Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Lremdenindiistrie handelte, und gingen mit Feuereifer daran, sich auf die neue Industrie ein¬ Ein paar alte Linden am Hauptplatz wurden gefällt, um ein Denkmal an Lremdenindiistrie handelte, und gingen mit Feuereifer daran, sich auf die neue Industrie ein¬ Ein paar alte Linden am Hauptplatz wurden gefällt, um ein Denkmal an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315175"/> <fw type="header" place="top"> Lremdenindiistrie</fw><lb/> <p xml:id="ID_576" prev="#ID_575"> handelte, und gingen mit Feuereifer daran, sich auf die neue Industrie ein¬<lb/> zurichten. Der Kleinbürger begann sein altes, behäbiges Haus großstädtisch<lb/> umzuwandeln. Er ließ die alten Fenster, die ihm zu klein schienen für gro߬<lb/> städtische Ansprüche, wegnehmen und fügte große Fensterflügel ein, billige<lb/> Fabrikware, die in allen Fugen klaffte und nicht schließen wollte. Er ließ das<lb/> Dach neu decken, nicht mit den schönen, altroten Ziegeln, die es früher hatte,<lb/> sondern mit dem billigen, künstlichen Schiefer, der in seiner dünnen Maschinen-<lb/> Härte und seiner charakterlosen hellgrauen Farbe furchtbar gemein aussieht.<lb/> Damit der Schmuck nicht fehle, ließ er ein zuckerhutförmiges Türmchen aufsetzen,<lb/> mit dem gleichen unerträglichen Schiefergedeck, ein Türmchen, von dein niemand<lb/> zu sagen wußte, wozu es da war. Der Schönheit wegen, hieß es im allgemeinen.<lb/> Das Haus war nicht mehr zu kennen, so proletarisch sah es aus. Aber, es<lb/> war „neuzeitlich", was die Hauptsache war. Villa wurde es getauft. Der<lb/> Wirt taufte sein Gasthaus „Restauration" und taufte gelegentlich wohl auch<lb/> seinen Wein. Früher speiste man an blankgescheuerten Tischen, ländlich behaglich,<lb/> jetzt ist die Einrichtung altdeutsch, saucigbraun, wozu denn auch die rostigen<lb/> Gabeln und die schmutzigen Servietten vortrefflich passen.</p><lb/> <p xml:id="ID_577" next="#ID_578"> Ein paar alte Linden am Hauptplatz wurden gefällt, um ein Denkmal an<lb/> diese Stelle zu setzen, damit es an „Kunst" nicht fehle, weil nach der Meinung<lb/> der guten Bürger der Erholungsreisende nur dorthin geht, wo er die „Kunst"<lb/> findet. Das Denkmal war einer patriotischen Gesinnung entsprungen und bildete<lb/> das Geschenk eines Steinmetzmeisters, der zwar im Orte geboren, aber in der<lb/> Großstadt mit der Grabmalindustrie längst zu großem Vermögen gelangt war.<lb/> Auch das Denkmal war „Kunstindustrie". Die Stiftung bestimmte, daß es<lb/> gerade dort stehen müßte, wo die Linden standen, damit die Fremden, die in<lb/> den Ort kamen, es gleich von weitem sähen und nicht lange irre zu gehen<lb/> brauchten. Selbst dein guten Bürgermeister wurde diese Kunst bedenklich. Aber<lb/> weil sich, wie gesagt, mit diesem Werk eine patriotische Gesinnung verband, so<lb/> konnte er nicht mucksen. Um Gottes willen nicht; er wußte, was er seiner<lb/> Stellung schuldig war. Die Linden mußten also weichen, und der Veteranen¬<lb/> verein schrie Hurra und soff bis in den Morgen. Manchen: im Orte tat zwar<lb/> das Herz im Leibe weh, als die unersetzlichen, uralten, schönen Bäume fiele,?,<lb/> aber der hohe Rat hatte schnell ein Pflaster für die Wunde bereit. Eine gro߬<lb/> städtische Gartenanlage um das Denkmal herum, ja, das war der Ausweg.<lb/> Wieder schrie der Veteranenverein bei der Einweihung und Eröffnung Hurra!<lb/> und so weiter, seinen Traditionen gemäß. Die große städtische Gartenanlage<lb/> war herrlich anzuschauen. Ein paar grüne Grasflecken, von einem niedrigen<lb/> Eisengitter umsäumt, in der Mitte ein kleiner Erdgugelhupf, den der Kunst-<lb/> gärtner bereitet hatte, mit schönen Ornamenten aus verschiedenartigen, kurz-<lb/> stengeligen Pflanzen darauf, wie man solche in herrschaftlich eil Gärten zu sehen<lb/> gewohnt ist. Und um diesen Gugelhupf standen auf dem kreisrunden, grob-<lb/> geschottcrten Wege ein paar Bänke mit weißgestrichenem gußeisernen Gestell,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
Lremdenindiistrie
handelte, und gingen mit Feuereifer daran, sich auf die neue Industrie ein¬
zurichten. Der Kleinbürger begann sein altes, behäbiges Haus großstädtisch
umzuwandeln. Er ließ die alten Fenster, die ihm zu klein schienen für gro߬
städtische Ansprüche, wegnehmen und fügte große Fensterflügel ein, billige
Fabrikware, die in allen Fugen klaffte und nicht schließen wollte. Er ließ das
Dach neu decken, nicht mit den schönen, altroten Ziegeln, die es früher hatte,
sondern mit dem billigen, künstlichen Schiefer, der in seiner dünnen Maschinen-
Härte und seiner charakterlosen hellgrauen Farbe furchtbar gemein aussieht.
