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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Der Niedergang der politischen Parteien

beeinflußt als früher, und die alte ideale Begeisterung für König und Vater¬
land, für Volksrechte und Verfassung, für Monarchie und Republik ist dadurch
stark in den Hintergrund gedrängt. So finden die alten politischen Parteien,
die gewissenhaft noch die frühern Schlagworte vorführen, nicht mehr das alte
Publikum vor. Ihre Organisationen bestehen noch fort, aber der lebendige
Anteil an ihnen schwindet mehr und mehr. Im Laufe der Zeit treten die
frühern Führer zurück. Ihr Ersatz aber, auf verändertem Boden auf¬
gewachsen, hegt andre Gedanken und geht auf andren Wegen. Der ferner
stehende Beobachter hat den Eindruck verdorrender Bäume, die im Sturme
nach und nach ihren Blattschmuck verlieren und den Zweifel erwecken, ob sie
im nächsten Frühling wieder ausschlagen werden. Wie das Zentrum seine
Anhänger aus alle" alten Parteien genommen hat, ist bekannt. Vielleicht
noch zersetzender, wenigstens offensichtlicher hat der Bund der Landwirte
gewirkt. Als er noch jung war, gab er allen Parteien gute Worte; namentlich
die nationalliberale Partei glaubte ihn unterstützen zu sollen. Das Ergebnis
war, das; er sie in großen Wahlbezirken ruiniert hat. Selbst zahlreiche links¬
liberale Landwirte sind dein Banner des Bundes gefolgt. Augenblicklich besorgt
er die Zersetzung bei den Konservativen. Sie scheiden sich in die Agrarier,
d. h. die Spiritus-, Zucker-, Stärke-, Fleisch- und Fettfabrikanten, und in die
alten Richtungen, deren Wahrspruch war und ist: "Mit Gott für König und
Vaterland!" Anschauungen und Ziele der beiden Teile sind miteinander nicht zu
vereinigen. Ähnlich, wenn auch nicht so durchsichtig wirkt die gelbe Gewerk¬
schaftsbewegung auf die Sozialdemokratie; sie hat lediglich die Bessrung
der materiellen Lage der Arbeiter auf ihre Fahne geschrieben und untergräbt
darum die alte, theoretische Sozialdemokratie, uuter deren fähigsten Anhängern
bekanntlich viele Fanatiker sind, die um praktischer Erfolge willen von ihren
"Prinzipien" kein Tittelchen aufgeben wollen. Damit aber ist den Arbeitern
nicht gedient. Leicht ließen sich die Beispiele mehren. So hat das traurige
Schauspiel, das die Liberalen zurzeit in Bayern geben, seinen Anstoß
durch das Gehaltsbegehren der Lehrervereine bekommen, die sich zu den Liberalen
rechnen; zu liberalen Forderungen haben aber bestimmte Gehaltssätze bisher
noch nicht gehört.

Als Resultat ergibt sich, daß ueben den alten politischen Parteien eine
Unzahl von kleinen und großen Verbänden entstanden ist, deren Mitglieder sich
sämtlich aus jenen Parteien rekrutieren, während sich die Ziele beider nicht nur
nicht decken, sondern sich durchkreuzen und einander vielfach widersprechen. Die
Bestrebungen des einzelnen Mitgliedes werden sehr oft in ganz verschiedene, ja
entgegengesetzte Richtungen gedrängt. Daß dabei die materiellen Interessen
schließlich die Entscheidung bestimmen, ist nur zu begreiflich. Den Schaden
tragen die alten politischen Parteien. Während ihr Bestand mehr und mehr
schwindet, nehmen die neuen Jnteressenverbände immer fester das Heft in die
Hand. Der Verbandssekretär tritt an die Stelle der Parteivorstände.


Der Niedergang der politischen Parteien

beeinflußt als früher, und die alte ideale Begeisterung für König und Vater¬
land, für Volksrechte und Verfassung, für Monarchie und Republik ist dadurch
stark in den Hintergrund gedrängt. So finden die alten politischen Parteien,
die gewissenhaft noch die frühern Schlagworte vorführen, nicht mehr das alte
Publikum vor. Ihre Organisationen bestehen noch fort, aber der lebendige
Anteil an ihnen schwindet mehr und mehr. Im Laufe der Zeit treten die
frühern Führer zurück. Ihr Ersatz aber, auf verändertem Boden auf¬
gewachsen, hegt andre Gedanken und geht auf andren Wegen. Der ferner
stehende Beobachter hat den Eindruck verdorrender Bäume, die im Sturme
nach und nach ihren Blattschmuck verlieren und den Zweifel erwecken, ob sie
im nächsten Frühling wieder ausschlagen werden. Wie das Zentrum seine
Anhänger aus alle» alten Parteien genommen hat, ist bekannt. Vielleicht
noch zersetzender, wenigstens offensichtlicher hat der Bund der Landwirte
gewirkt. Als er noch jung war, gab er allen Parteien gute Worte; namentlich
die nationalliberale Partei glaubte ihn unterstützen zu sollen. Das Ergebnis
war, das; er sie in großen Wahlbezirken ruiniert hat. Selbst zahlreiche links¬
liberale Landwirte sind dein Banner des Bundes gefolgt. Augenblicklich besorgt
er die Zersetzung bei den Konservativen. Sie scheiden sich in die Agrarier,
d. h. die Spiritus-, Zucker-, Stärke-, Fleisch- und Fettfabrikanten, und in die
alten Richtungen, deren Wahrspruch war und ist: „Mit Gott für König und
Vaterland!" Anschauungen und Ziele der beiden Teile sind miteinander nicht zu
vereinigen. Ähnlich, wenn auch nicht so durchsichtig wirkt die gelbe Gewerk¬
schaftsbewegung auf die Sozialdemokratie; sie hat lediglich die Bessrung
der materiellen Lage der Arbeiter auf ihre Fahne geschrieben und untergräbt
darum die alte, theoretische Sozialdemokratie, uuter deren fähigsten Anhängern
bekanntlich viele Fanatiker sind, die um praktischer Erfolge willen von ihren
„Prinzipien" kein Tittelchen aufgeben wollen. Damit aber ist den Arbeitern
nicht gedient. Leicht ließen sich die Beispiele mehren. So hat das traurige
Schauspiel, das die Liberalen zurzeit in Bayern geben, seinen Anstoß
durch das Gehaltsbegehren der Lehrervereine bekommen, die sich zu den Liberalen
rechnen; zu liberalen Forderungen haben aber bestimmte Gehaltssätze bisher
noch nicht gehört.

