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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Lrnst Moritz Arndt

Erfolg für die deutsch-schwedischen Bauern eintrat, ist zu erkennen, daß der
stille Gelehrte und Dichter sich nun ans Allgemeine, an das Wohl und Wehe
seiner Landsleute hingegeben hat. In "Germania und Europa" (aus dem
gleichen Jahre 1803) flammt die Liebe für das ganze Deutschland, der Zorn
gegen seine nahenden Unterdrücker auf. Im ersten Teil vom "Geist der Zeit",
den Arndt 1806 zum Teil auf dem Krankenlager verfaßte -- er war verwundet
worden im Zweikampf mit einem schwedischen Offizier, der "ein schlechtes Wort
über das deutsche Volk" geredet hatte --, im "Geist der Zeit" steht der ganz
von einer Liebe, einen: Haß beseelte Patriot, wie er nun mehr als ein halbes
Jahrhundert wirken sollte, fertig da. "Es war nicht allein Napoleon . . ., die
Franzosen, die . . . treulosen Reichsfeinde seit Jahrhunderten -- sie haßte ich im
ganzen Zorn, mein Vaterland erkannte und liebte ich nun im ganzen Zorn und
und in ganzer Liebe. Auch der schwedische Partikularismus war nun mit
einmal tot, die schwedischen Helden waren in meinem Herzen nun auch
nur andere Töne der Vergangenheit; als Deutschland durch seine
Zwietracht nichts mehr war, umfaßte mein Herz seine Einheit und
Einigkeit." (" Erinnerungen.")

Ich sagte, der deutsche Patriot stünde um 1806 fertig da; der Schriftsteller
ist meines Erachtens trotz aller Trefflichkeiten des "Geistes der Zeit" damals noch
nicht fertig. Noch beschwert seine Schriften ein philosophisches Element, das
nicht immer zu völliger Klarheit gediehen ist. Der von Natur so schlichte Und
offene Arndt ergeht sich bisweilen in Dämmerworten -- nicht etwa, weil er
damit "wirken" will, sondern sicherlich, weil er ans diesem Gebiet keine durch¬
gängige Klarheit zu erzwingen vermag. Er bekämpft die Epoche der Aufklärung
und stellt etwa diese Gedanken auf: der Mensch ist ein Zusammenwirken von
Geist, Seele und Leib. Das achtzehnte Jahrhundert hat nun den Geist auf
Kosten der beiden anderen Teile zu groß werden lassen. Die Seele, das Gemüt
müssen wieder zu ihren: Recht kommen, Religiosität muß wieder herrschen. Man
hüte sich aber, Arndts Religiosität zu eng oder auch nur christlich dogmatisch
zu fassen. Gewiß, er für seinen Teil hat sich immer entschiedener zum völligen
Christentum bekannt, hat besonders in späteren Jahren wunderschöne geistliche
Lieder gedichtet, die stark von Luther beeinflußt sind. Aber seine Forderung
heißt Religiosität, Ehrfurcht vor einem Göttlichen in weitesten Sinn. So findet
er in "Germanien und Europa" begeisterte Worte für Goethe, so richtet er
1843 ein heftiges "Frühlingslied an die Frömmler". Klarer als sein Kampf
für die Seele tritt sein anderes Bestreben hervor. Das ist die Forderung größerer
Schlichtheit und Natürlichkeit, unverkünstelterer Kraft, irdischerer Festigkeit so¬
zusagen in Dingen des persönlichen wie des Staatslebens. Und nun sieht er
seine Idealmenschen, die zugleich kernig-natürlichen und religiösen, im deutschen
Volke und eifert für die freie Entwicklung Deutschlands und gegen seine Unter¬
drücker. Wie gesagt, seine philosophischen Entwicklungen sind bisweilen ein wenig
nebelhaft. Sein Bestes und Rundestes leistet Arndt erst, als er sich von der


Lrnst Moritz Arndt

Erfolg für die deutsch-schwedischen Bauern eintrat, ist zu erkennen, daß der
stille Gelehrte und Dichter sich nun ans Allgemeine, an das Wohl und Wehe
seiner Landsleute hingegeben hat. In „Germania und Europa" (aus dem
gleichen Jahre 1803) flammt die Liebe für das ganze Deutschland, der Zorn
gegen seine nahenden Unterdrücker auf. Im ersten Teil vom „Geist der Zeit",
den Arndt 1806 zum Teil auf dem Krankenlager verfaßte — er war verwundet
worden im Zweikampf mit einem schwedischen Offizier, der „ein schlechtes Wort
über das deutsche Volk" geredet hatte —, im „Geist der Zeit" steht der ganz
von einer Liebe, einen: Haß beseelte Patriot, wie er nun mehr als ein halbes
Jahrhundert wirken sollte, fertig da. „Es war nicht allein Napoleon . . ., die
Franzosen, die . . . treulosen Reichsfeinde seit Jahrhunderten — sie haßte ich im
ganzen Zorn, mein Vaterland erkannte und liebte ich nun im ganzen Zorn und
und in ganzer Liebe. Auch der schwedische Partikularismus war nun mit
einmal tot, die schwedischen Helden waren in meinem Herzen nun auch
nur andere Töne der Vergangenheit; als Deutschland durch seine
Zwietracht nichts mehr war, umfaßte mein Herz seine Einheit und
Einigkeit." („ Erinnerungen.")

