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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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L?as ist Monismus?

auf monistischer Seite schmerzlich vermißt, nämlich das, das die Übergangs¬
form vom Tiere zum Menschen darstellen könnte. Verschiedne Funde, die als
Zwischenglied zwischen Mensch und Tier angesprochen wurden, sind schon ge¬
macht worden. Doch sind sie bis jetzt alle derart, daß sie nur für den über¬
zeugend sein können, der schon von vornherein überzeugt ist. Bekannt ist der
sogenannte Pithekanthropus von Java. Die dort gefundnen Überbleibsel waren
ein Schädeldach, ein Oberschenkel und zwei Backenzähne, zu kümmerliche Reste,
als daß sie von der Gestalt des Wesens, dem sie angehörten, eine Anschauung
geben könnten, falls sie überhaupt einem Wesen angehörten. Denn sie lagen
am Fundort so weit auseinander, daß schon Virchow ihre Zusammengehörigkeit
bezweifelte. Ebenso zweifelhaft ist ein Fund aus allerneuster Zeit, der in der
Monistischen Welt eine freudige Aufregung verursachte. Bei Chapelle aux Saints
in der Correze in Frankreich entdeckte man einen Schädel und einige Glied¬
maßen, die man einem Affenmenschen zuschrieb. Man reihte ihn auch sofort
in die Stelle des Stammbaums zwischen jenem Pithekanthropus und dem
heutigen Menschen ein. Doch Professor Marcelin Boule in Paris findet das
Skelett dem eines Australnegers ähnlicher als dem eines Affenmenschen.
Scherzend fügt er zu: "Grabschrift und Krankengeschichte wurden leider in der
Gruft nicht gefunden, wir dürfen aber annehmen, daß unser teurer Toter von
Mittlerin Wuchs, starker Nackenbildung und kein Kostverächter gewesen ist.. .
Daß der Ärmste von Rheumatismus geplagt war, darf man aus gewissen Be¬
obachtungen an den Gliedmaßenknochen mit einiger Sicherheit schließen." Die
hiernach wahrscheinlich krankhafte Degeneration des Skeletts wurde sofort für
die kühnsten Schlüsse zum Beweis der monistischen Hypothese benutzt. Solch
hastiges Zufahren und der Eifer, ungesichtetes und ungeeignetes Beweismaterial
der vorgefaßten Meinung zu unterbauen, ist imstande, die Sache, der man dienen
will, zu diskreditieren.

Aber hier ist eben der springende Punkt berührt: die Abstammung des
Menschen von tierischen Vorfahren ist es, die der Monist vor allem ändern
bewiesen sehen möchte. Wäre dies gelungen, der Mensch als gegenwärtiges
letztes Glied der Kette des Tierreichs eingereiht, dann wäre, so scheint es, aller
Anspruch auf eine höhere Würde, auf das, was man bis jetzt als das Gottes¬
ebenbild in ihm bezeichnete, für immer abgetan. Damit wäre die Folgerung
gegeben, die Haeckel und mit ihm seine Anhänger auch ziehen, daß das
Natürliche und das Sittliche eins wären. Dann gehört die Ethik in der Tat,
wie Haeckel in seinen "Lebenswundern" es behauptet, zur Naturwissenschaft.
Das Pflichtgebot ist auf eine lange Kette von phyletischen Umbildungen in
der Großhirnrinde zurückzuführen. Die Konsequenz, die ja schon in der Be¬
hauptung einer lediglich mechanischen Kausalität für alles Geschehen in der Welt
lag, kann nun schlank durchgeführt werden: es gibt keine Willensfreiheit. So
weit reicht die Konsequenz. Aber eines schreienden Widerspruchs gegen seine
eignen Voraussetzungen macht sich der Monismus schuldig, der dann auch voll


L?as ist Monismus?

auf monistischer Seite schmerzlich vermißt, nämlich das, das die Übergangs¬
form vom Tiere zum Menschen darstellen könnte. Verschiedne Funde, die als
Zwischenglied zwischen Mensch und Tier angesprochen wurden, sind schon ge¬
macht worden. Doch sind sie bis jetzt alle derart, daß sie nur für den über¬
zeugend sein können, der schon von vornherein überzeugt ist. Bekannt ist der
sogenannte Pithekanthropus von Java. Die dort gefundnen Überbleibsel waren
ein Schädeldach, ein Oberschenkel und zwei Backenzähne, zu kümmerliche Reste,
als daß sie von der Gestalt des Wesens, dem sie angehörten, eine Anschauung
geben könnten, falls sie überhaupt einem Wesen angehörten. Denn sie lagen
am Fundort so weit auseinander, daß schon Virchow ihre Zusammengehörigkeit
bezweifelte. Ebenso zweifelhaft ist ein Fund aus allerneuster Zeit, der in der
Monistischen Welt eine freudige Aufregung verursachte. Bei Chapelle aux Saints
in der Correze in Frankreich entdeckte man einen Schädel und einige Glied¬
maßen, die man einem Affenmenschen zuschrieb. Man reihte ihn auch sofort
in die Stelle des Stammbaums zwischen jenem Pithekanthropus und dem
heutigen Menschen ein. Doch Professor Marcelin Boule in Paris findet das
Skelett dem eines Australnegers ähnlicher als dem eines Affenmenschen.
Scherzend fügt er zu: „Grabschrift und Krankengeschichte wurden leider in der
Gruft nicht gefunden, wir dürfen aber annehmen, daß unser teurer Toter von
Mittlerin Wuchs, starker Nackenbildung und kein Kostverächter gewesen ist.. .
Daß der Ärmste von Rheumatismus geplagt war, darf man aus gewissen Be¬
obachtungen an den Gliedmaßenknochen mit einiger Sicherheit schließen." Die
hiernach wahrscheinlich krankhafte Degeneration des Skeletts wurde sofort für
die kühnsten Schlüsse zum Beweis der monistischen Hypothese benutzt. Solch
hastiges Zufahren und der Eifer, ungesichtetes und ungeeignetes Beweismaterial
der vorgefaßten Meinung zu unterbauen, ist imstande, die Sache, der man dienen
will, zu diskreditieren.

