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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Lrnst Moritz Arndt

Arndt ist ein alternder Mann, als die Freiheitskriege durchfochten sind,
Zur zweiten Male hofft er auf Frieden. Er erhalt eine Professur an der
neuen Universität Bonn, er schließt eine zweite Ehe, mit Schleiermachers Schwester
Nanna Maria. Und zum zweiten Male muß er in deu Kampf, und diesmal
in einen unendlich traurigeren. Der dritte Teil des "Geistes der Zeit" war,
vor der Leipziger Schlacht verfaßt, noch ganz gegen den äußeren Feind gerichtet,
der vierte, 1818 erscheinend, nimmt den Kampf mit innerer Unterdrückung auf.
Es wäre aber ganz verkehrt, wollte man in diesem leidenschaftlichen Freiheits¬
kämpfer einen politischen Liberalen nach heutiger Anschauung sehen. Arndt
kämpft für gerechte Zustände, er kämpft dafür mit all seiner leidenschaftlichen
Rauheit, aber deshalb ist doch dieser monarchische, gläubige, bauernfreundliche
Mann, wie Hagen in den: eingangs erwähnten Aufsatz mit vollstem Recht sagt,
"unendlich konservativ". Trotzdem wird er in die Demagogenverfolgungen nach
Kotzebues Ermordung -- "Schmeißfliege" und "Mistkäfer" nennt ihn Arndt in
dem Stein-Buch -- brutal hincingezerrt. 1820 entfernt man ihn aus dem Amt
und setzt ihn damit matt. Volle zwanzig halb verträumte Jahre folgen. Freilich,
wenn solch ein Fleißiger "träumt", leistet er noch immer mehr als mancher
ganz Wache. Und so schweigt dann auch Arndt keineswegs völlig. An seinen
politischen Schriften der Epoche ist es merkwürdig und bedeutend, daß trotz des
erlittenen Privatleides und trotz der trostlosen äußeren Zustände sein Glaube
an Preußen andauert, ja erstarkt. "Ich glaube, bis mich die letzte Hoffnung
verläßt, noch an Preußens große Bestimmung für unser Vaterland", heißt es 1834.

Diese Hoffnung wächst, als Friedrich Wilhelm IV. den Thron besteigt und
den alten Patrioten wieder in seine Professur einsetzt. Sie wächst, als die
achtundvierziger Ereignisse vorüberstürmen. Wie ein Patriarch sitzt und redet
er unter den Abgeordneten des Frankfurter Parlaments. In unerschütterlicher
Hoffnung steht er mit den anderen Frankfurtern am 30. März 1849 in Berlin
vor dem König, obwohl ihn: dieser schriftlich im Vertrauen mitgeteilt hatte, er
werde die vom Volk gebotene Kaiserkrone nicht annehmen. Und als Arndt am
20. Mai mit der Mehrzahl des rechten Zentrums aus der Natioimlversmnmlung
scheidet, da bleibt ihm die Hoffnung auf ein endliches deutsches Kaisertum doch
getreu und er gibt ihr in schönen Versen Wort. Und dann ist ihm noch ein
volles, erntereiches Jahrzehnt beschieden.-- es lag ihm Lvrik und sein herrliches
Buch über Stein ein --, ein schlimmes Jahrzehnt aber für Preußen und die
reichsdeutsche Hoffnung: und trotz alledem bleibt er bei seinem guten Glauben.

So menschlich und historisch wertvoll aber Arndts Leben und Wirken nach
den Freiheitskriegen auch sein mag, so liegt doch der Kern dieses Daseins in
den Befreiungskämpfen gegen Napoleon. Das Früher ist schöner Aufbau,
das Später edler Nachklang. Den allereigentlichsten Arndt findet man nicht
in den kosmopolitischen und philosophischen Schriften, anch nicht so ganz in
dem widerwilligen Bekämpfen der inneren Reaktion. Die beiden Inschriften
des Bonner Denkmals, zwei Arndtsche Worte, kennzeichnen völlig das Beste


