Gesetz ihnen auflegt -- nur war's bei ihm, als liebe er
auch die Kette, -- vielleicht' weil sie ihm eine Festigkeit vor sich selbst und vor
seinen fragenden Wünschen gab . . . Und doch lag in den Augen des Boten oft
etwas von der reinen Wärme und dein wunschlosen Glanz eines spielenden
Kindes ...

Er stand also eines Juniabends am Weg. Reiche Jasminbüsche hingen dort
von den Gärten herüber; im zitternden Spätlicht funkelten sie wie Perlmutter in
zarter Silberfassung, und ein Duft, ein Duft stieg aus den tausend Sternlein, als
ob der Sommer einen sonderlich geheimen Born von Würze erschlossen hätte.

sM in^"ze des Lenzes, zur heißen Reifezeit findet die Natur
!eM^ ^e ^n leiser Rausch wirken und die Seele erregen, -- also daß
s? Bewußtes sich trunken erhebt, und verstummter Schmerz und schüchternste
^-W Erlösung und Offenbarung finden.

Und so berauschend ist Jasminduft.

AN ^se mit seiner rauhen Hand in die Blüten, die wie ein bleicher
^nah waren, blendend zu schauen und weich anzutasten. Es war nur eine plumpe
^ewegung, und doch lag es wie eine keusche Huldigung und scheue Grazie darin.
Der Mann seufzte schwer auf. > ^ ^

Ich rief ihm ein besonders fröhliches "Guten Abend" zu; denn mir war,
ins mußte ich diesen Ganzeinsamen mit einem frohen Wort der Teilnahme aus
inner Gedankenverlorenheit erlösen.

Denn, daß er einsam war, wußte ich längst aus seinen Augen, die gleich¬
kam an den Freuden des Lebens vorübersahen-, -- und er erschien mir als eine
Mer einfachen, starken Naturen, die mit ungebrochener Kraft, die sich nicht in
^. Strebungen zerstreut, auf ihre Ziele hingehen, und die innerlich stärker, aber
Mer und einsamer werden, wenn das Schicksal ihnen das Erreichen verneint.

^es habe solche ungebrochene Naturen viel öfter im Volk gefunden, als unter
denen, die die Welt die "Gebildeten" nennt. Denn den -nächtigen und vielerlei
Gute^"^"' ^^ukuugen und Forderungen gegenüber, mit denen die moderne
starkes' und die sogenannten Gebildeten schafft, bleiben nur ganz
D?1 k A"^in in ihrer gebundenen Geschlossenheit; die meisten zerstreuen ihr
euren, Fühlen und Streben und setzen so den Prüfungen und Fragen des Lebens
immer nur Teile ihrer Kraft entgegen.

Für den Durchschnitt der Menschen kann es wohl als Wahrheit gelten:
le komplizierter das Geistesleben wird, desto weniger geschlossen und gewappnet
MM Streit mit den dunkeln Mächten des Lebens wird -- der Charakter.

Die Überragenden, über das Mittelmaß Emporgewachsenen freilich, die haben
auch die Spannkraft, dem Anprall der Eindrücke gegenüber nicht zu zersplittern,
sondern sich geschlossen und in einem Kernpunkt gesammelt zu halten.

Der Mann sah erschrocken ans, wie einer, der einen Höhenweg im Herbst
wacht, in den Nebel an abgründige Stellen gerät und sie erst erkennt, wenn die
Sonne den Dunst plötzlich mit goldenem Schwert zerschneidet.


Jasmin

Ein ganz absonderliches, wie abwesendes Lächeln lag dann um seinen Mund,
als tue er seiner Hände Werk wie eine Erlösung von etwas, das ihm auf die
Seele geworfen sei. Und jedes Brieflein, um das seine Tasche leichter wurde,
war gleichsam wie der hinschwindende Bruchteil einer Bürde.

