Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Not der preußische" Verwaltung

jährlich einige tausend Bogen Papier zwecklos verschrieben werden oder daß
infolge eines allzu umstündlichen Geschäftsgangs die Entscheidung auf irgend¬
eine gleichgültige Eingabe etwas später in die Hände des Empfängers kommt,
als dieser erwarten konnte!

Der innere Grund für diese Entwicklung ist die Auflösung des alten
Beamtenstaats. Auch darin hat Professor Hasbach recht. Nur ist es zu ein¬
seitig, sie darauf zurückzuführen, daß der Beamtenstaat keine Ideen mehr habe.
Die besten Ideen nützen nicht, wenn sie nicht getragen und verwirklicht werden
von dafür geeigneten Persönlichkeiten. Der Beamtenstaat führt deshalb nicht
mehr, weil er keine Führer mehr hat und hervorbringt. Also auch an dem
zweiten, viel größeren Gebrechen unsrer gegenwärtigen Zustände sind persönliche
Unzulänglichkeiten schuld.

Das ist auch nichts Ungewöhnliches. Wer den Dingen auf den Grund
zu gehen pflegt, weiß, daß überall im Menschendasein, im Alltagsleben des
Einzelnen so gut wie in der Geschichte ganzer Völker, soweit nicht der blinde
Zufall sein Spiel treibt, alles vou dem Wollen und Handeln der Menschen
bestimmt wird. Der Geist ist's, der die Dinge schafft, der Geist empfindender,
denkender und handelnder Menschen.

Deshalb hat auch der jetzige Herr Reichskanzler als preußischer Minister
des Innern in seiner großen Rede über die Wahlrechtsfrage im Abgeordneten¬
haus am 23. März 1906 den Verehrern des Reichstagswahlrechts entgegen¬
gehalten, daß der Geist immer noch mehr sei als die Form, und daß es nicht
darauf ankomme, alles auszugleichen, sondern darauf, die besten und edelsten
Kräfte des Volkes und der Menschheit zu Führern des Lebens zu machen, also,
setze ich hinzu, ihre Träger an die Spitze zu bringen. Deshalb sind die Denker
über den Krieg darin einig, daß Sieg und Niederlage niemals von taktischen
Formen abhängig gewesen sind, sondern daß immer der Geist der Heere den
Erfolg bestimmt hat, vornehmlich der Geist, der in den Führern lebte. Deshalb
sucht der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes in seinem Kampfe um die
Rechtspflege sein Ziel, die Stärkung des Vertrauens zu den Gerichten, zu er¬
reichen durch die Hebung und Förderung der richterlichen Persönlichkeiten.

Sollte um dies alles nicht auch für unsre Verwaltung gelten, die nur
ein Ausschnitt aus der Geschichte unsres Volkes ist, die die berufsmäßige Führerin
des Volkes jedenfalls sein müßte, die innerlich so nahe mit dem Kriegsdienst
verwandt ist, die so ganz andre Anforderungen an ihre Jünger stellt als der
Justizdienst? Sicherlich! Dann muß aber auch die Erledigung aller Ver¬
waltungsgeschäfte, von den bedeutendsten Fragen bis hinunter zu den gleich¬
gültigsten Dingen des täglichen Geschäftsverkehrs entscheidend beeinflußt werden
von den Persönlichkeiten der Beamten, ihren Fähigkeiten, ihrer Auffassung,
ihren: Können, ihrer Willenskraft, mit einen: Wort -- von ihrer Tüchtigkeit.
Und dann müssen weiter die Leistungen der Verwaltung selbst genau entsprechen
der Tüchtigkeit der Beamtenschaft. Dieser Schluß ist unabweisbar.


Die Not der preußische» Verwaltung

jährlich einige tausend Bogen Papier zwecklos verschrieben werden oder daß
infolge eines allzu umstündlichen Geschäftsgangs die Entscheidung auf irgend¬
eine gleichgültige Eingabe etwas später in die Hände des Empfängers kommt,
als dieser erwarten konnte!

Der innere Grund für diese Entwicklung ist die Auflösung des alten
Beamtenstaats. Auch darin hat Professor Hasbach recht. Nur ist es zu ein¬
seitig, sie darauf zurückzuführen, daß der Beamtenstaat keine Ideen mehr habe.
Die besten Ideen nützen nicht, wenn sie nicht getragen und verwirklicht werden
von dafür geeigneten Persönlichkeiten. Der Beamtenstaat führt deshalb nicht
mehr, weil er keine Führer mehr hat und hervorbringt. Also auch an dem
zweiten, viel größeren Gebrechen unsrer gegenwärtigen Zustände sind persönliche
Unzulänglichkeiten schuld.

Das ist auch nichts Ungewöhnliches. Wer den Dingen auf den Grund
zu gehen pflegt, weiß, daß überall im Menschendasein, im Alltagsleben des
Einzelnen so gut wie in der Geschichte ganzer Völker, soweit nicht der blinde
Zufall sein Spiel treibt, alles vou dem Wollen und Handeln der Menschen
bestimmt wird. Der Geist ist's, der die Dinge schafft, der Geist empfindender,
denkender und handelnder Menschen.

