Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches der Gouverneur der Österreichischen Boden-Kredit-Anstalt. Eine Fülle glänzender Verstaatlichung des Notariats. Seit einigen Jahren rückt die Frage Lütkemann sucht die einander widerstrebenden Ansichten zusammenzuführen. "Wie wir wissen, schreibt Lütkemann, besteht das Wesen des Notariats darin, Maßgebliches und Unmaßgebliches der Gouverneur der Österreichischen Boden-Kredit-Anstalt. Eine Fülle glänzender Verstaatlichung des Notariats. Seit einigen Jahren rückt die Frage Lütkemann sucht die einander widerstrebenden Ansichten zusammenzuführen. „Wie wir wissen, schreibt Lütkemann, besteht das Wesen des Notariats darin, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315147"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_490" prev="#ID_489"> der Gouverneur der Österreichischen Boden-Kredit-Anstalt. Eine Fülle glänzender<lb/> Fähigkeiten war in ihm vereinigt, er galt unbestritten als das größte Finanztalent<lb/> des Wiener Platzes. Freilich entwerfen die Kritiker von Tanssigs Charakter ein<lb/> wenig anziehendes Bild: Er war wenig wählerisch in seinen Mitteln und ein<lb/> Künstler in der Interpretation von Verträgen! Rücksichtslos schritt er seinen Weg,<lb/> kaufmännische Treue war für ihn ein wenig bekannter Begriff. Man findet die<lb/> Ansicht weit verbreitet, daß das Genie Spielraum haben und sich über die land¬<lb/> läufigen Moralbegriffe hinwegsetzen müsse. Nun, Ernst von Mendelssohn-<lb/> Bartholdy, der Seniorchef des Bankhauses Mendelssohn u. Co., mit dessen Ab¬<lb/> leben die deutsche Finanzwelt einen ihrer hervorragendsten Vertreter verloren hat,<lb/> scheint das Gegenteil bewiesen zu haben. Geniale Großzügigkeit war auch ihm<lb/> in hohem Maße eigen. Er hat es verstanden, durch eigene Arbeit und geschickte<lb/> Auswahl von Mitarbeitern die Weltstellung des Hauses Mendelssohn nicht nur<lb/> aufrecht zu erhalten, sondern kräftig zu fördern trotz der gewaltig anwachsenden<lb/> Kapitalkraft der Großbanken. Dabei verkörperte er eine seltene Vornehmheit der<lb/> Gesinnung, die mit seiner geschäftlichen wie privaten Handlungsweise, nicht zuletzt<lb/> in seiner einzig dastehenden Fürsorge für die Beamten der Bank zum Ausdruck kam.</p><lb/> </div> </div> <div n="2"> <head> Verstaatlichung des Notariats.</head> <p xml:id="ID_491"> Seit einigen Jahren rückt die Frage<lb/> immer mehr in den Vordergrund, die Stellung der Notare sowohl mit Bezug<lb/> auf ihre Beamten-Qualität, wie bezüglich ihrer Anwaltstätigkeit zu ändern.<lb/> Dabei wird vielfach eine Trennung des Notariats von der Anwaltstätigkeit,<lb/> vereinzelt Verstaatlichung des Notariats gefordert. Bei dem großen Interesse,<lb/> die die Frage für das den Notar in Anspruch nehmende Publikum hat, glauben<lb/> wir der Öffentlichkeit zu dienen, wenn wir aus einer in Kürze erscheinenden<lb/> Schrift des Notars Lütkemann zu Hannover einige Abschnitte schon heute zur<lb/> Kenntnis unserer Leser bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_492"> Lütkemann sucht die einander widerstrebenden Ansichten zusammenzuführen.<lb/> Nachdem er die allgemeine Verstaatlichung ablehnt und Vorschläge für einen<lb/> neuen Vergütungsmodus an die Notare macht, wendet er sich der Zuständig¬<lb/> keit der Notare zu. Die Zuständigkeit sollte erweitert werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_493" next="#ID_494"> „Wie wir wissen, schreibt Lütkemann, besteht das Wesen des Notariats darin,<lb/> daß der Notar zwar auf Grund des ihm von der Staatsgewalt verliehenen<lb/> Rechts, aber doch nur auf freiwilligen Antrag der Beteiligten Urkunden über<lb/> rechtserhebliche Tatsachen und Rechtsgeschäfte aufnimmt und dabei die Beteiligten<lb/> in sachgemäßer Weise berät. Das Konkurs-, Subhastationsverfahren und die<lb/> Requisitionen, anscheinend auch die Erledigung der Requisitionen von Zeugen¬<lb/> vernehmungen in Prozessen .... gehören nicht hierher. Der Notar muß in<lb/> Wahrheit stets ein Diener der freiwilligen Gerichtsbarkeit im engeren Sinne<lb/> bleiben; nur so kann er im Segen und zum Nutzen der Einzelnen und damit des<lb/> allgemeinen Staatswohles wirken. Wenn speziell in Baden die dort mit 1900<lb/> erfolgte Neuregelung des Notariatswesens diese Basis verlassen hat — z. T. war<lb/> es dort auch schon vor 1900 der Fall — so haben die badischen Notare — und<lb/> wohl auch die badische Bevölkerung — das Unleidliche eines solchen Zustandes<lb/> längst eingesehen. Ja, sie haben diese Verquickung mit der richterlichen Tätigkeit<lb/> als so drückend und ihren eigentlichen Beruf so sehr hemmend empfunden, daß<lb/> sie selbst die Verbindung des Notariats mit der Rechtsanwaltschaft demgegenüber<lb/> als das dann noch kleinere Übel empfunden haben. Mag das nun auch wohl<lb/> zu weit gehen, jedenfalls würden, wollte man einer derartigen Kompetenzerweiterung<lb/> das Wort reden, auch hier wieder ganz heterogene Dinge, die ebenso wie Notariat</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0150]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