In seinen Bewegungen lag etwas träumerisch Verlorenes und doch wieder
Pedantisch Bewußtes und ängstlich Geschäftiges. So etwa wie bei Knaben, deren
Schulweg durch duftenden Hochwald und an lockenden Gärten vorüber führt, die
starke Liebe zu der Schönheit und Freiheit ringsher in die erzene Kette gezwängt
wird, die Schule und Gesetz ihnen auflegt — nur war's bei ihm, als liebe er
auch die Kette, — vielleicht' weil sie ihm eine Festigkeit vor sich selbst und vor
seinen fragenden Wünschen gab . . . Und doch lag in den Augen des Boten oft
etwas von der reinen Wärme und dein wunschlosen Glanz eines spielenden
Kindes ...

Er stand also eines Juniabends am Weg. Reiche Jasminbüsche hingen dort
von den Gärten herüber; im zitternden Spätlicht funkelten sie wie Perlmutter in
zarter Silberfassung, und ein Duft, ein Duft stieg aus den tausend Sternlein, als
ob der Sommer einen sonderlich geheimen Born von Würze erschlossen hätte.

sM in^"ze des Lenzes, zur heißen Reifezeit findet die Natur
!eM^ ^e ^n leiser Rausch wirken und die Seele erregen, — also daß
s? Bewußtes sich trunken erhebt, und verstummter Schmerz und schüchternste
^-W Erlösung und Offenbarung finden.

Und so berauschend ist Jasminduft.

AN ^se mit seiner rauhen Hand in die Blüten, die wie ein bleicher
^nah waren, blendend zu schauen und weich anzutasten. Es war nur eine plumpe
^ewegung, und doch lag es wie eine keusche Huldigung und scheue Grazie darin.
Der Mann seufzte schwer auf. > ^ ^

Ich rief ihm ein besonders fröhliches „Guten Abend" zu; denn mir war,
ins mußte ich diesen Ganzeinsamen mit einem frohen Wort der Teilnahme aus
inner Gedankenverlorenheit erlösen.

Denn, daß er einsam war, wußte ich längst aus seinen Augen, die gleich¬
kam an den Freuden des Lebens vorübersahen-, — und er erschien mir als eine
Mer einfachen, starken Naturen, die mit ungebrochener Kraft, die sich nicht in
^. Strebungen zerstreut, auf ihre Ziele hingehen, und die innerlich stärker, aber
Mer und einsamer werden, wenn das Schicksal ihnen das Erreichen verneint.

^es habe solche ungebrochene Naturen viel öfter im Volk gefunden, als unter
denen, die die Welt die „Gebildeten" nennt. Denn den -nächtigen und vielerlei
Gute^"^"' ^^ukuugen und Forderungen gegenüber, mit denen die moderne
starkes' und die sogenannten Gebildeten schafft, bleiben nur ganz
D?1 k A"^in in ihrer gebundenen Geschlossenheit; die meisten zerstreuen ihr
euren, Fühlen und Streben und setzen so den Prüfungen und Fragen des Lebens
immer nur Teile ihrer Kraft entgegen.

Für den Durchschnitt der Menschen kann es wohl als Wahrheit gelten:
le komplizierter das Geistesleben wird, desto weniger geschlossen und gewappnet
MM Streit mit den dunkeln Mächten des Lebens wird — der Charakter.

Die Überragenden, über das Mittelmaß Emporgewachsenen freilich, die haben
auch die Spannkraft, dem Anprall der Eindrücke gegenüber nicht zu zersplittern,
sondern sich geschlossen und in einem Kernpunkt gesammelt zu halten.

Der Mann sah erschrocken ans, wie einer, der einen Höhenweg im Herbst
wacht, in den Nebel an abgründige Stellen gerät und sie erst erkennt, wenn die
Sonne den Dunst plötzlich mit goldenem Schwert zerschneidet.