Ich sagte, der deutsche Patriot stünde um 1806 fertig da; der Schriftsteller
ist meines Erachtens trotz aller Trefflichkeiten des „Geistes der Zeit" damals noch
nicht fertig. Noch beschwert seine Schriften ein philosophisches Element, das
nicht immer zu völliger Klarheit gediehen ist. Der von Natur so schlichte Und
offene Arndt ergeht sich bisweilen in Dämmerworten — nicht etwa, weil er
damit „wirken" will, sondern sicherlich, weil er ans diesem Gebiet keine durch¬
gängige Klarheit zu erzwingen vermag. Er bekämpft die Epoche der Aufklärung
und stellt etwa diese Gedanken auf: der Mensch ist ein Zusammenwirken von
Geist, Seele und Leib. Das achtzehnte Jahrhundert hat nun den Geist auf
Kosten der beiden anderen Teile zu groß werden lassen. Die Seele, das Gemüt
müssen wieder zu ihren: Recht kommen, Religiosität muß wieder herrschen. Man
hüte sich aber, Arndts Religiosität zu eng oder auch nur christlich dogmatisch
zu fassen. Gewiß, er für seinen Teil hat sich immer entschiedener zum völligen
Christentum bekannt, hat besonders in späteren Jahren wunderschöne geistliche
Lieder gedichtet, die stark von Luther beeinflußt sind. Aber seine Forderung
heißt Religiosität, Ehrfurcht vor einem Göttlichen in weitesten Sinn. So findet
er in „Germanien und Europa" begeisterte Worte für Goethe, so richtet er
1843 ein heftiges „Frühlingslied an die Frömmler". Klarer als sein Kampf
für die Seele tritt sein anderes Bestreben hervor. Das ist die Forderung größerer
Schlichtheit und Natürlichkeit, unverkünstelterer Kraft, irdischerer Festigkeit so¬
zusagen in Dingen des persönlichen wie des Staatslebens. Und nun sieht er
seine Idealmenschen, die zugleich kernig-natürlichen und religiösen, im deutschen
Volke und eifert für die freie Entwicklung Deutschlands und gegen seine Unter¬
drücker. Wie gesagt, seine philosophischen Entwicklungen sind bisweilen ein wenig
nebelhaft. Sein Bestes und Rundestes leistet Arndt erst, als er sich von der


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[0166] Lrnst Moritz Arndt Erfolg für die deutsch-schwedischen Bauern eintrat, ist zu erkennen, daß der stille Gelehrte und Dichter sich nun ans Allgemeine, an das Wohl und Wehe seiner Landsleute hingegeben hat. In „Germania und Europa" (aus dem gleichen Jahre 1803) flammt die Liebe für das ganze Deutschland, der Zorn gegen seine nahenden Unterdrücker auf. Im ersten Teil vom „Geist der Zeit", den Arndt 1806 zum Teil auf dem Krankenlager verfaßte — er war verwundet worden im Zweikampf mit einem schwedischen Offizier, der „ein schlechtes Wort über das deutsche Volk" geredet hatte —, im „Geist der Zeit" steht der ganz von einer Liebe, einen: Haß beseelte Patriot, wie er nun mehr als ein halbes Jahrhundert wirken sollte, fertig da. „Es war nicht allein Napoleon . . ., die Franzosen, die . . . treulosen Reichsfeinde seit Jahrhunderten — sie haßte ich im ganzen Zorn, mein Vaterland erkannte und liebte ich nun im ganzen Zorn und und in ganzer Liebe. Auch der schwedische Partikularismus war nun mit einmal tot, die schwedischen Helden waren in meinem Herzen nun auch nur andere Töne der Vergangenheit; als Deutschland durch seine Zwietracht nichts mehr war, umfaßte mein Herz seine Einheit und Einigkeit." („ Erinnerungen.") Ich sagte, der deutsche Patriot stünde um 1806 fertig da; der Schriftsteller ist meines Erachtens trotz aller Trefflichkeiten des „Geistes der Zeit" damals noch nicht fertig. Noch beschwert seine Schriften ein philosophisches Element, das nicht immer zu völliger Klarheit gediehen ist. Der von Natur so schlichte Und offene Arndt ergeht sich bisweilen in Dämmerworten — nicht etwa, weil er damit „wirken" will, sondern sicherlich, weil er ans diesem Gebiet keine durch¬ gängige Klarheit zu erzwingen vermag. Er bekämpft die Epoche der Aufklärung und stellt etwa diese Gedanken auf: der Mensch ist ein Zusammenwirken von Geist, Seele und Leib. Das achtzehnte Jahrhundert hat nun den Geist auf Kosten der beiden anderen Teile zu groß werden lassen. Die Seele, das Gemüt müssen wieder zu ihren: Recht kommen, Religiosität muß wieder herrschen. Man hüte sich aber, Arndts Religiosität zu eng oder auch nur christlich dogmatisch zu fassen. Gewiß, er für seinen Teil hat sich immer entschiedener zum völligen Christentum bekannt, hat besonders in späteren Jahren wunderschöne geistliche Lieder gedichtet, die stark von Luther beeinflußt sind. Aber seine Forderung heißt Religiosität, Ehrfurcht vor einem Göttlichen in weitesten Sinn. So findet er in „Germanien und Europa" begeisterte Worte für Goethe, so richtet er 1843 ein heftiges „Frühlingslied an die Frömmler". Klarer als sein Kampf für die Seele tritt sein anderes Bestreben hervor. Das ist die Forderung größerer Schlichtheit und Natürlichkeit, unverkünstelterer Kraft, irdischerer Festigkeit so¬ zusagen in Dingen des persönlichen wie des Staatslebens. Und nun sieht er seine Idealmenschen, die zugleich kernig-natürlichen und religiösen, im deutschen Volke und eifert für die freie Entwicklung Deutschlands und gegen seine Unter¬ drücker. Wie gesagt, seine philosophischen Entwicklungen sind bisweilen ein wenig nebelhaft. Sein Bestes und Rundestes leistet Arndt erst, als er sich von der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/166>, abgerufen am 22.12.2024.