Deshalb hat auch der jetzige Herr Reichskanzler als preußischer Minister
des Innern in seiner großen Rede über die Wahlrechtsfrage im Abgeordneten¬
haus am 23. März 1906 den Verehrern des Reichstagswahlrechts entgegen¬
gehalten, daß der Geist immer noch mehr sei als die Form, und daß es nicht
darauf ankomme, alles auszugleichen, sondern darauf, die besten und edelsten
Kräfte des Volkes und der Menschheit zu Führern des Lebens zu machen, also,
setze ich hinzu, ihre Träger an die Spitze zu bringen. Deshalb sind die Denker
über den Krieg darin einig, daß Sieg und Niederlage niemals von taktischen
Formen abhängig gewesen sind, sondern daß immer der Geist der Heere den
Erfolg bestimmt hat, vornehmlich der Geist, der in den Führern lebte. Deshalb
sucht der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes in seinem Kampfe um die
Rechtspflege sein Ziel, die Stärkung des Vertrauens zu den Gerichten, zu er¬
reichen durch die Hebung und Förderung der richterlichen Persönlichkeiten.

Sollte um dies alles nicht auch für unsre Verwaltung gelten, die nur
ein Ausschnitt aus der Geschichte unsres Volkes ist, die die berufsmäßige Führerin
des Volkes jedenfalls sein müßte, die innerlich so nahe mit dem Kriegsdienst
verwandt ist, die so ganz andre Anforderungen an ihre Jünger stellt als der
Justizdienst? Sicherlich! Dann muß aber auch die Erledigung aller Ver¬
waltungsgeschäfte, von den bedeutendsten Fragen bis hinunter zu den gleich¬
gültigsten Dingen des täglichen Geschäftsverkehrs entscheidend beeinflußt werden
von den Persönlichkeiten der Beamten, ihren Fähigkeiten, ihrer Auffassung,
ihren: Können, ihrer Willenskraft, mit einen: Wort — von ihrer Tüchtigkeit.
Und dann müssen weiter die Leistungen der Verwaltung selbst genau entsprechen
der Tüchtigkeit der Beamtenschaft. Dieser Schluß ist unabweisbar.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/315108"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Not der preußische» Verwaltung</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> jährlich einige tausend Bogen Papier zwecklos verschrieben werden oder daß<lb/>
infolge eines allzu umstündlichen Geschäftsgangs die Entscheidung auf irgend¬<lb/>
eine gleichgültige Eingabe etwas später in die Hände des Empfängers kommt,<lb/>
als dieser erwarten konnte!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_332"> Der innere Grund für diese Entwicklung ist die Auflösung des alten<lb/>
Beamtenstaats. Auch darin hat Professor Hasbach recht. Nur ist es zu ein¬<lb/>
seitig, sie darauf zurückzuführen, daß der Beamtenstaat keine Ideen mehr habe.<lb/>
Die besten Ideen nützen nicht, wenn sie nicht getragen und verwirklicht werden<lb/>
von dafür geeigneten Persönlichkeiten. Der Beamtenstaat führt deshalb nicht<lb/>
mehr, weil er keine Führer mehr hat und hervorbringt. Also auch an dem<lb/>
zweiten, viel größeren Gebrechen unsrer gegenwärtigen Zustände sind persönliche<lb/>
Unzulänglichkeiten schuld.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_333"> Das ist auch nichts Ungewöhnliches. Wer den Dingen auf den Grund<lb/>
zu gehen pflegt, weiß, daß überall im Menschendasein, im Alltagsleben des<lb/>
Einzelnen so gut wie in der Geschichte ganzer Völker, soweit nicht der blinde<lb/>
Zufall sein Spiel treibt, alles vou dem Wollen und Handeln der Menschen<lb/>
bestimmt wird. Der Geist ist's, der die Dinge schafft, der Geist empfindender,<lb/>
denkender und handelnder Menschen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_334"> Deshalb hat auch der jetzige Herr Reichskanzler als preußischer Minister<lb/>
des Innern in seiner großen Rede über die Wahlrechtsfrage im Abgeordneten¬<lb/>
haus am 23. März 1906 den Verehrern des Reichstagswahlrechts entgegen¬<lb/>
gehalten, daß der Geist immer noch mehr sei als die Form, und daß es nicht<lb/>
darauf ankomme, alles auszugleichen, sondern darauf, die besten und edelsten<lb/>
Kräfte des Volkes und der Menschheit zu Führern des Lebens zu machen, also,<lb/>
setze ich hinzu, ihre Träger an die Spitze zu bringen. Deshalb sind die Denker<lb/>
über den Krieg darin einig, daß Sieg und Niederlage niemals von taktischen<lb/>
Formen abhängig gewesen sind, sondern daß immer der Geist der Heere den<lb/>
Erfolg bestimmt hat, vornehmlich der Geist, der in den Führern lebte. Deshalb<lb/>
sucht der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes in seinem Kampfe um die<lb/>
