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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Versöhnung der Lonfessionen

gesamten Volkswohls. Nicht der Kirche gehört die Zukunft, die über die größten
weltlichen Machtmittel verfügt, sondern der, die den tiefsten Reichtum an werk¬
tätiger Liebe zu entfalten vermag.

Auf sozialen Gebieten ist ja schon der Anfang gemacht. Auf Arbeiterkon¬
gressen und in christlichen Gewerkschaften haben katholische und evangelische
Christen die Probe bestanden, indem sie sich zu gemeinsamen Aufgaben brüderlich
die Hände reichten. Ein vielversprechender Anfang, der zeigt, daß man sich ganz
gut gegenseitig achten und ehren kann, wenn man nur den ernstlichen Willen
hierzu hat. Es hat den Anschein, als ob sich allenthalben eine neue Gestaltung
der Dinge in sozialer und auch in geistiger Beziehung anbahne und vorbereite.
Hundert Jahre ist es her, da wurden zahlreiche Protestanten und Katholiken aus
Nord und Süd durch die vaterländische und die religiöse Begeisterung -- eine
Folge der Freiheitskriege -- zusammengeführt. In der Liebe zu der wieder-
gefundnen irdischen und himmlischen Heimat haben sie sich innig verbunden. In
der Nachblüte unsrer großen Dichtung, in der aufblühenden bildenden Kunst
tauschte man gegenseitig seine Geistesgaben aus. Katholische Forscher vertieften
sich in die akatholischen großen philosophischen Lehrgebäude, und auch auf theo¬
logischen Gebiete hörte man nichts von Fehde und Widerspruch. Arbeits- und
Geistesgemeinschaft waren die besten Hüter des konfessionellen Friedens.

Standen früher schon Claudius, Hamann und Jacobi auf das herzlichste
mit katholischen Freunden in Münster, predigte Goßner, als katholischer Pfarrer
den Rhein hinabziehend, bald in einer katholischen, bald in einer evangelischen
Kirche, so lebt heute noch in vieler Munde der ehrwürdige Bischof Salter von
Regensburg, der, der Vertreter einer milden, christlichfrommen, evangelischkatho¬
lischen Gesinnung, ein zweiter Fenelon an Gewissenhaftigkeit, Erlösungsverlangeii,
Liebe und Leben in Gott, sich über jede Erscheinung wahrhaft christlicher Frömmig¬
keit und praktischen Christentums herzlich freute, wo er ihr begegnete, und auch
jenseits der Schranken der eignen Konfession ihr gern die Hand reichte. In
der Nähe und in der Ferne pflegte er mit Protestanten vielfach schriftlichen und
persönlichen Verkehr, und so bahnte sich durch ihn ein näheres Verhältnis zwischen
Gliedern beider Kirchen an. Noch ist die Sailersche Schule nicht völlig aus-
gestorben. > ,

Ist nur erst einmal die Streitaxt begraben, hat der Friedensbaum Wurzel
gefaßt, so wird es an Mitarbeitern nicht fehlen. Wenn der Gedanke gesund,
wenn die Idee notwendig ist, so wird sich die Form von selbst einstellen. Niemand
wird uns hindern dürfen, in großen und kleinen Versammlungen zusammen¬
zukommen, um uns über religiöse Verhältnisse auszusprechen und notwendige
Fragen der Gegenwart zu behandeln, wie Religion und Jugenderziehung^ Geld
und Christentum, Wünsche für die Presse oder auch die Anfangszeit der Kirche
in stimmungsvollen Bildern vorzuführen, als die Christenheit noch ein Herz und
eine Seele war. Aber nicht bloß in die Öffentlichkeit hinaus gilt es die Friedens¬
körner als Saat auf Hoffnung zu streuen, sondern auch in den Familien, in den


Zur Versöhnung der Lonfessionen

gesamten Volkswohls. Nicht der Kirche gehört die Zukunft, die über die größten
weltlichen Machtmittel verfügt, sondern der, die den tiefsten Reichtum an werk¬
tätiger Liebe zu entfalten vermag.

Auf sozialen Gebieten ist ja schon der Anfang gemacht. Auf Arbeiterkon¬
gressen und in christlichen Gewerkschaften haben katholische und evangelische
Christen die Probe bestanden, indem sie sich zu gemeinsamen Aufgaben brüderlich
die Hände reichten. Ein vielversprechender Anfang, der zeigt, daß man sich ganz
gut gegenseitig achten und ehren kann, wenn man nur den ernstlichen Willen
hierzu hat. Es hat den Anschein, als ob sich allenthalben eine neue Gestaltung
der Dinge in sozialer und auch in geistiger Beziehung anbahne und vorbereite.
Hundert Jahre ist es her, da wurden zahlreiche Protestanten und Katholiken aus
Nord und Süd durch die vaterländische und die religiöse Begeisterung — eine
Folge der Freiheitskriege — zusammengeführt. In der Liebe zu der wieder-
gefundnen irdischen und himmlischen Heimat haben sie sich innig verbunden. In
der Nachblüte unsrer großen Dichtung, in der aufblühenden bildenden Kunst
tauschte man gegenseitig seine Geistesgaben aus. Katholische Forscher vertieften
sich in die akatholischen großen philosophischen Lehrgebäude, und auch auf theo¬
logischen Gebiete hörte man nichts von Fehde und Widerspruch. Arbeits- und
Geistesgemeinschaft waren die besten Hüter des konfessionellen Friedens.

