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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare

wie der Gezähmten vom Wesensleibe des Stückes ab und wird, wie alles andere,
zum ausgefallenen Spiel, zum Krongut des Hohlspiegeldichters, des ausgelassenen,
üppigen Farceurs.

Im erhabensten Dichter steckt ein Clown. Der will auch leben. So ist das
Ganze als Fastnachtscherz, als Jahrmarkttreiben gar nicht bunt genug zu geben.
Die Menschen müssen halb unsinnig auf die Bühne kommen, berauscht vom schweren
Wein des vollsaftigen Lebens, das sie führen. Das geschieht hier. Über jede
Einzelheit wird schnell hinweggehuscht, man hat ja so viel Wichtigeres zu trui
Man hat zu leben, immer wieder zu leben; im schnellsten Tempo, mitreißend, alles
umarmend und glücklich I Gerade darum aber pflanzt sich, ohne das geringste
Verletzende für irgend jemand zu haben, al kresoo die Gesamtdevise des
Stückes strahlend und strotzend vor den Augen des Beschauers hin: Sei nur ein
Mann, so wird Dein Gespons ein rechtes Weib sein. Wisse, was Du willst, und
laß nicht ab von Deinem Wohlerwogenen, doch tu' es, wie Kätchen, der Racker,
so fein herausfindet, "unterm Schein der zartsten Liebe", mit andern Worten:
Bleibe bei all Deiner Bestimmtheit Gentleman . . .: so sollst du sehen, welch ein
ausgezeichneter Gefährte auf einmal an deiner Seite schreitet. Denn das Weib --
Ausnahmen immer ausgenommen -- will gar nichts anderes als geführt sein,
als unmerklich beherrscht sein... Wogegen es selbst hinwiederum -- auch diese
Ironie liegt bei Shakespeare leise drin -- dem großen Herrn schon bei
Zeiten die Mütze über beide Ohren ziehen wird . . .

Natürlich kommt alles auf die Schauspieler an. Mit lahmen Kräften kann
man dergleichen nicht machen. Wer in dieser Welt kaum gehen kann, wird es
noch weniger in derjenigen vermögen, die als einzigen Boden die Anschauung von
der Welt als Gaukelbild, als Gleichnis oder als Rutschbahn unter den Füßen
hat. . . . Unvergleichlich glaubhaft war bei dem genialischer Herrn Bassermann
das sieghaft - Sichere seiner Persönlichkeit, vor allem aber das Leuchten in Augen
und in Mienen, das überall sagte: Ich lieb'das Frauenzimmer, den himmlischen
Höllenbraten! Wir sahn eine bedeutend spätere Vorstellung als die Uraufführung: aber
noch immer "leuchtete" der Bändiger seineLiebe durch alleZwangsmaßregelnhindurch.

Ob man, wie bei Reinhardt geschehen ist, das Vorspiel vom Kesselflicker
geben soll, durch das die ganze Widerspänstigen-Fabel als ein Ulk erscheint, den
ein großer Herr einem gehänselten armen Schlucker vorgaukeln läßt, erscheint an
sich unerheblich. Tatsächlich hat man am Ende Kesselflicker und großen Lord
völlig vergessen. Wird aber das Vorspiel so überwältigend komisch, wie hier durch
die Kunst des Herrn Waßmann, gegeben, so erweist das seine Berechtigung durch
sich selbst. Außerdem leitet es allerdings vortrefflich zur Harlekinade und zum
sinnig beziehungsvollen Übermut des Folgenden hinüber. Es ermöglicht, das
Hauptspiel als Schmierenaufführung einer herumziehenden Truppe zu geben.
Damit wird alles noch viel mehr ins Reich des Unbewußt - Barocken, des
verborgen liegenden und nur auf seinen Erwecker wartenden Blödsinns der
Welt hinausgespielt .... Mit ausgezeichneter künstlerischer Durchdringung
sind hier alle Faktoren an einander gefügt worden, um den echten Shakespeare ans
Licht zu stellen. Keiner Ehrwürdigkeit, keiner berechtigten Überlieferung, keinem
Ur-Dichter-Wort ist hier ins Gesicht geschlagen -- sie sind in Wahrheit erst
Paul Mahn Pfunden.


von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare

wie der Gezähmten vom Wesensleibe des Stückes ab und wird, wie alles andere,
zum ausgefallenen Spiel, zum Krongut des Hohlspiegeldichters, des ausgelassenen,
üppigen Farceurs.

