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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare

der Geschäfte und damit verbunden erhöhtes Verantwortlichkeitsgefühl, das alles
erklärt die eigenartige Stellung der Reichsbankbemnten und verbietet eine Gleich¬
stellung mit dem übrigen Beamtenkörper. Die Beamten der sogenannten Buchhalter¬
klasse haben sich in ihrer Not in einer Petition vom 6. Januar dieses Jahres an
den Bundesrat gewandt und um eine sehr bescheidene Erhöhung der für sie in
Aussicht genommenen Gehaltssätze gebeten. Bewilligt soll ihnen eine Erhöhung
von ganzen hundert Mark werden, das heißt Mark 2100 steigend um Mark 400
in 21 Jahren bis ans Mark 4900; die Beamten erbitten Mark 2100 steigend
um 500 in 18 Jahren bis auf Mark 5000.

Wir hören, dasz den Beamten vor einiger Zeit durch Verfügung des
Direktoriums die Möglichkeit genommen worden ist, sich in einem Verein zusammen¬
zuschließen, der bezwecken sollte, eine Vertretung der allen Reichsbankbemnten gemein¬
samen Interessen zu erleichtern. Wir vermögen dieser Nachricht kaum Glauben zu
schenken, da wir es für ausgeschlossen halten, daß im zwanzigsten Jahrhundert eine
Behörde, womöglich dnrch verblümte Androhung von Disziplinarmaßregeln oder
Ungnade, das Koalitionsrecht der Beamten beschränkt.




von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare

s beklemmt fast, das völlige Versagen derjenigen zu sehen, die einst
für die Zukunft des neuen Dramas galten. Etwas von Leichen¬
starre liegt über den letzten Schöpfungen der bekannten Namen,
eine geschminkte Röte, die den Schein des Daseins heuchelt doch
inneren Zerfall bedeckt.

Vielleicht begegnet es nicht noch einmal in der gesamten Literatur,
daß einer, der soviel konnte, wie Hauptmann in den "Webern", im "Biber¬
pelz", im "Friedensfest" und anderem, so unaussprechlich abfiel, wie es ihm etwa
w den "Jungfrauen vom Bischofsberg", in "Kaiser Karls Geisel", in "Griseldis"
und noch einigem geschehen ist. Sudermann, der einstmals wenigstens "Die Ehre", "Die
Heimat" und "Das Glück im Winkel" schuf. Werke, die bei allem, was mit Recht
gegen sie einzuwenden ist, wenigstens in gewissem Umfange einen: Zeitbedürfnisse
Rede standen, ist mit seinen letzten Dramen "Stein unter Steinen", "Vlumenboot"
immer müder und lebloser geworden. Das allerletzte, "Strandkinder", das die
verflossene Vor-Weihnacht uns brachte, entzieht sich fast schon einer kritischen
Würdigung. Wenigstens für denjenigen, dem das bloße Absprechen, das "Herunter¬
putzen", widersteht und der doch wahrheitsgemäß nichts anderes tuu könnte. Es
fehlt dem Schauspiel sogar an der Kraft, zum Zorn zu reizen. Man spürt nicht
wehr die Lust da abzulehnen, wo Form und Inhalt sich durch unbezwingliche Leere
und Langeweile von selbst ablehnen.

Selbst unter den Talenten der Sturm- und Drangzeit, unter den Mit¬
strebenden des jungen Goethe, begegnen ähnliche Abstürze kaum. Einmal war das
Endergebnis selten so völlig nichts; sodann aber war der Anstieg nie so bedeutend,


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der Geschäfte und damit verbunden erhöhtes Verantwortlichkeitsgefühl, das alles
erklärt die eigenartige Stellung der Reichsbankbemnten und verbietet eine Gleich¬
stellung mit dem übrigen Beamtenkörper. Die Beamten der sogenannten Buchhalter¬
klasse haben sich in ihrer Not in einer Petition vom 6. Januar dieses Jahres an
den Bundesrat gewandt und um eine sehr bescheidene Erhöhung der für sie in
Aussicht genommenen Gehaltssätze gebeten. Bewilligt soll ihnen eine Erhöhung
von ganzen hundert Mark werden, das heißt Mark 2100 steigend um Mark 400
in 21 Jahren bis ans Mark 4900; die Beamten erbitten Mark 2100 steigend
um 500 in 18 Jahren bis auf Mark 5000.

Wir hören, dasz den Beamten vor einiger Zeit durch Verfügung des
Direktoriums die Möglichkeit genommen worden ist, sich in einem Verein zusammen¬
zuschließen, der bezwecken sollte, eine Vertretung der allen Reichsbankbemnten gemein¬
samen Interessen zu erleichtern. Wir vermögen dieser Nachricht kaum Glauben zu
schenken, da wir es für ausgeschlossen halten, daß im zwanzigsten Jahrhundert eine
Behörde, womöglich dnrch verblümte Androhung von Disziplinarmaßregeln oder
Ungnade, das Koalitionsrecht der Beamten beschränkt.




von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare

s beklemmt fast, das völlige Versagen derjenigen zu sehen, die einst
für die Zukunft des neuen Dramas galten. Etwas von Leichen¬
starre liegt über den letzten Schöpfungen der bekannten Namen,
eine geschminkte Röte, die den Schein des Daseins heuchelt doch
inneren Zerfall bedeckt.

