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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Koloniale Fortschritte

Tracht, Ihre Andenken, Ihr Kunstdenkmal, Ihre Gartenanlagen, Ihre schmutzigen
Servietten, Ihre miserablen Fremdenzimmer und überhaupt deu ganzen schwindel¬
hafter Kram wieder einpacken müssen, wenn Sie so fortmachen. Die Auffassung
ist falsch und verwerflich, daß der Fremde ein Ausbeutungsobjekt ist . . . Der
Bürgermeister war verständig genug, es einzusehen. Aber er zuckte mit den
Achseln. Es ist halt der Geist der Zeit, sagte er, gleichsam zur Entschuldigung.
Die Zeit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach ihr richten!

Hat der Bürgermeister recht? Der Fortschritt hält es mit der Billigkeit.
Für etliche Heller kann ich in einem elektrischen Wagen sitzen und eine Riesen¬
stadt wie Wien durchqueren. Wer hätte das vor fünfzig Jahren gedacht?
Das ist Fortschritt. Man sage also nichts gegen die Billigkeit. Wenn Kultur
in die Massen kommen soll, müssen die Kulturgüter immer noch billiger werden,
weil sie sonst für die Masse unerschwinglich bleiben. Wer der Geist der Zeit
hält es auch mit der Qualität. Der weitere Fortschritt wird darin bestehen,
daß das Billige Qualität bekommt. Ohne Qualität gibt es keine Kultur. Der
große Konkurrenzkampf in der Industrie hat dieses Ziel. Warum nicht auch in
der Fremdenindustrie?




Koloniale Fortschritte

s geht vorwärts mit unsern Kolonien. Zug um Zug wird das
Verkehrsnetz draußen ausgebaut. Kaum mehr eine Reichstags¬
session ohne koloniale Eiseitbahnvorlage. Und das Bezeichnende
und Erfreuliche dabei ist, daß diese Vorlagen heute beinahe
schmerzlos und ohne viel Gerede im Reichstag verabschiedet
werden. Es kann sich eben kein vernünftiger Mensch mehr der Einsicht ver¬
schließen, daß das Geld, das in den Kolonien angelegt wird, gut angelegt ist.

So drehte sich denn auch in den letzten Wochen in der Budgetkommission die
Erörterung über den kolonialen Nachtragsctat nicht um die Frage, ob die Fort¬
führung der Usambarabahn nach dem Kilimandscharo bewilligt werden
solle oder nicht, sondern im wesentlichen nur darum, wie man dieser Bahn am
besten vorarbeiten und wie man sie der wirtschaftlichen Erschließung des Landes
am wirkungsvollsten dienstbar machen könnte.

Bei dieser Gelegenheit wird es wohl Herrn Dernburg auch klar geworden
sein, wie volkstümlich der Gedanke der Besiedlung der Kolonien durch
Reichsdeutsche ist. Die gute Aufnahme, der sich die Vorlage zu erfreuen hatte,
verdankt diese in erster Linie dein Umstand, daß die Bahn nach der amtlichen


Grenzboten I 1910 22
Koloniale Fortschritte

Tracht, Ihre Andenken, Ihr Kunstdenkmal, Ihre Gartenanlagen, Ihre schmutzigen
Servietten, Ihre miserablen Fremdenzimmer und überhaupt deu ganzen schwindel¬
hafter Kram wieder einpacken müssen, wenn Sie so fortmachen. Die Auffassung
ist falsch und verwerflich, daß der Fremde ein Ausbeutungsobjekt ist . . . Der
Bürgermeister war verständig genug, es einzusehen. Aber er zuckte mit den
Achseln. Es ist halt der Geist der Zeit, sagte er, gleichsam zur Entschuldigung.
Die Zeit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach ihr richten!

Hat der Bürgermeister recht? Der Fortschritt hält es mit der Billigkeit.
Für etliche Heller kann ich in einem elektrischen Wagen sitzen und eine Riesen¬
stadt wie Wien durchqueren. Wer hätte das vor fünfzig Jahren gedacht?
Das ist Fortschritt. Man sage also nichts gegen die Billigkeit. Wenn Kultur
in die Massen kommen soll, müssen die Kulturgüter immer noch billiger werden,
weil sie sonst für die Masse unerschwinglich bleiben. Wer der Geist der Zeit
hält es auch mit der Qualität. Der weitere Fortschritt wird darin bestehen,
daß das Billige Qualität bekommt. Ohne Qualität gibt es keine Kultur. Der
große Konkurrenzkampf in der Industrie hat dieses Ziel. Warum nicht auch in
der Fremdenindustrie?