Aber hier ist eben der springende Punkt berührt: die Abstammung des
Menschen von tierischen Vorfahren ist es, die der Monist vor allem ändern
bewiesen sehen möchte. Wäre dies gelungen, der Mensch als gegenwärtiges
letztes Glied der Kette des Tierreichs eingereiht, dann wäre, so scheint es, aller
Anspruch auf eine höhere Würde, auf das, was man bis jetzt als das Gottes¬
ebenbild in ihm bezeichnete, für immer abgetan. Damit wäre die Folgerung
gegeben, die Haeckel und mit ihm seine Anhänger auch ziehen, daß das
Natürliche und das Sittliche eins wären. Dann gehört die Ethik in der Tat,
wie Haeckel in seinen „Lebenswundern" es behauptet, zur Naturwissenschaft.
Das Pflichtgebot ist auf eine lange Kette von phyletischen Umbildungen in
der Großhirnrinde zurückzuführen. Die Konsequenz, die ja schon in der Be¬
hauptung einer lediglich mechanischen Kausalität für alles Geschehen in der Welt
lag, kann nun schlank durchgeführt werden: es gibt keine Willensfreiheit. So
weit reicht die Konsequenz. Aber eines schreienden Widerspruchs gegen seine
eignen Voraussetzungen macht sich der Monismus schuldig, der dann auch voll


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[0558] L?as ist Monismus? auf monistischer Seite schmerzlich vermißt, nämlich das, das die Übergangs¬ form vom Tiere zum Menschen darstellen könnte. Verschiedne Funde, die als Zwischenglied zwischen Mensch und Tier angesprochen wurden, sind schon ge¬ macht worden. Doch sind sie bis jetzt alle derart, daß sie nur für den über¬ zeugend sein können, der schon von vornherein überzeugt ist. Bekannt ist der sogenannte Pithekanthropus von Java. Die dort gefundnen Überbleibsel waren ein Schädeldach, ein Oberschenkel und zwei Backenzähne, zu kümmerliche Reste, als daß sie von der Gestalt des Wesens, dem sie angehörten, eine Anschauung geben könnten, falls sie überhaupt einem Wesen angehörten. Denn sie lagen am Fundort so weit auseinander, daß schon Virchow ihre Zusammengehörigkeit bezweifelte. Ebenso zweifelhaft ist ein Fund aus allerneuster Zeit, der in der Monistischen Welt eine freudige Aufregung verursachte. Bei Chapelle aux Saints in der Correze in Frankreich entdeckte man einen Schädel und einige Glied¬ maßen, die man einem Affenmenschen zuschrieb. Man reihte ihn auch sofort in die Stelle des Stammbaums zwischen jenem Pithekanthropus und dem heutigen Menschen ein. Doch Professor Marcelin Boule in Paris findet das Skelett dem eines Australnegers ähnlicher als dem eines Affenmenschen. Scherzend fügt er zu: „Grabschrift und Krankengeschichte wurden leider in der Gruft nicht gefunden, wir dürfen aber annehmen, daß unser teurer Toter von Mittlerin Wuchs, starker Nackenbildung und kein Kostverächter gewesen ist.. . Daß der Ärmste von Rheumatismus geplagt war, darf man aus gewissen Be¬ obachtungen an den Gliedmaßenknochen mit einiger Sicherheit schließen." Die hiernach wahrscheinlich krankhafte Degeneration des Skeletts wurde sofort für die kühnsten Schlüsse zum Beweis der monistischen Hypothese benutzt. Solch hastiges Zufahren und der Eifer, ungesichtetes und ungeeignetes Beweismaterial der vorgefaßten Meinung zu unterbauen, ist imstande, die Sache, der man dienen will, zu diskreditieren. Aber hier ist eben der springende Punkt berührt: die Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren ist es, die der Monist vor allem ändern bewiesen sehen möchte. Wäre dies gelungen, der Mensch als gegenwärtiges letztes Glied der Kette des Tierreichs eingereiht, dann wäre, so scheint es, aller Anspruch auf eine höhere Würde, auf das, was man bis jetzt als das Gottes¬ ebenbild in ihm bezeichnete, für immer abgetan. Damit wäre die Folgerung gegeben, die Haeckel und mit ihm seine Anhänger auch ziehen, daß das Natürliche und das Sittliche eins wären. Dann gehört die Ethik in der Tat, wie Haeckel in seinen „Lebenswundern" es behauptet, zur Naturwissenschaft. Das Pflichtgebot ist auf eine lange Kette von phyletischen Umbildungen in der Großhirnrinde zurückzuführen. Die Konsequenz, die ja schon in der Be¬ hauptung einer lediglich mechanischen Kausalität für alles Geschehen in der Welt lag, kann nun schlank durchgeführt werden: es gibt keine Willensfreiheit. So weit reicht die Konsequenz. Aber eines schreienden Widerspruchs gegen seine eignen Voraussetzungen macht sich der Monismus schuldig, der dann auch voll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/558>, abgerufen am 24.07.2024.