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[0185] Jasmin Ein ganz absonderliches, wie abwesendes Lächeln lag dann um seinen Mund, als tue er seiner Hände Werk wie eine Erlösung von etwas, das ihm auf die Seele geworfen sei. Und jedes Brieflein, um das seine Tasche leichter wurde, war gleichsam wie der hinschwindende Bruchteil einer Bürde. In seinen Bewegungen lag etwas träumerisch Verlorenes und doch wieder Pedantisch Bewußtes und ängstlich Geschäftiges. So etwa wie bei Knaben, deren Schulweg durch duftenden Hochwald und an lockenden Gärten vorüber führt, die starke Liebe zu der Schönheit und Freiheit ringsher in die erzene Kette gezwängt wird, die Schule und Gesetz ihnen auflegt — nur war's bei ihm, als liebe er auch die Kette, — vielleicht' weil sie ihm eine Festigkeit vor sich selbst und vor seinen fragenden Wünschen gab . . . Und doch lag in den Augen des Boten oft etwas von der reinen Wärme und dein wunschlosen Glanz eines spielenden Kindes ... Er stand also eines Juniabends am Weg. Reiche Jasminbüsche hingen dort von den Gärten herüber; im zitternden Spätlicht funkelten sie wie Perlmutter in zarter Silberfassung, und ein Duft, ein Duft stieg aus den tausend Sternlein, als ob der Sommer einen sonderlich geheimen Born von Würze erschlossen hätte. sM in^"ze des Lenzes, zur heißen Reifezeit findet die Natur !eM^ ^e ^n leiser Rausch wirken und die Seele erregen, — also daß s? Bewußtes sich trunken erhebt, und verstummter Schmerz und schüchternste ^-W Erlösung und Offenbarung finden. Und so berauschend ist Jasminduft. AN ^se mit seiner rauhen Hand in die Blüten, die wie ein bleicher ^nah waren, blendend zu schauen und weich anzutasten. Es war nur eine plumpe ^ewegung, und doch lag es wie eine keusche Huldigung und scheue Grazie darin. Der Mann seufzte schwer auf. > ^ ^ Ich rief ihm ein besonders fröhliches „Guten Abend" zu; denn mir war, ins mußte ich diesen Ganzeinsamen mit einem frohen Wort der Teilnahme aus inner Gedankenverlorenheit erlösen. Denn, daß er einsam war, wußte ich längst aus seinen Augen, die gleich¬ kam an den Freuden des Lebens vorübersahen-, — und er erschien mir als eine Mer einfachen, starken Naturen, die mit ungebrochener Kraft, die sich nicht in ^. Strebungen zerstreut, auf ihre Ziele hingehen, und die innerlich stärker, aber Mer und einsamer werden, wenn das Schicksal ihnen das Erreichen verneint. ^es habe solche ungebrochene Naturen viel öfter im Volk gefunden, als unter denen, die die Welt die „Gebildeten" nennt. Denn den -nächtigen und vielerlei Gute^"^"' ^^ukuugen und Forderungen gegenüber, mit denen die moderne starkes' und die sogenannten Gebildeten schafft, bleiben nur ganz D?1 k A"^in in ihrer gebundenen Geschlossenheit; die meisten zerstreuen ihr euren, Fühlen und Streben und setzen so den Prüfungen und Fragen des Lebens immer nur Teile ihrer Kraft entgegen. Für den Durchschnitt der Menschen kann es wohl als Wahrheit gelten: le komplizierter das Geistesleben wird, desto weniger geschlossen und gewappnet MM Streit mit den dunkeln Mächten des Lebens wird — der Charakter. Die Überragenden, über das Mittelmaß Emporgewachsenen freilich, die haben auch die Spannkraft, dem Anprall der Eindrücke gegenüber nicht zu zersplittern, sondern sich geschlossen und in einem Kernpunkt gesammelt zu halten. Der Mann sah erschrocken ans, wie einer, der einen Höhenweg im Herbst wacht, in den Nebel an abgründige Stellen gerät und sie erst erkennt, wenn die Sonne den Dunst plötzlich mit goldenem Schwert zerschneidet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/185>, abgerufen am 22.12.2024.