Koloniale Fortschritte

s geht vorwärts mit unsern Kolonien. Zug um Zug wird das
Verkehrsnetz draußen ausgebaut. Kaum mehr eine Reichstags¬
session ohne koloniale Eiseitbahnvorlage. Und das Bezeichnende
und Erfreuliche dabei ist, daß diese Vorlagen heute beinahe
schmerzlos und ohne viel Gerede im Reichstag verabschiedet
werden. Es kann sich eben kein vernünftiger Mensch mehr der Einsicht ver¬
schließen, daß das Geld, das in den Kolonien angelegt wird, gut angelegt ist.

So drehte sich denn auch in den letzten Wochen in der Budgetkommission die
Erörterung über den kolonialen Nachtragsctat nicht um die Frage, ob die Fort¬
führung der Usambarabahn nach dem Kilimandscharo bewilligt werden
solle oder nicht, sondern im wesentlichen nur darum, wie man dieser Bahn am
besten vorarbeiten und wie man sie der wirtschaftlichen Erschließung des Landes
am wirkungsvollsten dienstbar machen könnte.

Bei dieser Gelegenheit wird es wohl Herrn Dernburg auch klar geworden
sein, wie volkstümlich der Gedanke der Besiedlung der Kolonien durch
Reichsdeutsche ist. Die gute Aufnahme, der sich die Vorlage zu erfreuen hatte,
verdankt diese in erster Linie dein Umstand, daß die Bahn nach der amtlichen


Grenzboten I 1910 22
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[0181] Koloniale Fortschritte Tracht, Ihre Andenken, Ihr Kunstdenkmal, Ihre Gartenanlagen, Ihre schmutzigen Servietten, Ihre miserablen Fremdenzimmer und überhaupt deu ganzen schwindel¬ hafter Kram wieder einpacken müssen, wenn Sie so fortmachen. Die Auffassung ist falsch und verwerflich, daß der Fremde ein Ausbeutungsobjekt ist . . . Der Bürgermeister war verständig genug, es einzusehen. Aber er zuckte mit den Achseln. Es ist halt der Geist der Zeit, sagte er, gleichsam zur Entschuldigung. Die Zeit richtet sich nicht nach uns, wir müssen uns nach ihr richten! Hat der Bürgermeister recht? Der Fortschritt hält es mit der Billigkeit. Für etliche Heller kann ich in einem elektrischen Wagen sitzen und eine Riesen¬ stadt wie Wien durchqueren. Wer hätte das vor fünfzig Jahren gedacht? Das ist Fortschritt. Man sage also nichts gegen die Billigkeit. Wenn Kultur in die Massen kommen soll, müssen die Kulturgüter immer noch billiger werden, weil sie sonst für die Masse unerschwinglich bleiben. Wer der Geist der Zeit hält es auch mit der Qualität. Der weitere Fortschritt wird darin bestehen, daß das Billige Qualität bekommt. Ohne Qualität gibt es keine Kultur. Der große Konkurrenzkampf in der Industrie hat dieses Ziel. Warum nicht auch in der Fremdenindustrie? Koloniale Fortschritte s geht vorwärts mit unsern Kolonien. Zug um Zug wird das Verkehrsnetz draußen ausgebaut. Kaum mehr eine Reichstags¬ session ohne koloniale Eiseitbahnvorlage. Und das Bezeichnende und Erfreuliche dabei ist, daß diese Vorlagen heute beinahe schmerzlos und ohne viel Gerede im Reichstag verabschiedet werden. Es kann sich eben kein vernünftiger Mensch mehr der Einsicht ver¬ schließen, daß das Geld, das in den Kolonien angelegt wird, gut angelegt ist. So drehte sich denn auch in den letzten Wochen in der Budgetkommission die Erörterung über den kolonialen Nachtragsctat nicht um die Frage, ob die Fort¬ führung der Usambarabahn nach dem Kilimandscharo bewilligt werden solle oder nicht, sondern im wesentlichen nur darum, wie man dieser Bahn am besten vorarbeiten und wie man sie der wirtschaftlichen Erschließung des Landes am wirkungsvollsten dienstbar machen könnte. Bei dieser Gelegenheit wird es wohl Herrn Dernburg auch klar geworden sein, wie volkstümlich der Gedanke der Besiedlung der Kolonien durch Reichsdeutsche ist. Die gute Aufnahme, der sich die Vorlage zu erfreuen hatte, verdankt diese in erster Linie dein Umstand, daß die Bahn nach der amtlichen Grenzboten I 1910 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/181>, abgerufen am 22.12.2024.