Vielleicht begegnet es nicht noch einmal in der gesamten Literatur,
daß einer, der soviel konnte, wie Hauptmann in den „Webern", im „Biber¬
pelz", im „Friedensfest" und anderem, so unaussprechlich abfiel, wie es ihm etwa
w den „Jungfrauen vom Bischofsberg", in „Kaiser Karls Geisel", in „Griseldis"
und noch einigem geschehen ist. Sudermann, der einstmals wenigstens „Die Ehre", „Die
Heimat" und „Das Glück im Winkel" schuf. Werke, die bei allem, was mit Recht
gegen sie einzuwenden ist, wenigstens in gewissem Umfange einen: Zeitbedürfnisse
Rede standen, ist mit seinen letzten Dramen „Stein unter Steinen", „Vlumenboot"
immer müder und lebloser geworden. Das allerletzte, „Strandkinder", das die
verflossene Vor-Weihnacht uns brachte, entzieht sich fast schon einer kritischen
Würdigung. Wenigstens für denjenigen, dem das bloße Absprechen, das „Herunter¬
putzen", widersteht und der doch wahrheitsgemäß nichts anderes tuu könnte. Es
fehlt dem Schauspiel sogar an der Kraft, zum Zorn zu reizen. Man spürt nicht
wehr die Lust da abzulehnen, wo Form und Inhalt sich durch unbezwingliche Leere
und Langeweile von selbst ablehnen.

Selbst unter den Talenten der Sturm- und Drangzeit, unter den Mit¬
strebenden des jungen Goethe, begegnen ähnliche Abstürze kaum. Einmal war das
Endergebnis selten so völlig nichts; sodann aber war der Anstieg nie so bedeutend,


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[0103] von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare der Geschäfte und damit verbunden erhöhtes Verantwortlichkeitsgefühl, das alles erklärt die eigenartige Stellung der Reichsbankbemnten und verbietet eine Gleich¬ stellung mit dem übrigen Beamtenkörper. Die Beamten der sogenannten Buchhalter¬ klasse haben sich in ihrer Not in einer Petition vom 6. Januar dieses Jahres an den Bundesrat gewandt und um eine sehr bescheidene Erhöhung der für sie in Aussicht genommenen Gehaltssätze gebeten. Bewilligt soll ihnen eine Erhöhung von ganzen hundert Mark werden, das heißt Mark 2100 steigend um Mark 400 in 21 Jahren bis ans Mark 4900; die Beamten erbitten Mark 2100 steigend um 500 in 18 Jahren bis auf Mark 5000. Wir hören, dasz den Beamten vor einiger Zeit durch Verfügung des Direktoriums die Möglichkeit genommen worden ist, sich in einem Verein zusammen¬ zuschließen, der bezwecken sollte, eine Vertretung der allen Reichsbankbemnten gemein¬ samen Interessen zu erleichtern. Wir vermögen dieser Nachricht kaum Glauben zu schenken, da wir es für ausgeschlossen halten, daß im zwanzigsten Jahrhundert eine Behörde, womöglich dnrch verblümte Androhung von Disziplinarmaßregeln oder Ungnade, das Koalitionsrecht der Beamten beschränkt. von Sudermann, Hauptmann und Shakespeare s beklemmt fast, das völlige Versagen derjenigen zu sehen, die einst für die Zukunft des neuen Dramas galten. Etwas von Leichen¬ starre liegt über den letzten Schöpfungen der bekannten Namen, eine geschminkte Röte, die den Schein des Daseins heuchelt doch inneren Zerfall bedeckt. Vielleicht begegnet es nicht noch einmal in der gesamten Literatur, daß einer, der soviel konnte, wie Hauptmann in den „Webern", im „Biber¬ pelz", im „Friedensfest" und anderem, so unaussprechlich abfiel, wie es ihm etwa w den „Jungfrauen vom Bischofsberg", in „Kaiser Karls Geisel", in „Griseldis" und noch einigem geschehen ist. Sudermann, der einstmals wenigstens „Die Ehre", „Die Heimat" und „Das Glück im Winkel" schuf. Werke, die bei allem, was mit Recht gegen sie einzuwenden ist, wenigstens in gewissem Umfange einen: Zeitbedürfnisse Rede standen, ist mit seinen letzten Dramen „Stein unter Steinen", „Vlumenboot" immer müder und lebloser geworden. Das allerletzte, „Strandkinder", das die verflossene Vor-Weihnacht uns brachte, entzieht sich fast schon einer kritischen Würdigung. Wenigstens für denjenigen, dem das bloße Absprechen, das „Herunter¬ putzen", widersteht und der doch wahrheitsgemäß nichts anderes tuu könnte. Es fehlt dem Schauspiel sogar an der Kraft, zum Zorn zu reizen. Man spürt nicht wehr die Lust da abzulehnen, wo Form und Inhalt sich durch unbezwingliche Leere und Langeweile von selbst ablehnen. Selbst unter den Talenten der Sturm- und Drangzeit, unter den Mit¬ strebenden des jungen Goethe, begegnen ähnliche Abstürze kaum. Einmal war das Endergebnis selten so völlig nichts; sodann aber war der Anstieg nie so bedeutend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/103>, abgerufen am 21.12.2024.