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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Zur vcrsöhnung der Konfessionen

ließ, in der preußischen Kreuzzeitung in einer Silvesterbetrachtung den Mangel
an Toleranz bei einem braunschweigischen evangelischen Amtsbruder zu beklagen,
da drohte man, den protestantischen "Bischof Nürnbergs" von der Kanzel herunter¬
zureißen. Fürwahr eine ebenso unerquickliche wie undankbare Aufgabe, mit den
Friedensrufen fortzufahren. Aber wer für eine ideale Sache begeistert ist, nimmt
auch persönliche Verunglimpfungen in den Kauf.

Der Stein, der ins Wasser gefallen war, zog immer weitere Kreise. Eine
um die andre Stimme kam aus der Verborgenheit hervor und nahm öffentlich
Stellung zu derselben Frage. Man brauchte sich auch der neuerlichen Friedens¬
fürsprecher nicht zu schämen. Es war eine ganz anständige Gesellschaft. Pro¬
fessoren wie Harnack, Paulsen, Spahn und Merkle, Prediger wie Dryander
und Paul, Bischöfe wie Fischer, Abert und Kopp -- sie alle und noch viele
andre hielten mit ihrer Meinung darüber nicht zurück, daß sie den Konfessions¬
hader in Deutschland für ein schweres nationales Unglück erachteten, für unver¬
einbar mit dem christlichen Stande. Sie alle hatten das richtige Verständnis
für das Sehnen der deutschen Volksseele.

Wer das Atmen der Volksseele beobachten will, muß ein scharfes Ohr haben,
er muß Mitten unter dem Volke stehen, er muß den Geist der Zeit verstehen
und die Erscheinungen der Gegenwart prüfen, er muß sich gleich fernhalten von
einseitigen Optimismus wie von übertriebnen Pessimismus. Erst dann kann er
die tiefern Regungen des Volkslebens erkennen und würdigen. Die deutsche
Volksseele ist neuerdings wieder einmal in starke Unruhe geraten. Bei der
Wende des Jahrhunderts glaubte man fröhlich in die Zukunft schauen zu dürfen.
Nicht lange, und es kam aufs neue eine gedrückte Stimmung über viele Kreise.
Es sind nicht die industriellen Krisen, es ist nicht der geschäftliche Niedergang
gang allein, der so viele Gemüter beschäftigt. Die Verstimmungen aller Art
liegen tiefer, viel tiefer, und umsonst fragt man sich: Was soll denn werden?
Worauf zielt alles hin? In solchen Zeiten ist es natürlich, daß die religiösen
Fragen in den Vordergrund treten und rin ihnen die konfessionellen. War es
vormals Politik, Wissenschaft, Kunst, Unterhaltungssucht, Erwerb und Genuß,
was das Volk beherrschte und seine Seele erfüllte, so sind heute Fragen andrer
Art aufgetaucht, nicht zuletzt die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis der
beiden Hauptkonfessionen zueinander. Das Volk ist der unseligen konfessionellen
Streitigkeiten und Zänkereien müde und überdrüssig. Es hat nie eine Freude
daran gehabt. Es sagt sich selber: Der Konflikt hat eine Höhe erreicht und eine
Schärfe angenommen, daß es so wie bisher nicht mehr weitergehn kann. Nur
über die Art, wie zu helfen sei, tappt man noch recht im Dunkeln. Der Vor¬
schläge werden mancherlei gemacht, und doch wäre die Hilfe, die Lösung des
Problems so einfach, wenn nur jeder einzelne für seine Person nach dem Rechten
sehen wollte. ' ,''^ ' '7. , ^ "

- ' Ein Döllinger konnte sich der Illusion hingeben, die Wiedervereinigung der
getrennten Kirchen anzustreben. Der Gedanke macht seinem Idealismus alle Ehre,


Zur vcrsöhnung der Konfessionen

ließ, in der preußischen Kreuzzeitung in einer Silvesterbetrachtung den Mangel
an Toleranz bei einem braunschweigischen evangelischen Amtsbruder zu beklagen,
da drohte man, den protestantischen „Bischof Nürnbergs" von der Kanzel herunter¬
zureißen. Fürwahr eine ebenso unerquickliche wie undankbare Aufgabe, mit den
Friedensrufen fortzufahren. Aber wer für eine ideale Sache begeistert ist, nimmt
auch persönliche Verunglimpfungen in den Kauf.

Der Stein, der ins Wasser gefallen war, zog immer weitere Kreise. Eine
um die andre Stimme kam aus der Verborgenheit hervor und nahm öffentlich
Stellung zu derselben Frage. Man brauchte sich auch der neuerlichen Friedens¬
fürsprecher nicht zu schämen. Es war eine ganz anständige Gesellschaft. Pro¬
fessoren wie Harnack, Paulsen, Spahn und Merkle, Prediger wie Dryander
und Paul, Bischöfe wie Fischer, Abert und Kopp — sie alle und noch viele
andre hielten mit ihrer Meinung darüber nicht zurück, daß sie den Konfessions¬
hader in Deutschland für ein schweres nationales Unglück erachteten, für unver¬
einbar mit dem christlichen Stande. Sie alle hatten das richtige Verständnis
für das Sehnen der deutschen Volksseele.