Standen früher schon Claudius, Hamann und Jacobi auf das herzlichste
mit katholischen Freunden in Münster, predigte Goßner, als katholischer Pfarrer
den Rhein hinabziehend, bald in einer katholischen, bald in einer evangelischen
Kirche, so lebt heute noch in vieler Munde der ehrwürdige Bischof Salter von
Regensburg, der, der Vertreter einer milden, christlichfrommen, evangelischkatho¬
lischen Gesinnung, ein zweiter Fenelon an Gewissenhaftigkeit, Erlösungsverlangeii,
Liebe und Leben in Gott, sich über jede Erscheinung wahrhaft christlicher Frömmig¬
keit und praktischen Christentums herzlich freute, wo er ihr begegnete, und auch
jenseits der Schranken der eignen Konfession ihr gern die Hand reichte. In
der Nähe und in der Ferne pflegte er mit Protestanten vielfach schriftlichen und
persönlichen Verkehr, und so bahnte sich durch ihn ein näheres Verhältnis zwischen
Gliedern beider Kirchen an. Noch ist die Sailersche Schule nicht völlig aus-
gestorben. > ,

Ist nur erst einmal die Streitaxt begraben, hat der Friedensbaum Wurzel
gefaßt, so wird es an Mitarbeitern nicht fehlen. Wenn der Gedanke gesund,
wenn die Idee notwendig ist, so wird sich die Form von selbst einstellen. Niemand
wird uns hindern dürfen, in großen und kleinen Versammlungen zusammen¬
zukommen, um uns über religiöse Verhältnisse auszusprechen und notwendige
Fragen der Gegenwart zu behandeln, wie Religion und Jugenderziehung^ Geld
und Christentum, Wünsche für die Presse oder auch die Anfangszeit der Kirche
in stimmungsvollen Bildern vorzuführen, als die Christenheit noch ein Herz und
eine Seele war. Aber nicht bloß in die Öffentlichkeit hinaus gilt es die Friedens¬
körner als Saat auf Hoffnung zu streuen, sondern auch in den Familien, in den


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[0062] Zur Versöhnung der Lonfessionen gesamten Volkswohls. Nicht der Kirche gehört die Zukunft, die über die größten weltlichen Machtmittel verfügt, sondern der, die den tiefsten Reichtum an werk¬ tätiger Liebe zu entfalten vermag. Auf sozialen Gebieten ist ja schon der Anfang gemacht. Auf Arbeiterkon¬ gressen und in christlichen Gewerkschaften haben katholische und evangelische Christen die Probe bestanden, indem sie sich zu gemeinsamen Aufgaben brüderlich die Hände reichten. Ein vielversprechender Anfang, der zeigt, daß man sich ganz gut gegenseitig achten und ehren kann, wenn man nur den ernstlichen Willen hierzu hat. Es hat den Anschein, als ob sich allenthalben eine neue Gestaltung der Dinge in sozialer und auch in geistiger Beziehung anbahne und vorbereite. Hundert Jahre ist es her, da wurden zahlreiche Protestanten und Katholiken aus Nord und Süd durch die vaterländische und die religiöse Begeisterung — eine Folge der Freiheitskriege — zusammengeführt. In der Liebe zu der wieder- gefundnen irdischen und himmlischen Heimat haben sie sich innig verbunden. In der Nachblüte unsrer großen Dichtung, in der aufblühenden bildenden Kunst tauschte man gegenseitig seine Geistesgaben aus. Katholische Forscher vertieften sich in die akatholischen großen philosophischen Lehrgebäude, und auch auf theo¬ logischen Gebiete hörte man nichts von Fehde und Widerspruch. Arbeits- und Geistesgemeinschaft waren die besten Hüter des konfessionellen Friedens. Standen früher schon Claudius, Hamann und Jacobi auf das herzlichste mit katholischen Freunden in Münster, predigte Goßner, als katholischer Pfarrer den Rhein hinabziehend, bald in einer katholischen, bald in einer evangelischen Kirche, so lebt heute noch in vieler Munde der ehrwürdige Bischof Salter von Regensburg, der, der Vertreter einer milden, christlichfrommen, evangelischkatho¬ lischen Gesinnung, ein zweiter Fenelon an Gewissenhaftigkeit, Erlösungsverlangeii, Liebe und Leben in Gott, sich über jede Erscheinung wahrhaft christlicher Frömmig¬ keit und praktischen Christentums herzlich freute, wo er ihr begegnete, und auch jenseits der Schranken der eignen Konfession ihr gern die Hand reichte. In der Nähe und in der Ferne pflegte er mit Protestanten vielfach schriftlichen und persönlichen Verkehr, und so bahnte sich durch ihn ein näheres Verhältnis zwischen Gliedern beider Kirchen an. Noch ist die Sailersche Schule nicht völlig aus- gestorben. > , Ist nur erst einmal die Streitaxt begraben, hat der Friedensbaum Wurzel gefaßt, so wird es an Mitarbeitern nicht fehlen. Wenn der Gedanke gesund, wenn die Idee notwendig ist, so wird sich die Form von selbst einstellen. Niemand wird uns hindern dürfen, in großen und kleinen Versammlungen zusammen¬ zukommen, um uns über religiöse Verhältnisse auszusprechen und notwendige Fragen der Gegenwart zu behandeln, wie Religion und Jugenderziehung^ Geld und Christentum, Wünsche für die Presse oder auch die Anfangszeit der Kirche in stimmungsvollen Bildern vorzuführen, als die Christenheit noch ein Herz und eine Seele war. Aber nicht bloß in die Öffentlichkeit hinaus gilt es die Friedens¬ körner als Saat auf Hoffnung zu streuen, sondern auch in den Familien, in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/62>, abgerufen am 24.07.2024.