Damit der Schmuck nicht fehle, ließ er ein zuckerhutförmiges Türmchen aufsetzen,
mit dem gleichen unerträglichen Schiefergedeck, ein Türmchen, von dein niemand
zu sagen wußte, wozu es da war. Der Schönheit wegen, hieß es im allgemeinen.
Das Haus war nicht mehr zu kennen, so proletarisch sah es aus. Aber, es
war „neuzeitlich", was die Hauptsache war. Villa wurde es getauft. Der
Wirt taufte sein Gasthaus „Restauration" und taufte gelegentlich wohl auch
seinen Wein. Früher speiste man an blankgescheuerten Tischen, ländlich behaglich,
jetzt ist die Einrichtung altdeutsch, saucigbraun, wozu denn auch die rostigen
Gabeln und die schmutzigen Servietten vortrefflich passen.
Ein paar alte Linden am Hauptplatz wurden gefällt, um ein Denkmal an
diese Stelle zu setzen, damit es an „Kunst" nicht fehle, weil nach der Meinung
der guten Bürger der Erholungsreisende nur dorthin geht, wo er die „Kunst"
findet. Das Denkmal war einer patriotischen Gesinnung entsprungen und bildete
das Geschenk eines Steinmetzmeisters, der zwar im Orte geboren, aber in der
Großstadt mit der Grabmalindustrie längst zu großem Vermögen gelangt war.
Auch das Denkmal war „Kunstindustrie". Die Stiftung bestimmte, daß es
gerade dort stehen müßte, wo die Linden standen, damit die Fremden, die in
den Ort kamen, es gleich von weitem sähen und nicht lange irre zu gehen
brauchten. Selbst dein guten Bürgermeister wurde diese Kunst bedenklich. Aber
weil sich, wie gesagt, mit diesem Werk eine patriotische Gesinnung verband, so
konnte er nicht mucksen. Um Gottes willen nicht; er wußte, was er seiner
Stellung schuldig war. Die Linden mußten also weichen, und der Veteranen¬
verein schrie Hurra und soff bis in den Morgen. Manchen: im Orte tat zwar
das Herz im Leibe weh, als die unersetzlichen, uralten, schönen Bäume fiele,?,
aber der hohe Rat hatte schnell ein Pflaster für die Wunde bereit. Eine gro߬
städtische Gartenanlage um das Denkmal herum, ja, das war der Ausweg.
Wieder schrie der Veteranenverein bei der Einweihung und Eröffnung Hurra!
und so weiter, seinen Traditionen gemäß. Die große städtische Gartenanlage
war herrlich anzuschauen. Ein paar grüne Grasflecken, von einem niedrigen
Eisengitter umsäumt, in der Mitte ein kleiner Erdgugelhupf, den der Kunst-
gärtner bereitet hatte, mit schönen Ornamenten aus verschiedenartigen, kurz-
stengeligen Pflanzen darauf, wie man solche in herrschaftlich eil Gärten zu sehen
gewohnt ist. Und um diesen Gugelhupf standen auf dem kreisrunden, grob-
geschottcrten Wege ein paar Bänke mit weißgestrichenem gußeisernen Gestell,
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