Als Resultat ergibt sich, daß ueben den alten politischen Parteien eine
Unzahl von kleinen und großen Verbänden entstanden ist, deren Mitglieder sich
sämtlich aus jenen Parteien rekrutieren, während sich die Ziele beider nicht nur
nicht decken, sondern sich durchkreuzen und einander vielfach widersprechen. Die
Bestrebungen des einzelnen Mitgliedes werden sehr oft in ganz verschiedene, ja
entgegengesetzte Richtungen gedrängt. Daß dabei die materiellen Interessen
schließlich die Entscheidung bestimmen, ist nur zu begreiflich. Den Schaden
tragen die alten politischen Parteien. Während ihr Bestand mehr und mehr
schwindet, nehmen die neuen Jnteressenverbände immer fester das Heft in die
Hand. Der Verbandssekretär tritt an die Stelle der Parteivorstände.


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[0015] Der Niedergang der politischen Parteien beeinflußt als früher, und die alte ideale Begeisterung für König und Vater¬ land, für Volksrechte und Verfassung, für Monarchie und Republik ist dadurch stark in den Hintergrund gedrängt. So finden die alten politischen Parteien, die gewissenhaft noch die frühern Schlagworte vorführen, nicht mehr das alte Publikum vor. Ihre Organisationen bestehen noch fort, aber der lebendige Anteil an ihnen schwindet mehr und mehr. Im Laufe der Zeit treten die frühern Führer zurück. Ihr Ersatz aber, auf verändertem Boden auf¬ gewachsen, hegt andre Gedanken und geht auf andren Wegen. Der ferner stehende Beobachter hat den Eindruck verdorrender Bäume, die im Sturme nach und nach ihren Blattschmuck verlieren und den Zweifel erwecken, ob sie im nächsten Frühling wieder ausschlagen werden. Wie das Zentrum seine Anhänger aus alle» alten Parteien genommen hat, ist bekannt. Vielleicht noch zersetzender, wenigstens offensichtlicher hat der Bund der Landwirte gewirkt. Als er noch jung war, gab er allen Parteien gute Worte; namentlich die nationalliberale Partei glaubte ihn unterstützen zu sollen. Das Ergebnis war, das; er sie in großen Wahlbezirken ruiniert hat. Selbst zahlreiche links¬ liberale Landwirte sind dein Banner des Bundes gefolgt. Augenblicklich besorgt er die Zersetzung bei den Konservativen. Sie scheiden sich in die Agrarier, d. h. die Spiritus-, Zucker-, Stärke-, Fleisch- und Fettfabrikanten, und in die alten Richtungen, deren Wahrspruch war und ist: „Mit Gott für König und Vaterland!" Anschauungen und Ziele der beiden Teile sind miteinander nicht zu vereinigen. Ähnlich, wenn auch nicht so durchsichtig wirkt die gelbe Gewerk¬ schaftsbewegung auf die Sozialdemokratie; sie hat lediglich die Bessrung der materiellen Lage der Arbeiter auf ihre Fahne geschrieben und untergräbt darum die alte, theoretische Sozialdemokratie, uuter deren fähigsten Anhängern bekanntlich viele Fanatiker sind, die um praktischer Erfolge willen von ihren „Prinzipien" kein Tittelchen aufgeben wollen. Damit aber ist den Arbeitern nicht gedient. Leicht ließen sich die Beispiele mehren. So hat das traurige Schauspiel, das die Liberalen zurzeit in Bayern geben, seinen Anstoß durch das Gehaltsbegehren der Lehrervereine bekommen, die sich zu den Liberalen rechnen; zu liberalen Forderungen haben aber bestimmte Gehaltssätze bisher noch nicht gehört. Als Resultat ergibt sich, daß ueben den alten politischen Parteien eine Unzahl von kleinen und großen Verbänden entstanden ist, deren Mitglieder sich sämtlich aus jenen Parteien rekrutieren, während sich die Ziele beider nicht nur nicht decken, sondern sich durchkreuzen und einander vielfach widersprechen. Die Bestrebungen des einzelnen Mitgliedes werden sehr oft in ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Richtungen gedrängt. Daß dabei die materiellen Interessen schließlich die Entscheidung bestimmen, ist nur zu begreiflich. Den Schaden tragen die alten politischen Parteien. Während ihr Bestand mehr und mehr schwindet, nehmen die neuen Jnteressenverbände immer fester das Heft in die Hand. Der Verbandssekretär tritt an die Stelle der Parteivorstände.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/15>, abgerufen am 04.07.2024.