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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Niedergang der politischen Parteien

Widerstände rüsten, einem Widerstande, dessen historischer Vorsprung sicher
steht. Denn zweifellos hat sich die Erholung Deutschlands nach dein dreißig¬
jährigen Kriege nicht unter dem Einfluß des Reichs, soudern unter dem der
Partikularstaateu, vor allein Preußens vollzogen. Ebensowenig kann aber
bezweifelt werden, daß diese schöpferische Kraft dnrch die Wideraufrichtung des
Reichs zum größten Teile auf den neuen Organismus zurückgekommen ist. Ein
derartiger lebendiger Körper kann sich nicht auf die lediglich mechanische Wirkung
eines Bandes beschränken, sondern entwickelt aus sich selbst heraus eignes
Leben nach eignen Gesetzen. Durch die einzelnen Glieder kann er in seinen
Lebensäußerungen nicht ohne Schaden beschränkt werden. Daraus ergeben sich
ohne weitres mannigfache Konflikte, deren Schärfe durch die Macht jedes
einzelnen der beteiligten Staate,: bedingt wird. Solche Konflikte, die den großen
Kanzler nicht selten behinderten, sind auch in den letzten Reichstagsverhandlungen
deutlich zutage getreten. Weigerten sich doch alle größern Einzelstaaten, von
ihren Vermögens- und Einkommensteuern an das Reich abzutreten, obgleich sie
sich sagen mußten, daß ihre Finanzen nicht zur Ruhe kommen würden, solange
nicht eine völlige Trennung von denen des Reichs durchgeführt, die Matrikular-
bciträge mithin beseitigt würden. Dies ist aber ohne direkte Reichssteuern
nicht durchzuführen. Schon am 1. Juli 1857 schreibt Bismarck an Manteuffel:
"Es wird stets der Stein der Weisen für deutsche Politiker bleiben, die Macht
der einheitlichen Zentralgewalt zu fördern und zugleich die Autonomie der
einzelnen Staaten ungeschmälert zu erhalten." Auch dies Problem ist unlösbar,
und wenn das Reich nicht wieder auseinander fallen soll, müssen sich die
Partikularstaaten noch weitre Beschränkungen auferlegen lassen. Wo der
Widerstand seinen Mittelpunkt hat, sagt schon vor 40 Jahren der jetzt längst
vergessene von Unruh: "Der zähe Partikularismus steckt in den höhern
Schichten, namentlich in den Beamten." Damit stimmt eine vielbemerkte
Aufzeichnung des Fürsten Hohenlohe buchstäblich überein. Stillstand gibt es
aber in Lebensvorgängen nicht; jeder muß sich entscheiden was er will:
entweder Fortschritt zur weiteren Ausbildung des Reichs, oder Zerfall in
einzelne Teile. Tritt man dieser Vorstellung näher, so ist der nächste
Gedanke der an die Mainlinie, im Norden ein Großprenßen, und eine südliche
Staatengruppe. Die aber würde ein Spielball zwischen den Nachbarn werden.
Wer kann da über den richtigen Weg den geringsten Zweifel hegen?

Mithin müssen sich die neuen erstarkenden Jnteressenverbände auch mit
den Einzelstaaten auseinandersetzen. Ihrem wirtschaftlichen Charakter ent¬
sprechend werden sie ihre Haupttätigkeit auf finanziellem Gebiete entwickeln.
Dort dürften auch die wichtigsten Aufgaben der Reichsbehörden fürs erste
liegen. Die Finanzfragen werden nicht wieder verschwinden, bis eine be¬
friedigende Lösung erreicht ist. Dadurch dürsten die in den verflossnen fünf-
undzwanzig Jahren dominierenden sozialen Neuschöpfungen in den Hintergrund
treten. Es scheint anch in der Tat, daß die den produzierenden Ständen durch die


Der Niedergang der politischen Parteien

Widerstände rüsten, einem Widerstande, dessen historischer Vorsprung sicher
steht. Denn zweifellos hat sich die Erholung Deutschlands nach dein dreißig¬
jährigen Kriege nicht unter dem Einfluß des Reichs, soudern unter dem der
Partikularstaateu, vor allein Preußens vollzogen. Ebensowenig kann aber
bezweifelt werden, daß diese schöpferische Kraft dnrch die Wideraufrichtung des
Reichs zum größten Teile auf den neuen Organismus zurückgekommen ist. Ein
derartiger lebendiger Körper kann sich nicht auf die lediglich mechanische Wirkung
eines Bandes beschränken, sondern entwickelt aus sich selbst heraus eignes
Leben nach eignen Gesetzen. Durch die einzelnen Glieder kann er in seinen
Lebensäußerungen nicht ohne Schaden beschränkt werden. Daraus ergeben sich
ohne weitres mannigfache Konflikte, deren Schärfe durch die Macht jedes
einzelnen der beteiligten Staate,: bedingt wird. Solche Konflikte, die den großen
Kanzler nicht selten behinderten, sind auch in den letzten Reichstagsverhandlungen
deutlich zutage getreten. Weigerten sich doch alle größern Einzelstaaten, von
ihren Vermögens- und Einkommensteuern an das Reich abzutreten, obgleich sie
sich sagen mußten, daß ihre Finanzen nicht zur Ruhe kommen würden, solange
nicht eine völlige Trennung von denen des Reichs durchgeführt, die Matrikular-
bciträge mithin beseitigt würden. Dies ist aber ohne direkte Reichssteuern
nicht durchzuführen. Schon am 1. Juli 1857 schreibt Bismarck an Manteuffel:
„Es wird stets der Stein der Weisen für deutsche Politiker bleiben, die Macht
der einheitlichen Zentralgewalt zu fördern und zugleich die Autonomie der
einzelnen Staaten ungeschmälert zu erhalten." Auch dies Problem ist unlösbar,
und wenn das Reich nicht wieder auseinander fallen soll, müssen sich die
Partikularstaaten noch weitre Beschränkungen auferlegen lassen. Wo der
Widerstand seinen Mittelpunkt hat, sagt schon vor 40 Jahren der jetzt längst
vergessene von Unruh: „Der zähe Partikularismus steckt in den höhern
Schichten, namentlich in den Beamten." Damit stimmt eine vielbemerkte
Aufzeichnung des Fürsten Hohenlohe buchstäblich überein. Stillstand gibt es
aber in Lebensvorgängen nicht; jeder muß sich entscheiden was er will:
entweder Fortschritt zur weiteren Ausbildung des Reichs, oder Zerfall in
einzelne Teile. Tritt man dieser Vorstellung näher, so ist der nächste
Gedanke der an die Mainlinie, im Norden ein Großprenßen, und eine südliche
Staatengruppe. Die aber würde ein Spielball zwischen den Nachbarn werden.
Wer kann da über den richtigen Weg den geringsten Zweifel hegen?