Wer das Atmen der Volksseele beobachten will, muß ein scharfes Ohr haben,
er muß Mitten unter dem Volke stehen, er muß den Geist der Zeit verstehen
und die Erscheinungen der Gegenwart prüfen, er muß sich gleich fernhalten von
einseitigen Optimismus wie von übertriebnen Pessimismus. Erst dann kann er
die tiefern Regungen des Volkslebens erkennen und würdigen. Die deutsche
Volksseele ist neuerdings wieder einmal in starke Unruhe geraten. Bei der
Wende des Jahrhunderts glaubte man fröhlich in die Zukunft schauen zu dürfen.
Nicht lange, und es kam aufs neue eine gedrückte Stimmung über viele Kreise.
Es sind nicht die industriellen Krisen, es ist nicht der geschäftliche Niedergang
gang allein, der so viele Gemüter beschäftigt. Die Verstimmungen aller Art
liegen tiefer, viel tiefer, und umsonst fragt man sich: Was soll denn werden?
Worauf zielt alles hin? In solchen Zeiten ist es natürlich, daß die religiösen
Fragen in den Vordergrund treten und rin ihnen die konfessionellen. War es
vormals Politik, Wissenschaft, Kunst, Unterhaltungssucht, Erwerb und Genuß,
was das Volk beherrschte und seine Seele erfüllte, so sind heute Fragen andrer
Art aufgetaucht, nicht zuletzt die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis der
beiden Hauptkonfessionen zueinander. Das Volk ist der unseligen konfessionellen
Streitigkeiten und Zänkereien müde und überdrüssig. Es hat nie eine Freude
daran gehabt. Es sagt sich selber: Der Konflikt hat eine Höhe erreicht und eine
Schärfe angenommen, daß es so wie bisher nicht mehr weitergehn kann. Nur
über die Art, wie zu helfen sei, tappt man noch recht im Dunkeln. Der Vor¬
schläge werden mancherlei gemacht, und doch wäre die Hilfe, die Lösung des
Problems so einfach, wenn nur jeder einzelne für seine Person nach dem Rechten
sehen wollte. ' ,''^ ' '7. , ^ "

- ' Ein Döllinger konnte sich der Illusion hingeben, die Wiedervereinigung der
getrennten Kirchen anzustreben. Der Gedanke macht seinem Idealismus alle Ehre,


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[0058] Zur vcrsöhnung der Konfessionen ließ, in der preußischen Kreuzzeitung in einer Silvesterbetrachtung den Mangel an Toleranz bei einem braunschweigischen evangelischen Amtsbruder zu beklagen, da drohte man, den protestantischen „Bischof Nürnbergs" von der Kanzel herunter¬ zureißen. Fürwahr eine ebenso unerquickliche wie undankbare Aufgabe, mit den Friedensrufen fortzufahren. Aber wer für eine ideale Sache begeistert ist, nimmt auch persönliche Verunglimpfungen in den Kauf. Der Stein, der ins Wasser gefallen war, zog immer weitere Kreise. Eine um die andre Stimme kam aus der Verborgenheit hervor und nahm öffentlich Stellung zu derselben Frage. Man brauchte sich auch der neuerlichen Friedens¬ fürsprecher nicht zu schämen. Es war eine ganz anständige Gesellschaft. Pro¬ fessoren wie Harnack, Paulsen, Spahn und Merkle, Prediger wie Dryander und Paul, Bischöfe wie Fischer, Abert und Kopp — sie alle und noch viele andre hielten mit ihrer Meinung darüber nicht zurück, daß sie den Konfessions¬ hader in Deutschland für ein schweres nationales Unglück erachteten, für unver¬ einbar mit dem christlichen Stande. Sie alle hatten das richtige Verständnis für das Sehnen der deutschen Volksseele. Wer das Atmen der Volksseele beobachten will, muß ein scharfes Ohr haben, er muß Mitten unter dem Volke stehen, er muß den Geist der Zeit verstehen und die Erscheinungen der Gegenwart prüfen, er muß sich gleich fernhalten von einseitigen Optimismus wie von übertriebnen Pessimismus. Erst dann kann er die tiefern Regungen des Volkslebens erkennen und würdigen. Die deutsche Volksseele ist neuerdings wieder einmal in starke Unruhe geraten. Bei der Wende des Jahrhunderts glaubte man fröhlich in die Zukunft schauen zu dürfen. Nicht lange, und es kam aufs neue eine gedrückte Stimmung über viele Kreise. Es sind nicht die industriellen Krisen, es ist nicht der geschäftliche Niedergang gang allein, der so viele Gemüter beschäftigt. Die Verstimmungen aller Art liegen tiefer, viel tiefer, und umsonst fragt man sich: Was soll denn werden? Worauf zielt alles hin? In solchen Zeiten ist es natürlich, daß die religiösen Fragen in den Vordergrund treten und rin ihnen die konfessionellen. War es vormals Politik, Wissenschaft, Kunst, Unterhaltungssucht, Erwerb und Genuß, was das Volk beherrschte und seine Seele erfüllte, so sind heute Fragen andrer Art aufgetaucht, nicht zuletzt die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis der beiden Hauptkonfessionen zueinander. Das Volk ist der unseligen konfessionellen Streitigkeiten und Zänkereien müde und überdrüssig. Es hat nie eine Freude daran gehabt. Es sagt sich selber: Der Konflikt hat eine Höhe erreicht und eine Schärfe angenommen, daß es so wie bisher nicht mehr weitergehn kann. Nur über die Art, wie zu helfen sei, tappt man noch recht im Dunkeln. Der Vor¬ schläge werden mancherlei gemacht, und doch wäre die Hilfe, die Lösung des Problems so einfach, wenn nur jeder einzelne für seine Person nach dem Rechten sehen wollte. ' ,''^ ' '7. , ^ " - ' Ein Döllinger konnte sich der Illusion hingeben, die Wiedervereinigung der getrennten Kirchen anzustreben. Der Gedanke macht seinem Idealismus alle Ehre,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/58>, abgerufen am 24.07.2024.