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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die kaufmännische Bildung

Damit ist die enge Beziehung von Theorie und Praxis wenn auch uur an¬
gedeutet, wie sie sich aber von hier aus leicht durch die mannigfachsten Be¬
weise aus dem wirklichen Leben erhärten ließe. Daß selbst auf dem Gebiete
der künstlerischen Betätigung, von der man so oft nur die praktische Seite
betont, die Theorie das eigentlich vorwärtstreibende Element ist, das wird
der erkennen, der sich mit der Entwicklung der Technik der Kunst, die wiederum
die Voraussetzung für die Weiterbildung der Kunst als solche bildet, befaßt.
Sogar der Offizier, der ebenfalls gern infolge der allerdings grundlegenden
Ausbildung in der Praxis die theoretische Seite seines Berufs zurücktreten läßt,
wird erst durch eine umfangreichere theoretische Ausbildung zur Heeresleitung
und Kriegführung, die man auch oft "Kriegskunst" genannt hat, herangebildet.
Eine Erkenntnis, die gerade die tüchtigsten Offiziere nach einem Studium auf
der Kriegsakademie streben läßt, aus der wohl die bedeutendsten Heerführer,
sicherlich die meisten höhern Truppenführer hervorgegangen sind. Sollten diese
Erfahrungen, die man in den meisten praktischen Berufen, nicht am wenigsten
auch in letzter Zeit in dem Beruf des Landwirth gemacht hat, und die alle
in dem Sinne sprechen, daß zu einer größern Bewältigung der in einem Berufe
zu lösenden Arbeitsprobleine eben die Theorie heranzuziehen ist, nicht auch für
den Kaufmannsstand anzuwenden sein?

Wir können heute dem Kaufmann zum Troste sagen, daß sein Beruf nicht
so ganz unberührt von dieser Erkenntnis geblieben ist, wenigstens was die
Entwicklung des kaufmännischen Bildungswesens anlangt. Zu den seit alters her
bestehenden Handelsschüler, die wir heute in der doppelten Gestalt von Fort¬
bildungsschulen und modernen Handelsschüler noch haben, sind die Handels¬
akademien und Handelshochschulen getreten. Die Handelshochschulen, deren es
in Deutschland gegenwärtig fünf gibt (eine sechste entsteht in München),
werden heute im Semester etwa von 3000 Studierenden besucht (Leipzig 517,
Köln 437, Berlin 397, Frankfurt 1450, Mannheim 50), wovon allerdings nur
70 Prozent Kaufleute sind. Was will aber diese Zahl von etwa 2500 kauf¬
männisch Studierenden gegenüber der sich auf viele Tausende belaufenden
Kaufmannschaft besagen? Sie sagt eben nichts andres, als daß die Erkenntnis
von der unbedingten Notwendigkeit einer theoretischen Ausbildung, wie sie in
systematischer Form niemals von einem einzelnen Chef oder in einem einzelnen
Betrieb*), sondern lediglich in einer Bildungsanstalt gegeben werden kann,



Wie wenig der Lehrling heute systematisch, geschweige denn theoretisch im Geschäfts¬
betrieb durchgebildet wird, das hat im Herbst 1907 Professor Gothein in einem Auf-
scche des Berliner Tageblatts (Ur. 485 und 489) nachgewiesen. Auch Professor Apt spricht
diesen Gedanken in einem Vortrage, den er am 19. März 1907 im Handelshochschulverein zu
Stockholm gehalten hat, mit den Worten aus: "Wie steht es mit der vielgepriesnen Kaufmanns¬
lehre? Welcher Lehrling bekommt in den großen Betrieben seinen Chef überhaupt zu sehen?
Und welcher Prokurist hat das Interesse, sich der Lehrlingsausbildung zu widmen? Gerade der
Mangel der Lehrlingsausbildung ist der Hauptgrund, weshalb sich die Fachbildung immer mehr
entwickelt."
Die kaufmännische Bildung