Im erhabensten Dichter steckt ein Clown. Der will auch leben. So ist das
Ganze als Fastnachtscherz, als Jahrmarkttreiben gar nicht bunt genug zu geben.
Die Menschen müssen halb unsinnig auf die Bühne kommen, berauscht vom schweren
Wein des vollsaftigen Lebens, das sie führen. Das geschieht hier. Über jede
Einzelheit wird schnell hinweggehuscht, man hat ja so viel Wichtigeres zu trui
Man hat zu leben, immer wieder zu leben; im schnellsten Tempo, mitreißend, alles
umarmend und glücklich I Gerade darum aber pflanzt sich, ohne das geringste
Verletzende für irgend jemand zu haben, al kresoo die Gesamtdevise des
Stückes strahlend und strotzend vor den Augen des Beschauers hin: Sei nur ein
Mann, so wird Dein Gespons ein rechtes Weib sein. Wisse, was Du willst, und
laß nicht ab von Deinem Wohlerwogenen, doch tu' es, wie Kätchen, der Racker,
so fein herausfindet, „unterm Schein der zartsten Liebe", mit andern Worten:
Bleibe bei all Deiner Bestimmtheit Gentleman . . .: so sollst du sehen, welch ein
ausgezeichneter Gefährte auf einmal an deiner Seite schreitet. Denn das Weib —
Ausnahmen immer ausgenommen — will gar nichts anderes als geführt sein,
als unmerklich beherrscht sein... Wogegen es selbst hinwiederum — auch diese
Ironie liegt bei Shakespeare leise drin — dem großen Herrn schon bei
Zeiten die Mütze über beide Ohren ziehen wird . . .

Natürlich kommt alles auf die Schauspieler an. Mit lahmen Kräften kann
man dergleichen nicht machen. Wer in dieser Welt kaum gehen kann, wird es
noch weniger in derjenigen vermögen, die als einzigen Boden die Anschauung von
der Welt als Gaukelbild, als Gleichnis oder als Rutschbahn unter den Füßen
hat. . . . Unvergleichlich glaubhaft war bei dem genialischer Herrn Bassermann
das sieghaft - Sichere seiner Persönlichkeit, vor allem aber das Leuchten in Augen
und in Mienen, das überall sagte: Ich lieb'das Frauenzimmer, den himmlischen
Höllenbraten! Wir sahn eine bedeutend spätere Vorstellung als die Uraufführung: aber
noch immer „leuchtete" der Bändiger seineLiebe durch alleZwangsmaßregelnhindurch.

Ob man, wie bei Reinhardt geschehen ist, das Vorspiel vom Kesselflicker
geben soll, durch das die ganze Widerspänstigen-Fabel als ein Ulk erscheint, den
ein großer Herr einem gehänselten armen Schlucker vorgaukeln läßt, erscheint an
sich unerheblich. Tatsächlich hat man am Ende Kesselflicker und großen Lord
völlig vergessen. Wird aber das Vorspiel so überwältigend komisch, wie hier durch
die Kunst des Herrn Waßmann, gegeben, so erweist das seine Berechtigung durch
sich selbst. Außerdem leitet es allerdings vortrefflich zur Harlekinade und zum
sinnig beziehungsvollen Übermut des Folgenden hinüber. Es ermöglicht, das
Hauptspiel als Schmierenaufführung einer herumziehenden Truppe zu geben.
Damit wird alles noch viel mehr ins Reich des Unbewußt - Barocken, des
verborgen liegenden und nur auf seinen Erwecker wartenden Blödsinns der
Welt hinausgespielt .... Mit ausgezeichneter künstlerischer Durchdringung
sind hier alle Faktoren an einander gefügt worden, um den echten Shakespeare ans
Licht zu stellen. Keiner Ehrwürdigkeit, keiner berechtigten Überlieferung, keinem
Ur-Dichter-Wort ist hier ins Gesicht geschlagen — sie sind in Wahrheit erst
Paul Mahn Pfunden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/107>, abgerufen am 22.12.2024.