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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Das Berliner Schauspielhaus

einem älteren Rollenfach zustrebt, dem klassischen Schauspiel ein ganz neues
Ansehen geben und völlig ungeahnte Wirkungen hervorbringen, wenn man sie
als Lady Macbeth oder Kleists Penthesilea auftreten lassen wollte. Ein
Charakterspieler ersten Ranges versteckt sich -- man lache nicht! -- in Giam-
vietro ungenützt hinter den bunt gleißenden Revuen des Metropol¬
theaters, wo der beste Teil selner Begabung beiseite liegen bleibt. Man muß
doch endlich einsehen, daß Giampietro einer der besten Sprecher der deutschen
Bühne ist, auf der man das Kauen, Fauchen und Schnercheln der Worte
kaum noch für einen Fehler hält. Er würde seine charakteristische Begabung
schnell über weite Gebiete ausdehnen, die man ihm vorläufig noch nicht recht
zutraut. Er hat sich schon als unübertrefflicher Riccaut in dem Lessingschen
Lustspiel gezeigt und würde gewiß bei seinem überquellenden Humor einer der
besten Darsteller des Mephistopheles werden, die unser Theater je besessen hat.
Noch hängt er an der hohen Gage, mit der ihn das Metropoltheater fesselt,
aber bald wird er einsehen, daß er sich und uns diesen Übergang zum breiten
künstlerischen Schaffen selbst schuldig ist. Auch der kometenartig über alle Gebiete des
Dramas schweifende Harm, Wälder, der nach seinem Ferdinand und Don Carlos
weitere Überraschungen erwarten läßt, müßte im Schauspielhause seinen
ständigen Wirkungskreis finden. Hat man die Truppen dort wieder so voll¬
zählig beisammen, daß man mit fliegenden Fahnen in die Schlacht ziehen
kann, so müßte es möglich sein, unserer Hofbühne eine leitende Stellung im
Rahmen des Berliner Theaterlebens zu verschaffen.

Man möchte allerdings zuweilen die Hände über dem Kopf zusammen¬
schlagen, wenn man daran denkt, was unsern großen und größten Dichtern
nicht nur aus jüngster Zeit dort alles verweigert wurde! Als Schinkel vier
Jahre nach dem schrecklichen Brand den Wunderbau seines Hauses auf dem
Gendarmenmarkt im Jahre 1821 vollendet hatte, bat der damalige General¬
intendant, Graf Brühl, den Weisen von Weimar, ihm zur Einweihung dieser
hehren Kunststätte seinen dichterischen Segen zu geben. Die "Iphigenie auf
Tauris" sollte mit dem Ehepaar Wolff bet dieser Gelegenheit in Szene gehen
und ein Prolog von Goethe als erster, öffentlich gesprochener Laut in diesen
Räumen erklingen. Der Dichterfürst kam sich wie Cinctnnatus vor, der vom
Pfluge geholt wurde, um sich wieder ins Schlachtgewühl zu stürzen. Aber er
erfüllte, was man von ihm begehrte. Nur selbst nach Berlin bei diesem Anlaß
zu kommen, widerstrebte seinem Gefühl und er schützte Krankheit vor. Ein
einziges Mal, als jugendlicher Dichter des "Werther", war Goethe in Be¬
gleitung seines Herzogs an der Spree gewesen, wo ihm, wie er als Greis zu
Eckermann meinte, ein so verwegener Menschenschlag zu wohnen schien, daß
man Haare auf den Zähnen haben und etwas grob sein müsse, um sich über
Wasser zu halten. Unsere königliche Bühne hat das Entgegenkommen Goethes
bei der Eröffnung des Schauspielhauses schlecht gelohnt. "Soll's 'ne Menschen¬
seele glauben", wie Hamlet sagen würde, daß man an dieser Stätte von


Das Berliner Schauspielhaus

einem älteren Rollenfach zustrebt, dem klassischen Schauspiel ein ganz neues
Ansehen geben und völlig ungeahnte Wirkungen hervorbringen, wenn man sie
als Lady Macbeth oder Kleists Penthesilea auftreten lassen wollte. Ein
Charakterspieler ersten Ranges versteckt sich — man lache nicht! — in Giam-
vietro ungenützt hinter den bunt gleißenden Revuen des Metropol¬
theaters, wo der beste Teil selner Begabung beiseite liegen bleibt. Man muß
doch endlich einsehen, daß Giampietro einer der besten Sprecher der deutschen
Bühne ist, auf der man das Kauen, Fauchen und Schnercheln der Worte
kaum noch für einen Fehler hält. Er würde seine charakteristische Begabung
schnell über weite Gebiete ausdehnen, die man ihm vorläufig noch nicht recht
zutraut. Er hat sich schon als unübertrefflicher Riccaut in dem Lessingschen
Lustspiel gezeigt und würde gewiß bei seinem überquellenden Humor einer der
besten Darsteller des Mephistopheles werden, die unser Theater je besessen hat.
Noch hängt er an der hohen Gage, mit der ihn das Metropoltheater fesselt,
aber bald wird er einsehen, daß er sich und uns diesen Übergang zum breiten
künstlerischen Schaffen selbst schuldig ist. Auch der kometenartig über alle Gebiete des
Dramas schweifende Harm, Wälder, der nach seinem Ferdinand und Don Carlos
weitere Überraschungen erwarten läßt, müßte im Schauspielhause seinen
ständigen Wirkungskreis finden. Hat man die Truppen dort wieder so voll¬
zählig beisammen, daß man mit fliegenden Fahnen in die Schlacht ziehen
kann, so müßte es möglich sein, unserer Hofbühne eine leitende Stellung im
Rahmen des Berliner Theaterlebens zu verschaffen.

