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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Neue Ziele des psychologischen Romans i" Amerika

als schlichter Buchhalter sein neues Leben in getreulicher Pflichterfüllung und
warmer Teilnahme gegen alle Hilfsbedürftigen. Alle Herzen öffnen sich seiner
hilfreichen Liebe; was ihm die eigne Familie versagt, spendet ihm das kleine
Gemeinwesen mit vollen Händen. Dieser Austausch zwischen Vertrauen und
Tatkraft trügt feine Frucht im Aufschwung der kleinen Stadt, die Ordway
nach drei Jahren zu ihrem Bürgermeister machen will. Die Dazwischenkunft
eines Leidensgenossen aus dem Gefängnis, der Ordways Schicksal verrät,
vereitelt dies. Im Begriff, sich ein neues Heim zu suchen, wo er sein Sühne¬
werk fortführen kann, ruft ihn ein Telegramm seines Oheims zu den Seinen
zurück. Nun erst beginnt die schwerste Zeit seines Lebens. Er ist und bleibt
für seine Familie der einstige Sträfling, den man duldet, dem man aber nicht
vertrauen kann. Nur seine Tochter, ein unverstandnes, leidenschaftliches Kind,
hängt sich an ihn. Sie wird das Werkzeug seiner Befreiung. Er nimmt
eine von ihr im Leichtsinn begangne Scheckfälschung auf sich und verläßt die
Stadt, nunmehr auch in den Augen der Seinen gerechtfertigt.

Auf solche Weise beleuchtet Ellen Glasgow im Rahmen eines Einzel¬
schicksals eines der Themen, die die Menschheit bewegt haben von Anbeginn.
Das Buch bildet gleichsam eine Ergänzung zu dem vorangegangnen
^Vdksls ok I^ne, das die Verfasserin in die literarische Welt Europas ein¬
führte. Der Newyorker Roman mit seiner herben Verurteilung des mensch¬
lichen Glücksbedürfnisses, das seine Befriedigung in äußern Dingen sucht
und sie doch nimmer finden kann, behandelte das Problem in negativer
Form. Die positive Beantwortung der großen Frage hat die Verfasserin hier
gegeben.

Nicht minder bedeutungsvoll als solche ethischen Konflikte sind für
Amerikas junge Literatur die Beziehungen zwischen der Alten und der Neuen
Welt, die jetzt, wo die freien Bürger ihre Selbständigkeit auf allen Gebieten
erwiesen und behauptet haben, hüben und drüben von besondern: Interesse
sein dürften. Gertruds Athertons Investors geben in einer breitangelegten,
zwei starke Tauchnitzbände umfassenden Erzählung diese Gegenüberstellung der
europäischen und der amerikanischen Kultur. In Eldon Gwynne, den die Partei¬
führer im englischen Parlament schon als zukünftigen Premierminister sehen,
leben die demokratischen Ideale seines kalifornischen Ahnen, James Otis, fort,
den seine Zeitgenossen ob seiner zündenden Beredsamkeit "die Feuerflamme"
nannten. Diese ererbten Neigungen gewinnen die Oberhand, als Gwynne
durch den Tod zweier Peers seines Hauses, deren Erbe er ist, sein ferneres
Wirken im Unterhause abgeschnitten sieht. Im Hause der Lords wird er ein
lebendig Bcgrabner sein. Dagegen empört sich in ihm der Pioniergeist des
Ahnen. Es bedarf kaum des Einflusses seiner Cousine, Isabel Otis, um
ihn hinüber auf sein kalifornisches Besitztum zu locken, wo er sich aus
eigner Kraft, unabhängig von Familienkonnexionen eine neue Laufbahn
schaffen will. Zwar sinkt ihm zuweilen der Mut, als er nach eingehendem


Neue Ziele des psychologischen Romans i» Amerika

als schlichter Buchhalter sein neues Leben in getreulicher Pflichterfüllung und
warmer Teilnahme gegen alle Hilfsbedürftigen. Alle Herzen öffnen sich seiner
hilfreichen Liebe; was ihm die eigne Familie versagt, spendet ihm das kleine
Gemeinwesen mit vollen Händen. Dieser Austausch zwischen Vertrauen und
Tatkraft trügt feine Frucht im Aufschwung der kleinen Stadt, die Ordway
nach drei Jahren zu ihrem Bürgermeister machen will. Die Dazwischenkunft
eines Leidensgenossen aus dem Gefängnis, der Ordways Schicksal verrät,
vereitelt dies. Im Begriff, sich ein neues Heim zu suchen, wo er sein Sühne¬
werk fortführen kann, ruft ihn ein Telegramm seines Oheims zu den Seinen
zurück. Nun erst beginnt die schwerste Zeit seines Lebens. Er ist und bleibt
für seine Familie der einstige Sträfling, den man duldet, dem man aber nicht
vertrauen kann. Nur seine Tochter, ein unverstandnes, leidenschaftliches Kind,
hängt sich an ihn. Sie wird das Werkzeug seiner Befreiung. Er nimmt
eine von ihr im Leichtsinn begangne Scheckfälschung auf sich und verläßt die
Stadt, nunmehr auch in den Augen der Seinen gerechtfertigt.

Auf solche Weise beleuchtet Ellen Glasgow im Rahmen eines Einzel¬
schicksals eines der Themen, die die Menschheit bewegt haben von Anbeginn.
Das Buch bildet gleichsam eine Ergänzung zu dem vorangegangnen
^Vdksls ok I^ne, das die Verfasserin in die literarische Welt Europas ein¬
führte. Der Newyorker Roman mit seiner herben Verurteilung des mensch¬
lichen Glücksbedürfnisses, das seine Befriedigung in äußern Dingen sucht
und sie doch nimmer finden kann, behandelte das Problem in negativer
Form. Die positive Beantwortung der großen Frage hat die Verfasserin hier
gegeben.

Nicht minder bedeutungsvoll als solche ethischen Konflikte sind für
Amerikas junge Literatur die Beziehungen zwischen der Alten und der Neuen
Welt, die jetzt, wo die freien Bürger ihre Selbständigkeit auf allen Gebieten
erwiesen und behauptet haben, hüben und drüben von besondern: Interesse
sein dürften. Gertruds Athertons Investors geben in einer breitangelegten,
zwei starke Tauchnitzbände umfassenden Erzählung diese Gegenüberstellung der
europäischen und der amerikanischen Kultur. In Eldon Gwynne, den die Partei¬
führer im englischen Parlament schon als zukünftigen Premierminister sehen,
leben die demokratischen Ideale seines kalifornischen Ahnen, James Otis, fort,
den seine Zeitgenossen ob seiner zündenden Beredsamkeit „die Feuerflamme"
nannten. Diese ererbten Neigungen gewinnen die Oberhand, als Gwynne
durch den Tod zweier Peers seines Hauses, deren Erbe er ist, sein ferneres
Wirken im Unterhause abgeschnitten sieht. Im Hause der Lords wird er ein
lebendig Bcgrabner sein. Dagegen empört sich in ihm der Pioniergeist des
Ahnen. Es bedarf kaum des Einflusses seiner Cousine, Isabel Otis, um
ihn hinüber auf sein kalifornisches Besitztum zu locken, wo er sich aus
eigner Kraft, unabhängig von Familienkonnexionen eine neue Laufbahn
schaffen will. Zwar sinkt ihm zuweilen der Mut, als er nach eingehendem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/568>, abgerufen am 24.07.2024.