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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zwei politische Romane

Schriftsteller mit seinem neusten Roman "Der Luftkrieg" behandelt werden. Schon
in seinem frühern Roman "Im Jahre des Kometen" hatte er den heutigen
Kulturverhältnissen mit ihren unsinnigen Gegensätzen und Leidenschaften, ihrem
Scheinwesen, Verkehrslärm, Rauch und Staub unsrer Maschinenzivilisation eine
Wandlung angedichtet, da sie als die Ursache hingestellt wurden, daß sich ein
ganz gut angelegter Mensch zum mordgierigen Raubtier entwickelte. Die
Wandlung erfolgte durch einen Kometen, der auf die Erde ganz andre natür¬
liche und moralische Grundlagen brachte. Diesmal geht es ohne diesen kosmischen
Notbehelf ab, aber der "Luftkrieg" sucht nun wieder zu beweisen, daß die
moderne Maschinenzivilisation zur Vernichtung aller menschlichen Kultur führen
müsse und danach ein rein nomadenhaftes Dasein der Überlebenden bringen
werde. Zu der Erkenntnis, daß die Menschheit eben die unstreitig durch
die Maschinenzivilisation bewirkten, der Kultur und Gesellschaft nachteiligen
Folgen überwinden und sich zu einer auf jene Umwandlung der Lebens¬
bedingungen gegründeten neuen Kulturstufe emporarbeiten müsse, vermag er sich
nicht aufzuschwingen. Dafür läßt er sich auf den in England besonders gepflegten
Boden der Abrüstung nieder und sucht nun mit Hilfe des als Kriegswaffe
vervollkommnet gedachten lenkbarem Luftschiffs auszuführen, daß das allgemeine
Wettrüsten zur gegenseitigen Vernichtung, insbesondre der großen Städte usw.
führen müsse. Das Karnickel, das anfängt, ist für den britischen Verfasser
selbstverständlich Deutschland, das aber merkwürdigerweise nicht Old England,
sondern die Vereinigten Staaten mit seinen Luftschiffer überfällt, die amerikanische
Flotte und Newyork zerstört, aber sonst nichts auszurichten vermag, da schon
das sich der Kapitulation widersetzende Newyork hinreicht, die wenigen mit den
Luftschiffe" gekommnen Deutschen auf barbarische Verwüstungen von oben zu
beschränken. Inzwischen haben England und Frankreich Deutschland den Krieg
erklärt, vor allem Berlin zerstört, wofür sich die Deutschen mit neu erbauten
Luftschiffer -- denn diese sind nach Wells billig und rasch zu bauen -- durch
die Vernichtung von Paris und London rächen. Nun aber kommt die gerechte
Strafe. Die verbündeten Gelben, China und Japan, haben im geheimen
"och viel bessere lenkbare Luftschiffe und Drachenballons als die Weißen
konstruiert und fallen damit über Europa und Amerika her, vernichten auch
die im Handumdrehn gegen die Gelben verbündete deutsche und amerikanische
Flotte am Niagara. Inzwischen ist natürlich das ganze europäische Geld- und
Kreditsystem zusammengebrochen, Industrie, Verkehr und Handel haben auf¬
gehört, man beschränkt sich nur noch auf die Herstellung der "billigen" Lenk¬
ballons, mit denen man die Länder überfliegt, um zu zerstören und Benzin
zu requirieren, gewissermaßen wie es die nordamerikanischen Indianer trieben,
nachdem sie in den Besitz der verwilderten Pferde gekommen waren. Diesen
allgemeinen Zusammenbruch erlebt nun -- merkwürdigerweise in dem kurzen
Zeitraum von höchstens vier Wochen -- unfreiwillig so eine Art von europäischer
Chinesenfigur, wie sie von der modernen Maschinenzivilisation geschaffen werden,
Berl Smallways, der darauf nach einigen neuen Abenteuern auch seine geliebte


