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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Vie kaufmännische Bildung

eine geistig gering entwickelte Nation, Die deutsche Geschichte gerade der
letzten Jahrzehnte würde diese Ansicht sofort widerlegen, denn ohne Zweifel
muß sie dem Volk der "Dichter und Denker" einen hervorragenden Anteil an
der Entwicklung des Welthandels anerkennen!

Nein, noch immer ist es so gewesen, daß der geistig höher stehende auch
schneller und sicherer einen Beruf erlernen kann als der mangelhaft gebildete.*)
Sind doch Beispiele hier nicht mehr selten, die beweisen, daß sich Leute mit
wissenschaftlicher Bildung, "Akademiker" im vollsten Sinne des Wortes oft
sogar in vorgerückten Lebensjahren in einen kaufmännischen Beruf einzuarbeiten
und in diesem Berufe großes zu leisten vermochten. Vielleicht könnte man
hier sogar als Beispiel eine ganze Berufsklasse anführen: die Chemiker, die
später Fabrikdirektoren werden.

Freilich können die Resultate der allgemeinen Bildung da nicht wirken,
wo die Fachbildung fehlt. Wie nötig eine systematische Fachbildung ist, be¬
weisen zur Genüge die technischen Berufe. Wer die Frequenzzahlen der tech¬
nischen und Gewerbeschulen mit denen der kaufmännischen Bildungsanstalten ver¬
gleicht, dem wird mit erschreckender Klarheit das viel geringere Streben des
Kaufmanns nach Fachbildung gegenüber dem Techniker, in allen Schichten,
bis herab zum schlichten Handwerker, zum Bewußtsein kommen. Nun wird oft
gegen die Notwendigkeit einer systematischen Fachbildung, wie sie die Bildungs¬
anstalt gibt, das Argument angeführt, daß sich die kaufmännische Fachbildung
nicht methodisch lernen und lehren lasse. Das gilt doch nur von der rein
mechanischen Tätigkeit des subalternen Kaufmanns! Denn hier scheiden sich
die Geister! Wer nur einer handwerkmäßigen Betätigung im Kaufmanns¬
berufe zustrebt, dem mag die praktische Ausbildung in der Lehrzeit genügen,
wer aber als denkender Kaufmann nach neuen Formen der industriellen und
kommerziellen Unternehmung sucht, für den ist eine in einer kaufmännischen
Bildungsanstalt gewonnene Fachbildung nicht nur erwünscht, sondern geradezu
geboten!

Man hat oft darüber geklagt, daß der Name Kaufmann für den einen
zuviel, für den andern zuwenig sei, daß mit andern Worten eine zu geringe
Differenzierung des Kaufmannstandes nach außen hin erfolge. In der oben
angeführten Scheidung ist die erste Möglichkeit der Differenzierung gegeben.
Nicht nach Besitz und Reichtum einerseits oder Mangel an Besitz und gering
bezahlter Tätigkeit andrerseits, vielmehr nach höherer und geringerer kauf¬
männischer Bildung sollen die Angehörigen des Industrie- und Handelsberufs
gruppiert werden: nicht anders wie man heute zwischen einem Regierungs¬
baumeister mit technischer Hochschulbildung und einem Baumeister, der auf



*) Wir können hier von Ausnahmefällen absehen, in denen eine zu einseitige Erfassung
des Theoretischen die Fähigkeit, auch die praktischen Seiten des Lebens zu bewältigen, ver¬
mindert hat.
Vie kaufmännische Bildung

eine geistig gering entwickelte Nation, Die deutsche Geschichte gerade der
letzten Jahrzehnte würde diese Ansicht sofort widerlegen, denn ohne Zweifel
muß sie dem Volk der „Dichter und Denker" einen hervorragenden Anteil an
der Entwicklung des Welthandels anerkennen!

Nein, noch immer ist es so gewesen, daß der geistig höher stehende auch
schneller und sicherer einen Beruf erlernen kann als der mangelhaft gebildete.*)
Sind doch Beispiele hier nicht mehr selten, die beweisen, daß sich Leute mit
wissenschaftlicher Bildung, „Akademiker" im vollsten Sinne des Wortes oft
sogar in vorgerückten Lebensjahren in einen kaufmännischen Beruf einzuarbeiten
und in diesem Berufe großes zu leisten vermochten. Vielleicht könnte man
hier sogar als Beispiel eine ganze Berufsklasse anführen: die Chemiker, die
später Fabrikdirektoren werden.

Freilich können die Resultate der allgemeinen Bildung da nicht wirken,
wo die Fachbildung fehlt. Wie nötig eine systematische Fachbildung ist, be¬
weisen zur Genüge die technischen Berufe. Wer die Frequenzzahlen der tech¬
nischen und Gewerbeschulen mit denen der kaufmännischen Bildungsanstalten ver¬
gleicht, dem wird mit erschreckender Klarheit das viel geringere Streben des
Kaufmanns nach Fachbildung gegenüber dem Techniker, in allen Schichten,
bis herab zum schlichten Handwerker, zum Bewußtsein kommen. Nun wird oft
gegen die Notwendigkeit einer systematischen Fachbildung, wie sie die Bildungs¬
anstalt gibt, das Argument angeführt, daß sich die kaufmännische Fachbildung
nicht methodisch lernen und lehren lasse. Das gilt doch nur von der rein
mechanischen Tätigkeit des subalternen Kaufmanns! Denn hier scheiden sich
die Geister! Wer nur einer handwerkmäßigen Betätigung im Kaufmanns¬
berufe zustrebt, dem mag die praktische Ausbildung in der Lehrzeit genügen,
wer aber als denkender Kaufmann nach neuen Formen der industriellen und
kommerziellen Unternehmung sucht, für den ist eine in einer kaufmännischen
Bildungsanstalt gewonnene Fachbildung nicht nur erwünscht, sondern geradezu
geboten!

Man hat oft darüber geklagt, daß der Name Kaufmann für den einen
zuviel, für den andern zuwenig sei, daß mit andern Worten eine zu geringe
Differenzierung des Kaufmannstandes nach außen hin erfolge. In der oben
angeführten Scheidung ist die erste Möglichkeit der Differenzierung gegeben.
Nicht nach Besitz und Reichtum einerseits oder Mangel an Besitz und gering
bezahlter Tätigkeit andrerseits, vielmehr nach höherer und geringerer kauf¬
männischer Bildung sollen die Angehörigen des Industrie- und Handelsberufs
gruppiert werden: nicht anders wie man heute zwischen einem Regierungs¬
baumeister mit technischer Hochschulbildung und einem Baumeister, der auf



*) Wir können hier von Ausnahmefällen absehen, in denen eine zu einseitige Erfassung
des Theoretischen die Fähigkeit, auch die praktischen Seiten des Lebens zu bewältigen, ver¬
mindert hat.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/82>, abgerufen am 24.07.2024.