Damit ist die enge Beziehung von Theorie und Praxis wenn auch uur an¬
gedeutet, wie sie sich aber von hier aus leicht durch die mannigfachsten Be¬
weise aus dem wirklichen Leben erhärten ließe. Daß selbst auf dem Gebiete
der künstlerischen Betätigung, von der man so oft nur die praktische Seite
betont, die Theorie das eigentlich vorwärtstreibende Element ist, das wird
der erkennen, der sich mit der Entwicklung der Technik der Kunst, die wiederum
die Voraussetzung für die Weiterbildung der Kunst als solche bildet, befaßt.
Sogar der Offizier, der ebenfalls gern infolge der allerdings grundlegenden
Ausbildung in der Praxis die theoretische Seite seines Berufs zurücktreten läßt,
wird erst durch eine umfangreichere theoretische Ausbildung zur Heeresleitung
und Kriegführung, die man auch oft „Kriegskunst" genannt hat, herangebildet.
Eine Erkenntnis, die gerade die tüchtigsten Offiziere nach einem Studium auf
der Kriegsakademie streben läßt, aus der wohl die bedeutendsten Heerführer,
sicherlich die meisten höhern Truppenführer hervorgegangen sind. Sollten diese
Erfahrungen, die man in den meisten praktischen Berufen, nicht am wenigsten
auch in letzter Zeit in dem Beruf des Landwirth gemacht hat, und die alle
in dem Sinne sprechen, daß zu einer größern Bewältigung der in einem Berufe
zu lösenden Arbeitsprobleine eben die Theorie heranzuziehen ist, nicht auch für
den Kaufmannsstand anzuwenden sein?

Wir können heute dem Kaufmann zum Troste sagen, daß sein Beruf nicht
so ganz unberührt von dieser Erkenntnis geblieben ist, wenigstens was die
Entwicklung des kaufmännischen Bildungswesens anlangt. Zu den seit alters her
bestehenden Handelsschüler, die wir heute in der doppelten Gestalt von Fort¬
bildungsschulen und modernen Handelsschüler noch haben, sind die Handels¬
akademien und Handelshochschulen getreten. Die Handelshochschulen, deren es
in Deutschland gegenwärtig fünf gibt (eine sechste entsteht in München),
werden heute im Semester etwa von 3000 Studierenden besucht (Leipzig 517,
Köln 437, Berlin 397, Frankfurt 1450, Mannheim 50), wovon allerdings nur
70 Prozent Kaufleute sind. Was will aber diese Zahl von etwa 2500 kauf¬
männisch Studierenden gegenüber der sich auf viele Tausende belaufenden
Kaufmannschaft besagen? Sie sagt eben nichts andres, als daß die Erkenntnis
von der unbedingten Notwendigkeit einer theoretischen Ausbildung, wie sie in
systematischer Form niemals von einem einzelnen Chef oder in einem einzelnen
Betrieb*), sondern lediglich in einer Bildungsanstalt gegeben werden kann,



