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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Vstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

den alten Domen, die sich im Rhein spiegeln, und trotzdem wirken manche von
ihnen ernst und groß.

In Posen sollte eine romanische Pfalz gebant werden, die alle Bauten
des Mittelalters an Größe und Pracht weit überragt, aber -- es ist etwas
andres daraus geworden. Statt der mittelalterlichen Hofanlage, die in einem
Mauerring den fensterbelebten Palas, den starren Wehrturm und die zierliche
Kapelle, lauter einzelne Gebäude, zu einem Ganzen zusammenschließt, und die
auf einem freistehenden Hügel (Wartburg) oder auf steilem Flußufer Mmpffen
am Neckar) thronend, einen beherrschenden Eindruck macht, hat der moderne
Baumeister einen modernen Einheitsbau unter einem langen, langen Dach ge¬
schaffen, der den Mangel der Hügellage durch große Verhältnisse aus¬
gleichen möchte.

Trotz dieser ästhetischen Bedenken habe ich mich aber doch gefreut, daß
sich der Kaiser in Posen ein solches mächtiges Schloß bauen läßt, und daß
er durch die Wahl des Stils der Zeit der ersten deutschen Besiedlung des
Landes erklärt: "Meine Herrschaft ist die Fortsetzung der jahrhundertelangen
deutschen Herrschaft im Mittelalter, die Spuren der polnischen Herrschaft in
der Zwischenzeit müssen verschwinden."

In einer die knapp zugemessene Zeit meisterhaft ausnützenden Weise
zeigte uns Herr Archivrat Professor Warschauer das mittelalterliche deutsche
Posen verkörpert in seinem saalartigen quadratischen Marktplatz und in seinem
Rathaus und dann den Mittelpunkt des Polentums, die Dominsel und den
Dom. Der Dom ist ein Museum von Grabdenkmalen polnischer geistlicher
und weltlicher Großer und ein Ehrensaal -- deutscher Kunst: den Anfang
machen vier Epitaphien in Form von Bronzeplatten, die uns ein ganzes Jahr¬
hundert der Vischerschen Gießhütte in Nürnberg vor Augen führen; am Schluß
steht ein Werk von Rauch, die eherne Doppelstatue der beiden ersten polnischen
Könige in der "goldnen Kapelle".

Dieses großartige Denkmal wurde im Jahre 1838 gestiftet von einem
polnischen Grafen Naczynski, der ehrlich bestrebt war, einen Ausgleich zwischen
dem Polentum und dem preußischen Staatsgedanken zu finden, und der darüber
zugrunde ging. Eine der Handlungen, die ihm seine Volksgenossen besonders
übel nahmen, war eben die, daß er für die Ausführung der Statuen im
Allerheiligsten der polnischen Ruhmes- und Gedenkhalle den Bildhauer Rauch
und damit gerade den Mann ausgewählt hatte, der in seinem Denkmal
Friedrichs des Großen einen der Zertrümmerer Polens verherrlicht hatte.
Der Graf, den man als Märtyrer seiner Versöhnungsidee bezeichnen darf,
hat mehrere Jahrzehnte nach der Aufstellung des Denkmals das Täfelchen,
das ihn als Stifter bezeichnete, in seiner Gegenwart entfernen lassen und sich
unmittelbar darauf erschossen. Rauch hat übrigens auch für den Dom in Gnesen
gearbeitet; vier Engelsstatuetten von ihm schmückten die Eckpfeiler der insnM
mit dem Sarg des heiligen Adalbert. Diese sind aber später von dem Erzbischof


von der Vstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

den alten Domen, die sich im Rhein spiegeln, und trotzdem wirken manche von
ihnen ernst und groß.

In Posen sollte eine romanische Pfalz gebant werden, die alle Bauten
des Mittelalters an Größe und Pracht weit überragt, aber — es ist etwas
andres daraus geworden. Statt der mittelalterlichen Hofanlage, die in einem
Mauerring den fensterbelebten Palas, den starren Wehrturm und die zierliche
Kapelle, lauter einzelne Gebäude, zu einem Ganzen zusammenschließt, und die
auf einem freistehenden Hügel (Wartburg) oder auf steilem Flußufer Mmpffen
am Neckar) thronend, einen beherrschenden Eindruck macht, hat der moderne
Baumeister einen modernen Einheitsbau unter einem langen, langen Dach ge¬
schaffen, der den Mangel der Hügellage durch große Verhältnisse aus¬
gleichen möchte.

Trotz dieser ästhetischen Bedenken habe ich mich aber doch gefreut, daß
sich der Kaiser in Posen ein solches mächtiges Schloß bauen läßt, und daß
er durch die Wahl des Stils der Zeit der ersten deutschen Besiedlung des
Landes erklärt: „Meine Herrschaft ist die Fortsetzung der jahrhundertelangen
deutschen Herrschaft im Mittelalter, die Spuren der polnischen Herrschaft in
der Zwischenzeit müssen verschwinden."

In einer die knapp zugemessene Zeit meisterhaft ausnützenden Weise
zeigte uns Herr Archivrat Professor Warschauer das mittelalterliche deutsche
Posen verkörpert in seinem saalartigen quadratischen Marktplatz und in seinem
Rathaus und dann den Mittelpunkt des Polentums, die Dominsel und den
Dom. Der Dom ist ein Museum von Grabdenkmalen polnischer geistlicher
und weltlicher Großer und ein Ehrensaal — deutscher Kunst: den Anfang
machen vier Epitaphien in Form von Bronzeplatten, die uns ein ganzes Jahr¬
hundert der Vischerschen Gießhütte in Nürnberg vor Augen führen; am Schluß
steht ein Werk von Rauch, die eherne Doppelstatue der beiden ersten polnischen
Könige in der „goldnen Kapelle".

Dieses großartige Denkmal wurde im Jahre 1838 gestiftet von einem
polnischen Grafen Naczynski, der ehrlich bestrebt war, einen Ausgleich zwischen
dem Polentum und dem preußischen Staatsgedanken zu finden, und der darüber
zugrunde ging. Eine der Handlungen, die ihm seine Volksgenossen besonders
übel nahmen, war eben die, daß er für die Ausführung der Statuen im
Allerheiligsten der polnischen Ruhmes- und Gedenkhalle den Bildhauer Rauch
und damit gerade den Mann ausgewählt hatte, der in seinem Denkmal
Friedrichs des Großen einen der Zertrümmerer Polens verherrlicht hatte.
Der Graf, den man als Märtyrer seiner Versöhnungsidee bezeichnen darf,
hat mehrere Jahrzehnte nach der Aufstellung des Denkmals das Täfelchen,
das ihn als Stifter bezeichnete, in seiner Gegenwart entfernen lassen und sich
unmittelbar darauf erschossen. Rauch hat übrigens auch für den Dom in Gnesen
gearbeitet; vier Engelsstatuetten von ihm schmückten die Eckpfeiler der insnM
mit dem Sarg des heiligen Adalbert. Diese sind aber später von dem Erzbischof


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/69>, abgerufen am 24.07.2024.