Mithin müssen sich die neuen erstarkenden Jnteressenverbände auch mit
den Einzelstaaten auseinandersetzen. Ihrem wirtschaftlichen Charakter ent¬
sprechend werden sie ihre Haupttätigkeit auf finanziellem Gebiete entwickeln.
Dort dürften auch die wichtigsten Aufgaben der Reichsbehörden fürs erste
liegen. Die Finanzfragen werden nicht wieder verschwinden, bis eine be¬
friedigende Lösung erreicht ist. Dadurch dürsten die in den verflossnen fünf-
undzwanzig Jahren dominierenden sozialen Neuschöpfungen in den Hintergrund
treten. Es scheint anch in der Tat, daß die den produzierenden Ständen durch die


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[0018] Der Niedergang der politischen Parteien Widerstände rüsten, einem Widerstande, dessen historischer Vorsprung sicher steht. Denn zweifellos hat sich die Erholung Deutschlands nach dein dreißig¬ jährigen Kriege nicht unter dem Einfluß des Reichs, soudern unter dem der Partikularstaateu, vor allein Preußens vollzogen. Ebensowenig kann aber bezweifelt werden, daß diese schöpferische Kraft dnrch die Wideraufrichtung des Reichs zum größten Teile auf den neuen Organismus zurückgekommen ist. Ein derartiger lebendiger Körper kann sich nicht auf die lediglich mechanische Wirkung eines Bandes beschränken, sondern entwickelt aus sich selbst heraus eignes Leben nach eignen Gesetzen. Durch die einzelnen Glieder kann er in seinen Lebensäußerungen nicht ohne Schaden beschränkt werden. Daraus ergeben sich ohne weitres mannigfache Konflikte, deren Schärfe durch die Macht jedes einzelnen der beteiligten Staate,: bedingt wird. Solche Konflikte, die den großen Kanzler nicht selten behinderten, sind auch in den letzten Reichstagsverhandlungen deutlich zutage getreten. Weigerten sich doch alle größern Einzelstaaten, von ihren Vermögens- und Einkommensteuern an das Reich abzutreten, obgleich sie sich sagen mußten, daß ihre Finanzen nicht zur Ruhe kommen würden, solange nicht eine völlige Trennung von denen des Reichs durchgeführt, die Matrikular- bciträge mithin beseitigt würden. Dies ist aber ohne direkte Reichssteuern nicht durchzuführen. Schon am 1. Juli 1857 schreibt Bismarck an Manteuffel: „Es wird stets der Stein der Weisen für deutsche Politiker bleiben, die Macht der einheitlichen Zentralgewalt zu fördern und zugleich die Autonomie der einzelnen Staaten ungeschmälert zu erhalten." Auch dies Problem ist unlösbar, und wenn das Reich nicht wieder auseinander fallen soll, müssen sich die Partikularstaaten noch weitre Beschränkungen auferlegen lassen. Wo der Widerstand seinen Mittelpunkt hat, sagt schon vor 40 Jahren der jetzt längst vergessene von Unruh: „Der zähe Partikularismus steckt in den höhern Schichten, namentlich in den Beamten." Damit stimmt eine vielbemerkte Aufzeichnung des Fürsten Hohenlohe buchstäblich überein. Stillstand gibt es aber in Lebensvorgängen nicht; jeder muß sich entscheiden was er will: entweder Fortschritt zur weiteren Ausbildung des Reichs, oder Zerfall in einzelne Teile. Tritt man dieser Vorstellung näher, so ist der nächste Gedanke der an die Mainlinie, im Norden ein Großprenßen, und eine südliche Staatengruppe. Die aber würde ein Spielball zwischen den Nachbarn werden. Wer kann da über den richtigen Weg den geringsten Zweifel hegen? Mithin müssen sich die neuen erstarkenden Jnteressenverbände auch mit den Einzelstaaten auseinandersetzen. Ihrem wirtschaftlichen Charakter ent¬ sprechend werden sie ihre Haupttätigkeit auf finanziellem Gebiete entwickeln. Dort dürften auch die wichtigsten Aufgaben der Reichsbehörden fürs erste liegen. Die Finanzfragen werden nicht wieder verschwinden, bis eine be¬ friedigende Lösung erreicht ist. Dadurch dürsten die in den verflossnen fünf- undzwanzig Jahren dominierenden sozialen Neuschöpfungen in den Hintergrund treten. Es scheint anch in der Tat, daß die den produzierenden Ständen durch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/18>, abgerufen am 22.12.2024.