Zwei politische Romane

Schriftsteller mit seinem neusten Roman „Der Luftkrieg" behandelt werden. Schon
in seinem frühern Roman „Im Jahre des Kometen" hatte er den heutigen
Kulturverhältnissen mit ihren unsinnigen Gegensätzen und Leidenschaften, ihrem
Scheinwesen, Verkehrslärm, Rauch und Staub unsrer Maschinenzivilisation eine
Wandlung angedichtet, da sie als die Ursache hingestellt wurden, daß sich ein
ganz gut angelegter Mensch zum mordgierigen Raubtier entwickelte. Die
Wandlung erfolgte durch einen Kometen, der auf die Erde ganz andre natür¬
liche und moralische Grundlagen brachte. Diesmal geht es ohne diesen kosmischen
Notbehelf ab, aber der „Luftkrieg" sucht nun wieder zu beweisen, daß die
moderne Maschinenzivilisation zur Vernichtung aller menschlichen Kultur führen
müsse und danach ein rein nomadenhaftes Dasein der Überlebenden bringen
werde. Zu der Erkenntnis, daß die Menschheit eben die unstreitig durch
die Maschinenzivilisation bewirkten, der Kultur und Gesellschaft nachteiligen
Folgen überwinden und sich zu einer auf jene Umwandlung der Lebens¬
bedingungen gegründeten neuen Kulturstufe emporarbeiten müsse, vermag er sich
nicht aufzuschwingen. Dafür läßt er sich auf den in England besonders gepflegten
Boden der Abrüstung nieder und sucht nun mit Hilfe des als Kriegswaffe
vervollkommnet gedachten lenkbarem Luftschiffs auszuführen, daß das allgemeine
Wettrüsten zur gegenseitigen Vernichtung, insbesondre der großen Städte usw.
führen müsse. Das Karnickel, das anfängt, ist für den britischen Verfasser
selbstverständlich Deutschland, das aber merkwürdigerweise nicht Old England,
sondern die Vereinigten Staaten mit seinen Luftschiffer überfällt, die amerikanische
Flotte und Newyork zerstört, aber sonst nichts auszurichten vermag, da schon
das sich der Kapitulation widersetzende Newyork hinreicht, die wenigen mit den
Luftschiffe» gekommnen Deutschen auf barbarische Verwüstungen von oben zu
beschränken. Inzwischen haben England und Frankreich Deutschland den Krieg
erklärt, vor allem Berlin zerstört, wofür sich die Deutschen mit neu erbauten
Luftschiffer — denn diese sind nach Wells billig und rasch zu bauen — durch
die Vernichtung von Paris und London rächen. Nun aber kommt die gerechte
Strafe. Die verbündeten Gelben, China und Japan, haben im geheimen
«och viel bessere lenkbare Luftschiffe und Drachenballons als die Weißen
konstruiert und fallen damit über Europa und Amerika her, vernichten auch
die im Handumdrehn gegen die Gelben verbündete deutsche und amerikanische
Flotte am Niagara. Inzwischen ist natürlich das ganze europäische Geld- und
Kreditsystem zusammengebrochen, Industrie, Verkehr und Handel haben auf¬
gehört, man beschränkt sich nur noch auf die Herstellung der „billigen" Lenk¬
ballons, mit denen man die Länder überfliegt, um zu zerstören und Benzin
zu requirieren, gewissermaßen wie es die nordamerikanischen Indianer trieben,
nachdem sie in den Besitz der verwilderten Pferde gekommen waren. Diesen
allgemeinen Zusammenbruch erlebt nun — merkwürdigerweise in dem kurzen
Zeitraum von höchstens vier Wochen — unfreiwillig so eine Art von europäischer
Chinesenfigur, wie sie von der modernen Maschinenzivilisation geschaffen werden,
Berl Smallways, der darauf nach einigen neuen Abenteuern auch seine geliebte


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[0601] Zwei politische Romane Schriftsteller mit seinem neusten Roman „Der Luftkrieg" behandelt werden. Schon in seinem frühern Roman „Im Jahre des Kometen" hatte er den heutigen Kulturverhältnissen mit ihren unsinnigen Gegensätzen und Leidenschaften, ihrem Scheinwesen, Verkehrslärm, Rauch und Staub unsrer Maschinenzivilisation eine Wandlung angedichtet, da sie als die Ursache hingestellt wurden, daß sich ein ganz gut angelegter Mensch zum mordgierigen Raubtier entwickelte. Die Wandlung erfolgte durch einen Kometen, der auf die Erde ganz andre natür¬ liche und moralische Grundlagen brachte. Diesmal geht es ohne diesen kosmischen Notbehelf ab, aber der „Luftkrieg" sucht nun wieder zu beweisen, daß die moderne Maschinenzivilisation zur Vernichtung aller menschlichen Kultur führen müsse und danach ein rein nomadenhaftes Dasein der Überlebenden bringen werde. Zu der Erkenntnis, daß die Menschheit eben die unstreitig durch die Maschinenzivilisation bewirkten, der Kultur und Gesellschaft nachteiligen Folgen überwinden und sich zu einer auf jene Umwandlung der Lebens¬ bedingungen gegründeten neuen Kulturstufe emporarbeiten müsse, vermag er sich nicht aufzuschwingen. Dafür läßt er sich auf den in England besonders gepflegten Boden der Abrüstung nieder und sucht nun mit Hilfe des als Kriegswaffe vervollkommnet gedachten lenkbarem Luftschiffs auszuführen, daß das allgemeine Wettrüsten zur gegenseitigen Vernichtung, insbesondre der großen Städte usw. führen müsse. Das Karnickel, das anfängt, ist für den britischen Verfasser selbstverständlich Deutschland, das aber merkwürdigerweise nicht Old England, sondern die Vereinigten Staaten mit seinen Luftschiffer überfällt, die amerikanische Flotte und Newyork zerstört, aber sonst nichts auszurichten vermag, da schon das sich der Kapitulation widersetzende Newyork hinreicht, die wenigen mit den Luftschiffe» gekommnen Deutschen auf barbarische Verwüstungen von oben zu beschränken. Inzwischen haben England und Frankreich Deutschland den Krieg erklärt, vor allem Berlin zerstört, wofür sich die Deutschen mit neu erbauten Luftschiffer — denn diese sind nach Wells billig und rasch zu bauen — durch die Vernichtung von Paris und London rächen. Nun aber kommt die gerechte Strafe. Die verbündeten Gelben, China und Japan, haben im geheimen «och viel bessere lenkbare Luftschiffe und Drachenballons als die Weißen konstruiert und fallen damit über Europa und Amerika her, vernichten auch die im Handumdrehn gegen die Gelben verbündete deutsche und amerikanische Flotte am Niagara. Inzwischen ist natürlich das ganze europäische Geld- und Kreditsystem zusammengebrochen, Industrie, Verkehr und Handel haben auf¬ gehört, man beschränkt sich nur noch auf die Herstellung der „billigen" Lenk¬ ballons, mit denen man die Länder überfliegt, um zu zerstören und Benzin zu requirieren, gewissermaßen wie es die nordamerikanischen Indianer trieben, nachdem sie in den Besitz der verwilderten Pferde gekommen waren. Diesen allgemeinen Zusammenbruch erlebt nun — merkwürdigerweise in dem kurzen Zeitraum von höchstens vier Wochen — unfreiwillig so eine Art von europäischer Chinesenfigur, wie sie von der modernen Maschinenzivilisation geschaffen werden, Berl Smallways, der darauf nach einigen neuen Abenteuern auch seine geliebte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/601>, abgerufen am 24.07.2024.