der Gouverneur der Österreichischen Boden-Kredit-Anstalt. Eine Fülle glänzender
Fähigkeiten war in ihm vereinigt, er galt unbestritten als das größte Finanztalent
des Wiener Platzes. Freilich entwerfen die Kritiker von Tanssigs Charakter ein
wenig anziehendes Bild: Er war wenig wählerisch in seinen Mitteln und ein
Künstler in der Interpretation von Verträgen! Rücksichtslos schritt er seinen Weg,
kaufmännische Treue war für ihn ein wenig bekannter Begriff. Man findet die
Ansicht weit verbreitet, daß das Genie Spielraum haben und sich über die land¬
läufigen Moralbegriffe hinwegsetzen müsse. Nun, Ernst von Mendelssohn-
Bartholdy, der Seniorchef des Bankhauses Mendelssohn u. Co., mit dessen Ab¬
leben die deutsche Finanzwelt einen ihrer hervorragendsten Vertreter verloren hat,
scheint das Gegenteil bewiesen zu haben. Geniale Großzügigkeit war auch ihm
in hohem Maße eigen. Er hat es verstanden, durch eigene Arbeit und geschickte
Auswahl von Mitarbeitern die Weltstellung des Hauses Mendelssohn nicht nur
aufrecht zu erhalten, sondern kräftig zu fördern trotz der gewaltig anwachsenden
Kapitalkraft der Großbanken. Dabei verkörperte er eine seltene Vornehmheit der
Gesinnung, die mit seiner geschäftlichen wie privaten Handlungsweise, nicht zuletzt
in seiner einzig dastehenden Fürsorge für die Beamten der Bank zum Ausdruck kam.
Verstaatlichung des Notariats. Seit einigen Jahren rückt die Frage
immer mehr in den Vordergrund, die Stellung der Notare sowohl mit Bezug
auf ihre Beamten-Qualität, wie bezüglich ihrer Anwaltstätigkeit zu ändern.
Dabei wird vielfach eine Trennung des Notariats von der Anwaltstätigkeit,
vereinzelt Verstaatlichung des Notariats gefordert. Bei dem großen Interesse,
die die Frage für das den Notar in Anspruch nehmende Publikum hat, glauben
wir der Öffentlichkeit zu dienen, wenn wir aus einer in Kürze erscheinenden
Schrift des Notars Lütkemann zu Hannover einige Abschnitte schon heute zur
Kenntnis unserer Leser bringen.
Lütkemann sucht die einander widerstrebenden Ansichten zusammenzuführen.
Nachdem er die allgemeine Verstaatlichung ablehnt und Vorschläge für einen
neuen Vergütungsmodus an die Notare macht, wendet er sich der Zuständig¬
keit der Notare zu. Die Zuständigkeit sollte erweitert werden.
„Wie wir wissen, schreibt Lütkemann, besteht das Wesen des Notariats darin,
daß der Notar zwar auf Grund des ihm von der Staatsgewalt verliehenen
Rechts, aber doch nur auf freiwilligen Antrag der Beteiligten Urkunden über
rechtserhebliche Tatsachen und Rechtsgeschäfte aufnimmt und dabei die Beteiligten
in sachgemäßer Weise berät. Das Konkurs-, Subhastationsverfahren und die
Requisitionen, anscheinend auch die Erledigung der Requisitionen von Zeugen¬
vernehmungen in Prozessen .... gehören nicht hierher. Der Notar muß in
Wahrheit stets ein Diener der freiwilligen Gerichtsbarkeit im engeren Sinne
bleiben; nur so kann er im Segen und zum Nutzen der Einzelnen und damit des
allgemeinen Staatswohles wirken. Wenn speziell in Baden die dort mit 1900
erfolgte Neuregelung des Notariatswesens diese Basis verlassen hat — z. T. war
es dort auch schon vor 1900 der Fall — so haben die badischen Notare — und
wohl auch die badische Bevölkerung — das Unleidliche eines solchen Zustandes
längst eingesehen. Ja, sie haben diese Verquickung mit der richterlichen Tätigkeit
als so drückend und ihren eigentlichen Beruf so sehr hemmend empfunden, daß
sie selbst die Verbindung des Notariats mit der Rechtsanwaltschaft demgegenüber
als das dann noch kleinere Übel empfunden haben. Mag das nun auch wohl
zu weit gehen, jedenfalls würden, wollte man einer derartigen Kompetenzerweiterung
das Wort reden, auch hier wieder ganz heterogene Dinge, die ebenso wie Notariat
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |