Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten verdienen die aus Bayern ein gewanderter Kleinsiedler in Schönherrnhausen Schönherrnhausen ist ein ausgesprochnes "Reihendorf"; wer vom Süden Wo die Ansiedlungskommission eine Anzahl aneincmdergrenzender Güter Von Schönherrnhausen führte uns der Weg nach Nordheim, früher von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten verdienen die aus Bayern ein gewanderter Kleinsiedler in Schönherrnhausen Schönherrnhausen ist ein ausgesprochnes „Reihendorf"; wer vom Süden Wo die Ansiedlungskommission eine Anzahl aneincmdergrenzender Güter Von Schönherrnhausen führte uns der Weg nach Nordheim, früher <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314421"/> <fw type="header" place="top"> von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten</fw><lb/> <p xml:id="ID_282" prev="#ID_281"> verdienen die aus Bayern ein gewanderter Kleinsiedler in Schönherrnhausen<lb/> ein schönes Geld mit Anbau von Gurken. Unter den Vollbauern traf ich einen<lb/> engern Landsmann, der, in der fruchtbarsten Gegend Württembergs zu Hause,<lb/> mit seiner neuen Heimat recht zufrieden ist, weil er am Fuße seines heimat¬<lb/> lichen Asperg niemals zu 60 preußischen Morgen (—15 Hektar) Land hätte<lb/> kommen können. Während es sich in Schönherrnhausen um einen Versuch<lb/> handelt, „Landarbeiter" in größerer Menge neben Bauern anzusiedeln, sahen<lb/> wir in Korndorf, vor den Toren Gnesens, eine ebenfalls ganz frische An-<lb/> siedlung für städtische Arbeiter, Maurer, Zimmerleute, Fabrikarbeiter usw., die<lb/> außer ihrem Häuschen je nur ^ Hektar Land haben. Hier ist das Ideal<lb/> Naumanns verwirklicht: der Fabrikarbeiter im Einfamilienhaus in nächster Nähe<lb/> der Stadt sitzend, aber doch in vollständig ländlicher Umgebung und mit so viel<lb/> Grund und Boden ausgestattet, als seine Familie und er in seinen Freistunden<lb/> bewältigen kann. Dazu kommt aber noch die Hauptsache, nämlich billiges Geld,<lb/> um dieses bescheidne Paradies zu bezahlen. Die Bedingungen sind folgende:<lb/> der Arbeiter, der Besitzer eines der etwa 3500 Mark kostender Häuser<lb/> werden will, hat zunächst 500 Mark anzuzahlen, für den Rest muß er 3 Prozent<lb/> Zins und 2 Prozent Amortisation zahlen, außerdem muß er das Grundstück<lb/> mit 2 Prozent des Wertes verrenken. In absoluten Zahlen ausgedrückt macht<lb/> dies zusammen im Jahr etwa 180 Mark, und diese kann er durch den Verkauf<lb/> der zwei Schweine aufbringen, die sein Land trägt. Trotzdem spricht sich der<lb/> Bericht der Ansiedlungskommission über das zu erwartende Ergebnis der<lb/> Versuche mit den Arbeiterkolonien sehr vorsichtig aus.</p><lb/> <p xml:id="ID_283"> Schönherrnhausen ist ein ausgesprochnes „Reihendorf"; wer vom Süden<lb/> oder Westen kommt und diese moderne Ansiedlungsform nicht kennt, der läuft<lb/> Gefahr, daß er das Dorf vor lauter Häusern nicht findet. Das Reihendorf will<lb/> jedem Ansiedler sein Haus in sein Grundstück hineinstellen wie beim Hofsystem,<lb/> aber gleichzeitig an eine gut fahrbare Straße; in solchen „Dörfern" beginnen<lb/> die Häuser deshalb hart an der Markungsgrenze und ziehen sich zu beiden<lb/> Seiten der Hauptstraße in ziemlich großen und regelmäßigen Abständen bis<lb/> ans andre Ende des Hattert.</p><lb/> <p xml:id="ID_284"> Wo die Ansiedlungskommission eine Anzahl aneincmdergrenzender Güter<lb/> erworben hat, entstehn so längs der sie durchziehenden Hauptstraße jene eigen¬<lb/> tümlichen, stets unterbrochner und nie ganz aufhörenden Reihen von Einzel¬<lb/> höfen, die längs der Bahnlinie Posen - Gnesen - Hohensalza selbst dem gänzlich<lb/> unvrientierten, flüchtigen Reisenden auffallen müssen. Dort wo es sich um<lb/> vereinzelte, in Reihendörfer verwandelte Güter handelt, erinnert die Häuserreihe<lb/> an die Bahnhofstraße alter, aber mit der Neuzeit gehender Städtchen, die<lb/> seinerzeit so unvorsichtig waren, 1 bis 2 Kilometer abseits der spätern Bahn¬<lb/> linie zu entstehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_285" next="#ID_286"> Von Schönherrnhausen führte uns der Weg nach Nordheim, früher<lb/> Morasco genannt, wo inmitten des ehemaligen Gutsparks unter hohen Fichten<lb/> gegenwärtig eine auch für Schönherrnhausen und andre Dörfer dienende Kirche</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten
verdienen die aus Bayern ein gewanderter Kleinsiedler in Schönherrnhausen
ein schönes Geld mit Anbau von Gurken. Unter den Vollbauern traf ich einen
engern Landsmann, der, in der fruchtbarsten Gegend Württembergs zu Hause,
mit seiner neuen Heimat recht zufrieden ist, weil er am Fuße seines heimat¬
lichen Asperg niemals zu 60 preußischen Morgen (—15 Hektar) Land hätte
kommen können. Während es sich in Schönherrnhausen um einen Versuch
handelt, „Landarbeiter" in größerer Menge neben Bauern anzusiedeln, sahen
wir in Korndorf, vor den Toren Gnesens, eine ebenfalls ganz frische An-
siedlung für städtische Arbeiter, Maurer, Zimmerleute, Fabrikarbeiter usw., die
außer ihrem Häuschen je nur ^ Hektar Land haben. Hier ist das Ideal
Naumanns verwirklicht: der Fabrikarbeiter im Einfamilienhaus in nächster Nähe
der Stadt sitzend, aber doch in vollständig ländlicher Umgebung und mit so viel
Grund und Boden ausgestattet, als seine Familie und er in seinen Freistunden
bewältigen kann. Dazu kommt aber noch die Hauptsache, nämlich billiges Geld,
um dieses bescheidne Paradies zu bezahlen. Die Bedingungen sind folgende:
der Arbeiter, der Besitzer eines der etwa 3500 Mark kostender Häuser
werden will, hat zunächst 500 Mark anzuzahlen, für den Rest muß er 3 Prozent
Zins und 2 Prozent Amortisation zahlen, außerdem muß er das Grundstück
mit 2 Prozent des Wertes verrenken. In absoluten Zahlen ausgedrückt macht
dies zusammen im Jahr etwa 180 Mark, und diese kann er durch den Verkauf
der zwei Schweine aufbringen, die sein Land trägt. Trotzdem spricht sich der
Bericht der Ansiedlungskommission über das zu erwartende Ergebnis der
Versuche mit den Arbeiterkolonien sehr vorsichtig aus.
Schönherrnhausen ist ein ausgesprochnes „Reihendorf"; wer vom Süden
oder Westen kommt und diese moderne Ansiedlungsform nicht kennt, der läuft
Gefahr, daß er das Dorf vor lauter Häusern nicht findet. Das Reihendorf will
jedem Ansiedler sein Haus in sein Grundstück hineinstellen wie beim Hofsystem,
aber gleichzeitig an eine gut fahrbare Straße; in solchen „Dörfern" beginnen
die Häuser deshalb hart an der Markungsgrenze und ziehen sich zu beiden
Seiten der Hauptstraße in ziemlich großen und regelmäßigen Abständen bis
ans andre Ende des Hattert.
Wo die Ansiedlungskommission eine Anzahl aneincmdergrenzender Güter
erworben hat, entstehn so längs der sie durchziehenden Hauptstraße jene eigen¬
tümlichen, stets unterbrochner und nie ganz aufhörenden Reihen von Einzel¬
höfen, die längs der Bahnlinie Posen - Gnesen - Hohensalza selbst dem gänzlich
unvrientierten, flüchtigen Reisenden auffallen müssen. Dort wo es sich um
vereinzelte, in Reihendörfer verwandelte Güter handelt, erinnert die Häuserreihe
an die Bahnhofstraße alter, aber mit der Neuzeit gehender Städtchen, die
seinerzeit so unvorsichtig waren, 1 bis 2 Kilometer abseits der spätern Bahn¬
linie zu entstehn.
Von Schönherrnhausen führte uns der Weg nach Nordheim, früher
Morasco genannt, wo inmitten des ehemaligen Gutsparks unter hohen Fichten
gegenwärtig eine auch für Schönherrnhausen und andre Dörfer dienende Kirche
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