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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur Versöhnung der Konfessionen

Man darf der katholischen Seite nachrühmen -- Schiele in Tübingen hat
dies wiederholt betont --, daß die Redner bei ihren Kongressen eine musterhafte
Zurückhaltung beobachten, und es kann nur gute Früchte tragen, daß auch die
temperamentvollen Redner auf der evangelischen Seite heute gemäßigter auftreten
als vordem. In einem Stück ist noch viel zu lernen: man sollte nicht immer die
gute Theorie der eignen Kirche mit der schlechten Praxis der andern vergleichen.
Auch politische Unrichtigkeiten wie das "protestantische" deutsche Kaisertum können
nur böses Blut machen. Wenn ein Graf Praschma zu Düsseldorf ausgerufen
hat: "Katholiken in Deutschland voran!" so ist dieses Wort, in einer begeisterten
Schlußrede gefallen, doch kein so großes Verbrechen. "Steht ein für eure heiligsten
Güter, für Glauben und Vaterland!" Was ist denn darin Böswilliges und
Ärgerniserregendes zu finden?

Um des rhetorischen Effektes willen, in eitler Selbstüberhebung fallen ja
noch immer hüben und drüben bittre und verletzende Worte. Aber es ist darin
viel besser geworden als vor sechs und acht Jahren. Falsche Kampfesweise fällt
immer auf den Fechter zurück, und beleidigende Worte rächen sich stets an dem,
der sie gebraucht. Wann wird die Zeit anbrechen, wo man auf beiden Seiten
das Bedürfnis empfindet und den Versuch macht, den andern Teil wirklich und
ernstlich verstehn und kennen zu lernen? Und doch wäre dies die erste Bedingung
zu friedlichem Auskommen. Ist es denn gar so schwer? Siebenzigmalsiebenmal
soll man dem Feinde verzeihen nach den Worten Christi an seinen Petrus. Wo
ist denn diese versöhnliche, zur Vergebung bereite Gesinnung bei den heutigen
Christen?

Ist es nicht an dem, daß wir die vielen gemeinsamen Berührungspunkte
zwischen beiden Kirchen fast ganz vergessen haben? Ist nicht gemeinsam unser
geschichtlicher Ursprung, gemeinsam unsre Bibel, unser apostolisches Glaubens¬
bekenntnis, Taufe und Abendmahl? Feiern wir nicht gemeinsam unsre christlichen
Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten, dazu den Sonntag? Halten wir beide
nicht an dem christlichen Kalender fest? Verbindet uns nicht eine Muttersprache,
in der wir reden, beten, singen und dichten? Anschließen uns nicht hundert ein¬
heitliche Sitten und Gebräuche im Hause, in der Schule, im öffentlichen Leben?

Wir Lebenden haben es ganz gewiß nicht verschuldet, daß vor vierhundert
Jahren die Christenheit gespalten wurde. Vielleicht wollte der Herr der Kirche
durch das Auseinandergehn der Konfessionen die ganze Fülle der in dem Christentum
enthaltnen Kräfte zum Besten der Menschheit herauslocken. Die Geschichte bezeugt
doch klar: beide Richtungen sind nicht bloß historisch erwachsne Gebilde, sondern
göttlich beglaubigte Trägerinnen der christlichen Religion, zwei religiöse Über¬
zeugungen, die sich im tiefsten Wesen ergänzen und wohl zwei verschiedne Seiten
des christlichen Lebens darstellen. Es ist noch nicht so lange her, da konnte
man die Briefe des Apostels Paulus nicht mit dem Inhalt des Jakobusbriefes
vereinigen. Katholizismus und Protestantismus gehen darin auseinander, daß
der eine Teil mehr das persönliche Christentum hervorhebt, der andre auf den


Zur Versöhnung der Konfessionen

Man darf der katholischen Seite nachrühmen — Schiele in Tübingen hat
dies wiederholt betont —, daß die Redner bei ihren Kongressen eine musterhafte
Zurückhaltung beobachten, und es kann nur gute Früchte tragen, daß auch die
temperamentvollen Redner auf der evangelischen Seite heute gemäßigter auftreten
als vordem. In einem Stück ist noch viel zu lernen: man sollte nicht immer die
gute Theorie der eignen Kirche mit der schlechten Praxis der andern vergleichen.
Auch politische Unrichtigkeiten wie das „protestantische" deutsche Kaisertum können
nur böses Blut machen. Wenn ein Graf Praschma zu Düsseldorf ausgerufen
hat: „Katholiken in Deutschland voran!" so ist dieses Wort, in einer begeisterten
Schlußrede gefallen, doch kein so großes Verbrechen. „Steht ein für eure heiligsten
Güter, für Glauben und Vaterland!" Was ist denn darin Böswilliges und
Ärgerniserregendes zu finden?

Um des rhetorischen Effektes willen, in eitler Selbstüberhebung fallen ja
noch immer hüben und drüben bittre und verletzende Worte. Aber es ist darin
viel besser geworden als vor sechs und acht Jahren. Falsche Kampfesweise fällt
immer auf den Fechter zurück, und beleidigende Worte rächen sich stets an dem,
der sie gebraucht. Wann wird die Zeit anbrechen, wo man auf beiden Seiten
das Bedürfnis empfindet und den Versuch macht, den andern Teil wirklich und
ernstlich verstehn und kennen zu lernen? Und doch wäre dies die erste Bedingung
zu friedlichem Auskommen. Ist es denn gar so schwer? Siebenzigmalsiebenmal
soll man dem Feinde verzeihen nach den Worten Christi an seinen Petrus. Wo
ist denn diese versöhnliche, zur Vergebung bereite Gesinnung bei den heutigen
Christen?

Ist es nicht an dem, daß wir die vielen gemeinsamen Berührungspunkte
zwischen beiden Kirchen fast ganz vergessen haben? Ist nicht gemeinsam unser
geschichtlicher Ursprung, gemeinsam unsre Bibel, unser apostolisches Glaubens¬
bekenntnis, Taufe und Abendmahl? Feiern wir nicht gemeinsam unsre christlichen
Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten, dazu den Sonntag? Halten wir beide
nicht an dem christlichen Kalender fest? Verbindet uns nicht eine Muttersprache,
in der wir reden, beten, singen und dichten? Anschließen uns nicht hundert ein¬
heitliche Sitten und Gebräuche im Hause, in der Schule, im öffentlichen Leben?

Wir Lebenden haben es ganz gewiß nicht verschuldet, daß vor vierhundert
Jahren die Christenheit gespalten wurde. Vielleicht wollte der Herr der Kirche
durch das Auseinandergehn der Konfessionen die ganze Fülle der in dem Christentum
enthaltnen Kräfte zum Besten der Menschheit herauslocken. Die Geschichte bezeugt
doch klar: beide Richtungen sind nicht bloß historisch erwachsne Gebilde, sondern
göttlich beglaubigte Trägerinnen der christlichen Religion, zwei religiöse Über¬
zeugungen, die sich im tiefsten Wesen ergänzen und wohl zwei verschiedne Seiten
des christlichen Lebens darstellen. Es ist noch nicht so lange her, da konnte
man die Briefe des Apostels Paulus nicht mit dem Inhalt des Jakobusbriefes
vereinigen. Katholizismus und Protestantismus gehen darin auseinander, daß
der eine Teil mehr das persönliche Christentum hervorhebt, der andre auf den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/60>, abgerufen am 24.07.2024.