Wie wenig der Lehrling heute systematisch, geschweige denn theoretisch im Geschäfts¬
betrieb durchgebildet wird, das hat im Herbst 1907 Professor Gothein in einem Auf-
scche des Berliner Tageblatts (Ur. 485 und 489) nachgewiesen. Auch Professor Apt spricht
diesen Gedanken in einem Vortrage, den er am 19. März 1907 im Handelshochschulverein zu
Stockholm gehalten hat, mit den Worten aus: „Wie steht es mit der vielgepriesnen Kaufmanns¬
lehre? Welcher Lehrling bekommt in den großen Betrieben seinen Chef überhaupt zu sehen?
Und welcher Prokurist hat das Interesse, sich der Lehrlingsausbildung zu widmen? Gerade der
Mangel der Lehrlingsausbildung ist der Hauptgrund, weshalb sich die Fachbildung immer mehr
entwickelt."
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[0080] Die kaufmännische Bildung Damit ist die enge Beziehung von Theorie und Praxis wenn auch uur an¬ gedeutet, wie sie sich aber von hier aus leicht durch die mannigfachsten Be¬ weise aus dem wirklichen Leben erhärten ließe. Daß selbst auf dem Gebiete der künstlerischen Betätigung, von der man so oft nur die praktische Seite betont, die Theorie das eigentlich vorwärtstreibende Element ist, das wird der erkennen, der sich mit der Entwicklung der Technik der Kunst, die wiederum die Voraussetzung für die Weiterbildung der Kunst als solche bildet, befaßt. Sogar der Offizier, der ebenfalls gern infolge der allerdings grundlegenden Ausbildung in der Praxis die theoretische Seite seines Berufs zurücktreten läßt, wird erst durch eine umfangreichere theoretische Ausbildung zur Heeresleitung und Kriegführung, die man auch oft „Kriegskunst" genannt hat, herangebildet. Eine Erkenntnis, die gerade die tüchtigsten Offiziere nach einem Studium auf der Kriegsakademie streben läßt, aus der wohl die bedeutendsten Heerführer, sicherlich die meisten höhern Truppenführer hervorgegangen sind. Sollten diese Erfahrungen, die man in den meisten praktischen Berufen, nicht am wenigsten auch in letzter Zeit in dem Beruf des Landwirth gemacht hat, und die alle in dem Sinne sprechen, daß zu einer größern Bewältigung der in einem Berufe zu lösenden Arbeitsprobleine eben die Theorie heranzuziehen ist, nicht auch für den Kaufmannsstand anzuwenden sein? Wir können heute dem Kaufmann zum Troste sagen, daß sein Beruf nicht so ganz unberührt von dieser Erkenntnis geblieben ist, wenigstens was die Entwicklung des kaufmännischen Bildungswesens anlangt. Zu den seit alters her bestehenden Handelsschüler, die wir heute in der doppelten Gestalt von Fort¬ bildungsschulen und modernen Handelsschüler noch haben, sind die Handels¬ akademien und Handelshochschulen getreten. Die Handelshochschulen, deren es in Deutschland gegenwärtig fünf gibt (eine sechste entsteht in München), werden heute im Semester etwa von 3000 Studierenden besucht (Leipzig 517, Köln 437, Berlin 397, Frankfurt 1450, Mannheim 50), wovon allerdings nur 70 Prozent Kaufleute sind. Was will aber diese Zahl von etwa 2500 kauf¬ männisch Studierenden gegenüber der sich auf viele Tausende belaufenden Kaufmannschaft besagen? Sie sagt eben nichts andres, als daß die Erkenntnis von der unbedingten Notwendigkeit einer theoretischen Ausbildung, wie sie in systematischer Form niemals von einem einzelnen Chef oder in einem einzelnen Betrieb*), sondern lediglich in einer Bildungsanstalt gegeben werden kann, Wie wenig der Lehrling heute systematisch, geschweige denn theoretisch im Geschäfts¬ betrieb durchgebildet wird, das hat im Herbst 1907 Professor Gothein in einem Auf- scche des Berliner Tageblatts (Ur. 485 und 489) nachgewiesen. Auch Professor Apt spricht diesen Gedanken in einem Vortrage, den er am 19. März 1907 im Handelshochschulverein zu Stockholm gehalten hat, mit den Worten aus: „Wie steht es mit der vielgepriesnen Kaufmanns¬ lehre? Welcher Lehrling bekommt in den großen Betrieben seinen Chef überhaupt zu sehen? Und welcher Prokurist hat das Interesse, sich der Lehrlingsausbildung zu widmen? Gerade der Mangel der Lehrlingsausbildung ist der Hauptgrund, weshalb sich die Fachbildung immer mehr entwickelt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/80>, abgerufen am 24.07.2024.