Lrnst Moritz Arndt

Arndt ist ein alternder Mann, als die Freiheitskriege durchfochten sind,
Zur zweiten Male hofft er auf Frieden. Er erhalt eine Professur an der
neuen Universität Bonn, er schließt eine zweite Ehe, mit Schleiermachers Schwester
Nanna Maria. Und zum zweiten Male muß er in deu Kampf, und diesmal
in einen unendlich traurigeren. Der dritte Teil des „Geistes der Zeit" war,
vor der Leipziger Schlacht verfaßt, noch ganz gegen den äußeren Feind gerichtet,
der vierte, 1818 erscheinend, nimmt den Kampf mit innerer Unterdrückung auf.
Es wäre aber ganz verkehrt, wollte man in diesem leidenschaftlichen Freiheits¬
kämpfer einen politischen Liberalen nach heutiger Anschauung sehen. Arndt
kämpft für gerechte Zustände, er kämpft dafür mit all seiner leidenschaftlichen
Rauheit, aber deshalb ist doch dieser monarchische, gläubige, bauernfreundliche
Mann, wie Hagen in den: eingangs erwähnten Aufsatz mit vollstem Recht sagt,
„unendlich konservativ". Trotzdem wird er in die Demagogenverfolgungen nach
Kotzebues Ermordung — „Schmeißfliege" und „Mistkäfer" nennt ihn Arndt in
dem Stein-Buch — brutal hincingezerrt. 1820 entfernt man ihn aus dem Amt
und setzt ihn damit matt. Volle zwanzig halb verträumte Jahre folgen. Freilich,
wenn solch ein Fleißiger „träumt", leistet er noch immer mehr als mancher
ganz Wache. Und so schweigt dann auch Arndt keineswegs völlig. An seinen
politischen Schriften der Epoche ist es merkwürdig und bedeutend, daß trotz des
erlittenen Privatleides und trotz der trostlosen äußeren Zustände sein Glaube
an Preußen andauert, ja erstarkt. „Ich glaube, bis mich die letzte Hoffnung
verläßt, noch an Preußens große Bestimmung für unser Vaterland", heißt es 1834.

Diese Hoffnung wächst, als Friedrich Wilhelm IV. den Thron besteigt und
den alten Patrioten wieder in seine Professur einsetzt. Sie wächst, als die
achtundvierziger Ereignisse vorüberstürmen. Wie ein Patriarch sitzt und redet
er unter den Abgeordneten des Frankfurter Parlaments. In unerschütterlicher
Hoffnung steht er mit den anderen Frankfurtern am 30. März 1849 in Berlin
vor dem König, obwohl ihn: dieser schriftlich im Vertrauen mitgeteilt hatte, er
werde die vom Volk gebotene Kaiserkrone nicht annehmen. Und als Arndt am
20. Mai mit der Mehrzahl des rechten Zentrums aus der Natioimlversmnmlung
scheidet, da bleibt ihm die Hoffnung auf ein endliches deutsches Kaisertum doch
getreu und er gibt ihr in schönen Versen Wort. Und dann ist ihm noch ein
volles, erntereiches Jahrzehnt beschieden.— es lag ihm Lvrik und sein herrliches
Buch über Stein ein —, ein schlimmes Jahrzehnt aber für Preußen und die
reichsdeutsche Hoffnung: und trotz alledem bleibt er bei seinem guten Glauben.

So menschlich und historisch wertvoll aber Arndts Leben und Wirken nach
den Freiheitskriegen auch sein mag, so liegt doch der Kern dieses Daseins in
den Befreiungskämpfen gegen Napoleon. Das Früher ist schöner Aufbau,
das Später edler Nachklang. Den allereigentlichsten Arndt findet man nicht
in den kosmopolitischen und philosophischen Schriften, anch nicht so ganz in
dem widerwilligen Bekämpfen der inneren Reaktion. Die beiden Inschriften
des Bonner Denkmals, zwei Arndtsche Worte, kennzeichnen völlig das Beste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/168>, abgerufen am 22.12.2024.