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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Liois (Zermimus

Gesamtinteresse der britischen Reichspolitik es so forderte. Die für wertvoller
erachtete Verständigung mit Frankreich heischte dieses Opfer.

Was die deutsche Marokkopolitik betrifft, so kann man sich gewiß auf den
Standpunkt stellen, der etwa in folgendem gekennzeichnet wird: "Marokko ist
für uns ein Land der Zukunft. Vorläufig aber ist der Sultan von Marokko
ein souveräner Herr. Wenn dieser Herrscher unternehmungslustigen deutschen
Landsleuten freiwillig wichtige Rechte in die Hand gibt, so brauchen wir nicht
danach zu fragen, was das für Folgen hat, sondern wir müssen rücksichtslos
zugreifen, diese Rechte zu den unsrigen macheu und alles mitnehmen, was sich
mitnehmen läßt." Man kann sogar weiter gehen und sagen, daß diese und
ähnliche Gedanken, mit dem nötigen Brustton vorgebracht, in unzähligen
nationalen Versammlungen jubelnde Zustimmung finden würden. Wenn aber
dem deutscheu Volk die Rechnung für diese Politik präsentiert würde und wenn
es ernsthaft vor die Frage gestellt würde, ob es für die deutschen Marokko¬
interessen jederzeit einen großen europäischen Krieg zu führen bereit sein würde,
dann würde man von dieser Zustimmung nichts mehr merken. Wohlverstanden:
es handelt sich um die Übernahme einer ständigen Kriegsgefahr um der
Marokkointeresseu selbst willen, nicht -- wie 1903 -- nur die Möglichkeit eines
.Krieges, bei dem die Marokkofrage nur die zufällige Handhabe bot, um Deutsch¬
land in seiner europäischen Machtstellung ein kaudinisches Joch zu bereiten.

Die deutsche offizielle Politik hat sich schon vor 1904 bestimmt und klar
dahin entschieden, eine Richtung, die zu deu erwähnten politischen Folgen führen
würde, abzulehnen, und darin hat sie tatsächlich die Mehrheit des deutschen
Volks hinter sich. Deshalb muß die Reichspolitik die internationalen Ver-
pflichtungen anerkennen und streng befolgen, die es allein ermöglichen, wirtschaftliche
Vorteile ohne politische Verwicklungen zu erlangen. Erst wenn innerhalb dieser
Politik Schädigungen drohen, würde das Gewicht der Macht in die Wagschale
zu werfen sein. Der Standpunkt des Auswärtigen Amts ist demzufolge voll¬
kommen klar und schlüssig, wenn es sich weigert, Rechte einzelner Personen
zu vertreten, soweit sie geeignet sind, den ganzen Boden zu erschüttern,
aus dem sich die Reichspolitik in dieser Frage bewegt. Es hat sich aber
nie geweigert und weigert sich uoch heute nicht, die erwähnten Rechte zu
vertreten^ soweit sie innerhalb der bezeichneten Grenze bleiben. Das ver¬
öffentlichte Aktenmaterial legt genügend Zeugnis dafür ab, wie in Berlin,
in Paris und in Tanger vom Auswärtigen Amt, Botschaft und Gesandt¬
schaft mit heißen: Bemühen daran gearbeitet wurde, die Wünsche der Brüder
Mannesmann tatsächlich zu erfüllen, wenn sie sich entschließen könnten, die
politischen Gründe der amtlichen Stellen zu respektieren und ihre eigene
Rechtsauffassung dementsprechend nachzuprüfen. Über die Gründe der Herren
Mannesman,: für ihre Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Lage tatsächlich so un¬
günstig gestaltet haben, erlaube ich nur kein Urteil; einen schlechten, vielleicht
den Herren nicht persönlich zur Last fallenden Eindruck muß es allerdings


Liois (Zermimus

Gesamtinteresse der britischen Reichspolitik es so forderte. Die für wertvoller
erachtete Verständigung mit Frankreich heischte dieses Opfer.

Was die deutsche Marokkopolitik betrifft, so kann man sich gewiß auf den
Standpunkt stellen, der etwa in folgendem gekennzeichnet wird: „Marokko ist
für uns ein Land der Zukunft. Vorläufig aber ist der Sultan von Marokko
ein souveräner Herr. Wenn dieser Herrscher unternehmungslustigen deutschen
Landsleuten freiwillig wichtige Rechte in die Hand gibt, so brauchen wir nicht
danach zu fragen, was das für Folgen hat, sondern wir müssen rücksichtslos
zugreifen, diese Rechte zu den unsrigen macheu und alles mitnehmen, was sich
mitnehmen läßt." Man kann sogar weiter gehen und sagen, daß diese und
ähnliche Gedanken, mit dem nötigen Brustton vorgebracht, in unzähligen
nationalen Versammlungen jubelnde Zustimmung finden würden. Wenn aber
dem deutscheu Volk die Rechnung für diese Politik präsentiert würde und wenn
es ernsthaft vor die Frage gestellt würde, ob es für die deutschen Marokko¬
interessen jederzeit einen großen europäischen Krieg zu führen bereit sein würde,
dann würde man von dieser Zustimmung nichts mehr merken. Wohlverstanden:
es handelt sich um die Übernahme einer ständigen Kriegsgefahr um der
Marokkointeresseu selbst willen, nicht — wie 1903 — nur die Möglichkeit eines
.Krieges, bei dem die Marokkofrage nur die zufällige Handhabe bot, um Deutsch¬
land in seiner europäischen Machtstellung ein kaudinisches Joch zu bereiten.

Die deutsche offizielle Politik hat sich schon vor 1904 bestimmt und klar
dahin entschieden, eine Richtung, die zu deu erwähnten politischen Folgen führen
würde, abzulehnen, und darin hat sie tatsächlich die Mehrheit des deutschen
Volks hinter sich. Deshalb muß die Reichspolitik die internationalen Ver-
pflichtungen anerkennen und streng befolgen, die es allein ermöglichen, wirtschaftliche
Vorteile ohne politische Verwicklungen zu erlangen. Erst wenn innerhalb dieser
Politik Schädigungen drohen, würde das Gewicht der Macht in die Wagschale
zu werfen sein. Der Standpunkt des Auswärtigen Amts ist demzufolge voll¬
kommen klar und schlüssig, wenn es sich weigert, Rechte einzelner Personen
zu vertreten, soweit sie geeignet sind, den ganzen Boden zu erschüttern,
aus dem sich die Reichspolitik in dieser Frage bewegt. Es hat sich aber
nie geweigert und weigert sich uoch heute nicht, die erwähnten Rechte zu
vertreten^ soweit sie innerhalb der bezeichneten Grenze bleiben. Das ver¬
öffentlichte Aktenmaterial legt genügend Zeugnis dafür ab, wie in Berlin,
in Paris und in Tanger vom Auswärtigen Amt, Botschaft und Gesandt¬
schaft mit heißen: Bemühen daran gearbeitet wurde, die Wünsche der Brüder
Mannesmann tatsächlich zu erfüllen, wenn sie sich entschließen könnten, die
politischen Gründe der amtlichen Stellen zu respektieren und ihre eigene
Rechtsauffassung dementsprechend nachzuprüfen. Über die Gründe der Herren
Mannesman,: für ihre Hartnäckigkeit, mit der sie ihre Lage tatsächlich so un¬
günstig gestaltet haben, erlaube ich nur kein Urteil; einen schlechten, vielleicht
den Herren nicht persönlich zur Last fallenden Eindruck muß es allerdings


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/160>, abgerufen am 22.12.2024.