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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

früheren ungeheuerlichen Zustand der Schulgesetzgebung begründet und hatten
schon so persönliche Gründe. Ich werde darauf uoch zurückkommen.

Auch der Vorwurf der Vielschreiberei, des überwuchernden Aktenregiments
und was sonst dazu gehört, ist in dieser Allgenreinheit unverdient; er beruht
in der Regel auf Übertreibung oder auf Unkenntnis der Verhältnisse oder auf
einer falschen Anschauung oder Auffassung vom Wesen der Verwaltungstätigkeit.
Die Verwaltung arbeitet nicht nur für den Augenblick. Was sie schafft, soll
häufig Jahrzehnte und länger fortdauern und wirken. Viele ihrer Werke,
z. B. Verpflichtungen und Rechte, die sie begründet, Anordnungen, die sie
erläßt, Entscheidungen, die sie trifft, können aber der Natur der Sache uach
überhaupt nur durch schriftliche Niederlegung ins Dasein treten und dauernd
wirken. Leripta rrmnent! Andres, auch solches, das außerhalb der Akten
zum Vorschein kommt, bedarf zu feiner Entstehung und Wirksamkeit der schrift¬
lichen Vorbereitung, schriftlicher Beweise oder sonstiger schriftlichen Unterlagen.
Es läßt sich also gar nicht vermeiden, daß in der Verwaltung viel geschrieben
wird, damit nicht Unordnung und Unsicherheit in allen Verhältnissen eintreten, und
es ist durchaus lcnenhaft, allem deswegen der Verwaltung einen Vorwurf zu machen.

Das Schreiben muß nur durch die näheren Umstände sachlich gerechtfertigt
sein. Nicht immer freilich ist diese Forderung erfüllt. Aber nicht immer ist
die Verwaltung selbst daran schuld. Das liebe Publikum, das, anstatt deu
nächsten Schutzmann zu fragen, an die Negierung oder das Ministerium schreibt,
die Behörden andrer Verwaltungen, z. B. die Gerichte mit ihrer Unkenntnis
des Verwaltungsrechts und der Verwaltung, haben einen reichlichen Teil der
Verantwortung für unnötige Schreibereien der Verwaltungsbehörden zu trage".
Wo die Quelle solcher Vielschreiberei aber doch in der Verwaltung liegt, da
wird man bei näherer Betrachtung am letzten Ende in der Regel auf persön¬
liche Unzulänglichkeiten stoßen. Unwissenheit, Unbekanntschaft mit den prak¬
tischen Verhältnissen, oberflächliches Drauflosarbeiten, mangelhafte Überlegung usw.

Ganz ähnlich steht es mit dein Formalismus. An sich sind bestimmte
Formen auch in der Verwaltung schon aus rein praktischen Gründen unentbehrlich.
Welche Weiterungen würden entstehen, wenn nicht z. B. für das Verfahren
bestimmte Formen und Fristen vorgeschrieben wären. Außerdem liegt in solchen
Formen doch auch ein Schutz für das Publikum. Eine Last werden sie erst
durch Übertreibung und dadurch, daß ihre Beobachtung zum Selbstzweck wird.
Aber dafür sind doch immer nur Menschen mit ihrer Unzulänglichkeit verantwortlich --
sei es, daß sie unnötige Formen vorschreiben, sei es, daß sie die Formen mißbrauchen.

Dasselbe gilt endlich vom Schematismus, übrigens sind durch die Fälle,
die einzeln und abgetrennt von andern betrachtet und behandelt werden müssen,
damit Vergewaltigungen vermieden werden, nicht immer so zahlreich und
zwingend, wie die Beteiligten in den: echt deutschen Bedürfnis, bei jeder
Gelegenheit berechtigte Eigentümlichkeiten zu vertreten, gern glauben machen wollen.




Der Geschäftsbetrieb der preußischen Verwaltung

früheren ungeheuerlichen Zustand der Schulgesetzgebung begründet und hatten
schon so persönliche Gründe. Ich werde darauf uoch zurückkommen.

Auch der Vorwurf der Vielschreiberei, des überwuchernden Aktenregiments
und was sonst dazu gehört, ist in dieser Allgenreinheit unverdient; er beruht
in der Regel auf Übertreibung oder auf Unkenntnis der Verhältnisse oder auf
einer falschen Anschauung oder Auffassung vom Wesen der Verwaltungstätigkeit.
Die Verwaltung arbeitet nicht nur für den Augenblick. Was sie schafft, soll
häufig Jahrzehnte und länger fortdauern und wirken. Viele ihrer Werke,
z. B. Verpflichtungen und Rechte, die sie begründet, Anordnungen, die sie
erläßt, Entscheidungen, die sie trifft, können aber der Natur der Sache uach
überhaupt nur durch schriftliche Niederlegung ins Dasein treten und dauernd
wirken. Leripta rrmnent! Andres, auch solches, das außerhalb der Akten
zum Vorschein kommt, bedarf zu feiner Entstehung und Wirksamkeit der schrift¬
lichen Vorbereitung, schriftlicher Beweise oder sonstiger schriftlichen Unterlagen.
Es läßt sich also gar nicht vermeiden, daß in der Verwaltung viel geschrieben
wird, damit nicht Unordnung und Unsicherheit in allen Verhältnissen eintreten, und
es ist durchaus lcnenhaft, allem deswegen der Verwaltung einen Vorwurf zu machen.

Das Schreiben muß nur durch die näheren Umstände sachlich gerechtfertigt
sein. Nicht immer freilich ist diese Forderung erfüllt. Aber nicht immer ist
die Verwaltung selbst daran schuld. Das liebe Publikum, das, anstatt deu
nächsten Schutzmann zu fragen, an die Negierung oder das Ministerium schreibt,
die Behörden andrer Verwaltungen, z. B. die Gerichte mit ihrer Unkenntnis
des Verwaltungsrechts und der Verwaltung, haben einen reichlichen Teil der
Verantwortung für unnötige Schreibereien der Verwaltungsbehörden zu trage«.
Wo die Quelle solcher Vielschreiberei aber doch in der Verwaltung liegt, da
wird man bei näherer Betrachtung am letzten Ende in der Regel auf persön¬
liche Unzulänglichkeiten stoßen. Unwissenheit, Unbekanntschaft mit den prak¬
tischen Verhältnissen, oberflächliches Drauflosarbeiten, mangelhafte Überlegung usw.

Ganz ähnlich steht es mit dein Formalismus. An sich sind bestimmte
Formen auch in der Verwaltung schon aus rein praktischen Gründen unentbehrlich.
Welche Weiterungen würden entstehen, wenn nicht z. B. für das Verfahren
bestimmte Formen und Fristen vorgeschrieben wären. Außerdem liegt in solchen
Formen doch auch ein Schutz für das Publikum. Eine Last werden sie erst
durch Übertreibung und dadurch, daß ihre Beobachtung zum Selbstzweck wird.
Aber dafür sind doch immer nur Menschen mit ihrer Unzulänglichkeit verantwortlich —
sei es, daß sie unnötige Formen vorschreiben, sei es, daß sie die Formen mißbrauchen.

Dasselbe gilt endlich vom Schematismus, übrigens sind durch die Fälle,
die einzeln und abgetrennt von andern betrachtet und behandelt werden müssen,
damit Vergewaltigungen vermieden werden, nicht immer so zahlreich und
zwingend, wie die Beteiligten in den: echt deutschen Bedürfnis, bei jeder
Gelegenheit berechtigte Eigentümlichkeiten zu vertreten, gern glauben machen wollen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/176>, abgerufen am 04.07.2024.