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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Berthchen ist annähernd der Mittelpunkt der westlichsten polnischen Sprach¬
insel, die stellenweise bis hart an die Grenze von Brandenburg reicht; sie ist
übrigens durch Ankäufe der Ansiedlungskommission schon um ein gutes Teil
verkleinert worden.

Halbwegs zwischen Berthchen und Posen fängt das überwiegend polnische
Sprachgebiet an: was weiter östlich deutsch ist, muß vorläufig als deutsche
Sprachinsel bezeichnet werden; doch ist die Bahnlinie Posen-Gnesen infolge
der staatlichen Ankäufe fast ununterbrochen von einem ziemlich breiten deutschen
Gürtel eingefaßt, der, etwas schmaler und löcheriger werdend, die Haupt-
linie nach Thorn bis nahezu halbwegs, bis in die Gegend von Hohensalza,
begleitet.

Bei unsrer Ankunft auf dem Bahnhof in Posen war es noch hell genug,
daß wir den großartigsten Teil Neuposens sehen konnten, den Teil, der in
wenigen Jahren aus dem Boden der geschleiften Festungsbauten entstanden
ist. Man merkt sofort, daß hier ein gewaltiger Wille an der Arbeit ist, eine
lange stehen gebliebne national-indifferente Mittelstadt zur deutschen Großstadt
zu gestalten. Eine ganze Reihe stattlicher öffentlicher Bauten, die meist nicht
durch Privathäuser, sondern durch Parkanlagen getrennt sind, empfängt den
Fremden. Ein in jeder Beziehung ansprechender Prachtbau im Stil der
deutschen Renaissance -- bei dem unter andern das Lusthaus in Stuttgart
Pate gestanden hat -- wird die Kaiser Wilhelms-Akademie aufnehmen. Dann
wird das Auge gefesselt durch einen wuchtigen quadratischen Turm, der an
seiner Spitze zwei runde, mit romanischen Fenstern reizvoll durchbrochne Ge¬
schosse trägt. Nach der Straßenseite durchdringt den Fuß des Riesen die
reichverzierte Apsis einer romanischen Burgkapelle. Der trutzige Geselle schaut
schirmend herab auf der einen Seite nach dem Bismarckdenkmal, auf der andern
Seite nach der großartigen Kaiserpfalz, deren Eckpfeiler er bildet.

Als ich im vorigen Jahre den Bau umwandelte und seine prächtigen
stilgerechten Einzelheiten bewunderte, konnte ich mich innerlich damit nicht
recht auseinandersetzen, fast noch weniger diesmal beim Durchwandern des
Innern, trotz des prachtvoll-heitern Festsaales und trotz der schönen Ver¬
hältnisse der Kapelle, von deren künftiger Ausstattung Wunderdinge erzählt
werden. Es störten mich namentlich seine eigentümlich gewölbten, gerad¬
linigen, hohen Korridore, deren Größe sich kein Baumeister der Hohenstaufen-
zeit im Traum vorzustellen gewagt hätte. In einem dieser Gänge stand ein
prächtiger alter romanischer Doppelthron, der, offenbar für eines der halb¬
fertigen Zimmer bestimmt, an seiner jetzigen Stelle aussah wie ein verloren ge-
gangnes Puppenstubenmöbel. Später konnten wir das ganze Schloß aus
ziemlicher Ferne, von der andern Seite der tief eingeschnittnen Bahnlinie
sehen: von dort aus wirkt es als Ganzes großartig -- aus der Nähe be¬
trachtet, trotz aller schönen Einzelheiten, wie eine Kaserne. Die romanischen
Kirchen, die wir heute bauen, bleiben in ihren Maßen alle weit zurück hinter


von der Gstmarkenfahrt süddeutscher Parlamentarier und Journalisten

Berthchen ist annähernd der Mittelpunkt der westlichsten polnischen Sprach¬
insel, die stellenweise bis hart an die Grenze von Brandenburg reicht; sie ist
übrigens durch Ankäufe der Ansiedlungskommission schon um ein gutes Teil
verkleinert worden.

Halbwegs zwischen Berthchen und Posen fängt das überwiegend polnische
Sprachgebiet an: was weiter östlich deutsch ist, muß vorläufig als deutsche
Sprachinsel bezeichnet werden; doch ist die Bahnlinie Posen-Gnesen infolge
der staatlichen Ankäufe fast ununterbrochen von einem ziemlich breiten deutschen
Gürtel eingefaßt, der, etwas schmaler und löcheriger werdend, die Haupt-
linie nach Thorn bis nahezu halbwegs, bis in die Gegend von Hohensalza,
begleitet.

Bei unsrer Ankunft auf dem Bahnhof in Posen war es noch hell genug,
daß wir den großartigsten Teil Neuposens sehen konnten, den Teil, der in
wenigen Jahren aus dem Boden der geschleiften Festungsbauten entstanden
ist. Man merkt sofort, daß hier ein gewaltiger Wille an der Arbeit ist, eine
lange stehen gebliebne national-indifferente Mittelstadt zur deutschen Großstadt
zu gestalten. Eine ganze Reihe stattlicher öffentlicher Bauten, die meist nicht
durch Privathäuser, sondern durch Parkanlagen getrennt sind, empfängt den
Fremden. Ein in jeder Beziehung ansprechender Prachtbau im Stil der
deutschen Renaissance — bei dem unter andern das Lusthaus in Stuttgart
Pate gestanden hat — wird die Kaiser Wilhelms-Akademie aufnehmen. Dann
wird das Auge gefesselt durch einen wuchtigen quadratischen Turm, der an
seiner Spitze zwei runde, mit romanischen Fenstern reizvoll durchbrochne Ge¬
schosse trägt. Nach der Straßenseite durchdringt den Fuß des Riesen die
reichverzierte Apsis einer romanischen Burgkapelle. Der trutzige Geselle schaut
schirmend herab auf der einen Seite nach dem Bismarckdenkmal, auf der andern
Seite nach der großartigen Kaiserpfalz, deren Eckpfeiler er bildet.

Als ich im vorigen Jahre den Bau umwandelte und seine prächtigen
stilgerechten Einzelheiten bewunderte, konnte ich mich innerlich damit nicht
recht auseinandersetzen, fast noch weniger diesmal beim Durchwandern des
Innern, trotz des prachtvoll-heitern Festsaales und trotz der schönen Ver¬
hältnisse der Kapelle, von deren künftiger Ausstattung Wunderdinge erzählt
werden. Es störten mich namentlich seine eigentümlich gewölbten, gerad¬
linigen, hohen Korridore, deren Größe sich kein Baumeister der Hohenstaufen-
zeit im Traum vorzustellen gewagt hätte. In einem dieser Gänge stand ein
prächtiger alter romanischer Doppelthron, der, offenbar für eines der halb¬
fertigen Zimmer bestimmt, an seiner jetzigen Stelle aussah wie ein verloren ge-
gangnes Puppenstubenmöbel. Später konnten wir das ganze Schloß aus
ziemlicher Ferne, von der andern Seite der tief eingeschnittnen Bahnlinie
sehen: von dort aus wirkt es als Ganzes großartig — aus der Nähe be¬
trachtet, trotz aller schönen Einzelheiten, wie eine Kaserne. Die romanischen
Kirchen, die wir heute bauen, bleiben in ihren Maßen alle weit zurück hinter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/68>, abgerufen am 24.07.2024.