Rechtspflege sein Ziel, die Stärkung des Vertrauens zu den Gerichten, zu er¬<lb/>
reichen durch die Hebung und Förderung der richterlichen Persönlichkeiten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_335"> Sollte um dies alles nicht auch für unsre Verwaltung gelten, die nur<lb/>
ein Ausschnitt aus der Geschichte unsres Volkes ist, die die berufsmäßige Führerin<lb/>
des Volkes jedenfalls sein müßte, die innerlich so nahe mit dem Kriegsdienst<lb/>
verwandt ist, die so ganz andre Anforderungen an ihre Jünger stellt als der<lb/>
Justizdienst? Sicherlich! Dann muß aber auch die Erledigung aller Ver¬<lb/>
waltungsgeschäfte, von den bedeutendsten Fragen bis hinunter zu den gleich¬<lb/>
gültigsten Dingen des täglichen Geschäftsverkehrs entscheidend beeinflußt werden<lb/>
von den Persönlichkeiten der Beamten, ihren Fähigkeiten, ihrer Auffassung,<lb/>
ihren: Können, ihrer Willenskraft, mit einen: Wort &#x2014; von ihrer Tüchtigkeit.<lb/>
Und dann müssen weiter die Leistungen der Verwaltung selbst genau entsprechen<lb/>
der Tüchtigkeit der Beamtenschaft. Dieser Schluß ist unabweisbar.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0111] Die Not der preußische» Verwaltung jährlich einige tausend Bogen Papier zwecklos verschrieben werden oder daß infolge eines allzu umstündlichen Geschäftsgangs die Entscheidung auf irgend¬ eine gleichgültige Eingabe etwas später in die Hände des Empfängers kommt, als dieser erwarten konnte! Der innere Grund für diese Entwicklung ist die Auflösung des alten Beamtenstaats. Auch darin hat Professor Hasbach recht. Nur ist es zu ein¬ seitig, sie darauf zurückzuführen, daß der Beamtenstaat keine Ideen mehr habe. Die besten Ideen nützen nicht, wenn sie nicht getragen und verwirklicht werden von dafür geeigneten Persönlichkeiten. Der Beamtenstaat führt deshalb nicht mehr, weil er keine Führer mehr hat und hervorbringt. Also auch an dem zweiten, viel größeren Gebrechen unsrer gegenwärtigen Zustände sind persönliche Unzulänglichkeiten schuld. Das ist auch nichts Ungewöhnliches. Wer den Dingen auf den Grund zu gehen pflegt, weiß, daß überall im Menschendasein, im Alltagsleben des Einzelnen so gut wie in der Geschichte ganzer Völker, soweit nicht der blinde Zufall sein Spiel treibt, alles vou dem Wollen und Handeln der Menschen bestimmt wird. Der Geist ist's, der die Dinge schafft, der Geist empfindender, denkender und handelnder Menschen. Deshalb hat auch der jetzige Herr Reichskanzler als preußischer Minister des Innern in seiner großen Rede über die Wahlrechtsfrage im Abgeordneten¬ haus am 23. März 1906 den Verehrern des Reichstagswahlrechts entgegen¬ gehalten, daß der Geist immer noch mehr sei als die Form, und daß es nicht darauf ankomme, alles auszugleichen, sondern darauf, die besten und edelsten Kräfte des Volkes und der Menschheit zu Führern des Lebens zu machen, also, setze ich hinzu, ihre Träger an die Spitze zu bringen. Deshalb sind die Denker über den Krieg darin einig, daß Sieg und Niederlage niemals von taktischen Formen abhängig gewesen sind, sondern daß immer der Geist der Heere den Erfolg bestimmt hat, vornehmlich der Geist, der in den Führern lebte. Deshalb sucht der Frankfurter Oberbürgermeister Adickes in seinem Kampfe um die Rechtspflege sein Ziel, die Stärkung des Vertrauens zu den Gerichten, zu er¬ reichen durch die Hebung und Förderung der richterlichen Persönlichkeiten. Sollte um dies alles nicht auch für unsre Verwaltung gelten, die nur ein Ausschnitt aus der Geschichte unsres Volkes ist, die die berufsmäßige Führerin des Volkes jedenfalls sein müßte, die innerlich so nahe mit dem Kriegsdienst verwandt ist, die so ganz andre Anforderungen an ihre Jünger stellt als der Justizdienst? Sicherlich! Dann muß aber auch die Erledigung aller Ver¬ waltungsgeschäfte, von den bedeutendsten Fragen bis hinunter zu den gleich¬ gültigsten Dingen des täglichen Geschäftsverkehrs entscheidend beeinflußt werden von den Persönlichkeiten der Beamten, ihren Fähigkeiten, ihrer Auffassung, ihren: Können, ihrer Willenskraft, mit einen: Wort — von ihrer Tüchtigkeit. Und dann müssen weiter die Leistungen der Verwaltung selbst genau entsprechen der Tüchtigkeit der Beamtenschaft. Dieser Schluß ist unabweisbar.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/111
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/111>, abgerufen am 24.07.2024.