Man möchte allerdings zuweilen die Hände über dem Kopf zusammen¬
schlagen, wenn man daran denkt, was unsern großen und größten Dichtern
nicht nur aus jüngster Zeit dort alles verweigert wurde! Als Schinkel vier
Jahre nach dem schrecklichen Brand den Wunderbau seines Hauses auf dem
Gendarmenmarkt im Jahre 1821 vollendet hatte, bat der damalige General¬
intendant, Graf Brühl, den Weisen von Weimar, ihm zur Einweihung dieser
hehren Kunststätte seinen dichterischen Segen zu geben. Die „Iphigenie auf
Tauris" sollte mit dem Ehepaar Wolff bet dieser Gelegenheit in Szene gehen
und ein Prolog von Goethe als erster, öffentlich gesprochener Laut in diesen
Räumen erklingen. Der Dichterfürst kam sich wie Cinctnnatus vor, der vom
Pfluge geholt wurde, um sich wieder ins Schlachtgewühl zu stürzen. Aber er
erfüllte, was man von ihm begehrte. Nur selbst nach Berlin bei diesem Anlaß
zu kommen, widerstrebte seinem Gefühl und er schützte Krankheit vor. Ein
einziges Mal, als jugendlicher Dichter des „Werther", war Goethe in Be¬
gleitung seines Herzogs an der Spree gewesen, wo ihm, wie er als Greis zu
Eckermann meinte, ein so verwegener Menschenschlag zu wohnen schien, daß
man Haare auf den Zähnen haben und etwas grob sein müsse, um sich über
Wasser zu halten. Unsere königliche Bühne hat das Entgegenkommen Goethes
bei der Eröffnung des Schauspielhauses schlecht gelohnt. „Soll's 'ne Menschen¬
seele glauben", wie Hamlet sagen würde, daß man an dieser Stätte von


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[0118] Das Berliner Schauspielhaus einem älteren Rollenfach zustrebt, dem klassischen Schauspiel ein ganz neues Ansehen geben und völlig ungeahnte Wirkungen hervorbringen, wenn man sie als Lady Macbeth oder Kleists Penthesilea auftreten lassen wollte. Ein Charakterspieler ersten Ranges versteckt sich — man lache nicht! — in Giam- vietro ungenützt hinter den bunt gleißenden Revuen des Metropol¬ theaters, wo der beste Teil selner Begabung beiseite liegen bleibt. Man muß doch endlich einsehen, daß Giampietro einer der besten Sprecher der deutschen Bühne ist, auf der man das Kauen, Fauchen und Schnercheln der Worte kaum noch für einen Fehler hält. Er würde seine charakteristische Begabung schnell über weite Gebiete ausdehnen, die man ihm vorläufig noch nicht recht zutraut. Er hat sich schon als unübertrefflicher Riccaut in dem Lessingschen Lustspiel gezeigt und würde gewiß bei seinem überquellenden Humor einer der besten Darsteller des Mephistopheles werden, die unser Theater je besessen hat. Noch hängt er an der hohen Gage, mit der ihn das Metropoltheater fesselt, aber bald wird er einsehen, daß er sich und uns diesen Übergang zum breiten künstlerischen Schaffen selbst schuldig ist. Auch der kometenartig über alle Gebiete des Dramas schweifende Harm, Wälder, der nach seinem Ferdinand und Don Carlos weitere Überraschungen erwarten läßt, müßte im Schauspielhause seinen ständigen Wirkungskreis finden. Hat man die Truppen dort wieder so voll¬ zählig beisammen, daß man mit fliegenden Fahnen in die Schlacht ziehen kann, so müßte es möglich sein, unserer Hofbühne eine leitende Stellung im Rahmen des Berliner Theaterlebens zu verschaffen. Man möchte allerdings zuweilen die Hände über dem Kopf zusammen¬ schlagen, wenn man daran denkt, was unsern großen und größten Dichtern nicht nur aus jüngster Zeit dort alles verweigert wurde! Als Schinkel vier Jahre nach dem schrecklichen Brand den Wunderbau seines Hauses auf dem Gendarmenmarkt im Jahre 1821 vollendet hatte, bat der damalige General¬ intendant, Graf Brühl, den Weisen von Weimar, ihm zur Einweihung dieser hehren Kunststätte seinen dichterischen Segen zu geben. Die „Iphigenie auf Tauris" sollte mit dem Ehepaar Wolff bet dieser Gelegenheit in Szene gehen und ein Prolog von Goethe als erster, öffentlich gesprochener Laut in diesen Räumen erklingen. Der Dichterfürst kam sich wie Cinctnnatus vor, der vom Pfluge geholt wurde, um sich wieder ins Schlachtgewühl zu stürzen. Aber er erfüllte, was man von ihm begehrte. Nur selbst nach Berlin bei diesem Anlaß zu kommen, widerstrebte seinem Gefühl und er schützte Krankheit vor. Ein einziges Mal, als jugendlicher Dichter des „Werther", war Goethe in Be¬ gleitung seines Herzogs an der Spree gewesen, wo ihm, wie er als Greis zu Eckermann meinte, ein so verwegener Menschenschlag zu wohnen schien, daß man Haare auf den Zähnen haben und etwas grob sein müsse, um sich über Wasser zu halten. Unsere königliche Bühne hat das Entgegenkommen Goethes bei der Eröffnung des Schauspielhauses schlecht gelohnt. „Soll's 'ne Menschen¬ seele glauben", wie Hamlet sagen würde, daß man an dieser Stätte von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/118>, abgerufen am 24.07.2024.