Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
hofleben und Staatsorganismus in Siam

geblieben ist. Die Beschreibung dieser Titel, Rangstufen und des damit ver-
bundnen Zeremoniells würde ganze Bände in Anspruch nehmen und besten¬
falls das Interesse eines siamesischen Hofmannes wachrufen. Für alle andern
Sterblichen bleibt es nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln.

Königliche Theater im europäischen Sinne kennt man in Siam nicht; diese
sind alle in Privatbesitz. Natürlich gibt es in Bangkok eine Menge solcher Kunst¬
tempel, um der Schaulust des lebensfroher Volkes Rechnung zu tragen. Wenn
auch das beste Theater im Besitz eines königlichen Prinzen ist, so hat das mit der
Krone nichts zu tun, sondern ist lediglich Privatunternehmen. Viel Geschmack
dürfte der moderne Teil des Hofes, also namentlich der König, den haupt¬
sächlich auf dekorative Effekte ausgehenden, auf uralte Buddhalegenden zurück¬
greifenden, endlosen und steifen Darbietungen nicht abgewinnen. Hingegen
erwecken die graziösen, auch für den Europäer ästhetisch genußreichen Tänze
des geschmeidigen Naturvolks schon eher das Interesse der hohen Herren, und
so verfügt auch die königliche Hofhaltung über die entsprechende Anzahl junger
Tänzerinnen.

Im Lande der gelben Robe, so genannt nach der Unzahl buddhistischer
Priester und Mönche, spielt die Religion nicht nur im Leben der Massen,
sondern auch in dem des Königshauses eine bedeutende Rolle. Die königliche
Familie denkt streng buddhistisch; war doch der Vater des jetzigen Herrschers,
König Mongkut, über zwanzig Jahre mönchischer Asket und Gelehrter. An
den großen religiösen Veranstaltungen und öffentlichen Umzügen nimmt der
Herrscher fast regelmäßig teil, und er versäumt nie, gerade am Katinfest zu
erscheinen. Da zieht der König eine ganze Woche lang mit festlichem Ge¬
pränge von Tempel zu Tempel, in Siam Wat genannt, und beschenkt die
Mönche, die sich nach Ablauf der in den Klöstern verbrachten Regenzeit auf
die Wanderschaft begeben und predigend das Land durchziehen, nach buddhistischer
Sitte mit den typischen gelben Reisegewündern.

Der Charakter buddhistischer Lehren bringt es mit sich, daß sich die Be¬
stattung der Toten zu einer besonders glänzenden Feier gestaltet, die um so
Prächtiger, ja geradezu zum Volksfest wird, je höher der Rang des Ver¬
storbnen gewesen ist. Handelt es sich wohl gar um ein Mitglied des Königs¬
hauses, so darf man sicher auf das Erscheinen des Herrschers und seines
Hofes rechnen. Ich erinnere mich der Verbrennungsfeier einer Gemahlin von
einem Halbbruder des Königs. Schon vom frühen Nachmittag an wogte
eine Niesenmenge auf dem weiten Tempelgrunde um die hohe kioskartige
Pramene, in der die Leiche unter einem Hügel starkduftender Blumen auf¬
gebahrt war, während die dichte Schar der geladner Gäste die weite Empfangs¬
halle füllte. Erst mit einbrechender Dämmerung erschien der König im offnen
Wagen mit kleinerm Gefolge, von der aufgestellten Musikkapelle mit der
Nationalhymne begrüßt, und begab sich in den für ihn besonders errichteten
Pavillon, von dem aus er durch einen Druck auf die elektrische Leitung den


hofleben und Staatsorganismus in Siam

geblieben ist. Die Beschreibung dieser Titel, Rangstufen und des damit ver-
bundnen Zeremoniells würde ganze Bände in Anspruch nehmen und besten¬
falls das Interesse eines siamesischen Hofmannes wachrufen. Für alle andern
Sterblichen bleibt es nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln.

Königliche Theater im europäischen Sinne kennt man in Siam nicht; diese
sind alle in Privatbesitz. Natürlich gibt es in Bangkok eine Menge solcher Kunst¬
tempel, um der Schaulust des lebensfroher Volkes Rechnung zu tragen. Wenn
auch das beste Theater im Besitz eines königlichen Prinzen ist, so hat das mit der
Krone nichts zu tun, sondern ist lediglich Privatunternehmen. Viel Geschmack
dürfte der moderne Teil des Hofes, also namentlich der König, den haupt¬
sächlich auf dekorative Effekte ausgehenden, auf uralte Buddhalegenden zurück¬
greifenden, endlosen und steifen Darbietungen nicht abgewinnen. Hingegen
erwecken die graziösen, auch für den Europäer ästhetisch genußreichen Tänze
des geschmeidigen Naturvolks schon eher das Interesse der hohen Herren, und
so verfügt auch die königliche Hofhaltung über die entsprechende Anzahl junger
Tänzerinnen.

Im Lande der gelben Robe, so genannt nach der Unzahl buddhistischer
Priester und Mönche, spielt die Religion nicht nur im Leben der Massen,
sondern auch in dem des Königshauses eine bedeutende Rolle. Die königliche
Familie denkt streng buddhistisch; war doch der Vater des jetzigen Herrschers,
König Mongkut, über zwanzig Jahre mönchischer Asket und Gelehrter. An
den großen religiösen Veranstaltungen und öffentlichen Umzügen nimmt der
Herrscher fast regelmäßig teil, und er versäumt nie, gerade am Katinfest zu
erscheinen. Da zieht der König eine ganze Woche lang mit festlichem Ge¬
pränge von Tempel zu Tempel, in Siam Wat genannt, und beschenkt die
Mönche, die sich nach Ablauf der in den Klöstern verbrachten Regenzeit auf
die Wanderschaft begeben und predigend das Land durchziehen, nach buddhistischer
Sitte mit den typischen gelben Reisegewündern.

Der Charakter buddhistischer Lehren bringt es mit sich, daß sich die Be¬
stattung der Toten zu einer besonders glänzenden Feier gestaltet, die um so
Prächtiger, ja geradezu zum Volksfest wird, je höher der Rang des Ver¬
storbnen gewesen ist. Handelt es sich wohl gar um ein Mitglied des Königs¬
hauses, so darf man sicher auf das Erscheinen des Herrschers und seines
Hofes rechnen. Ich erinnere mich der Verbrennungsfeier einer Gemahlin von
einem Halbbruder des Königs. Schon vom frühen Nachmittag an wogte
eine Niesenmenge auf dem weiten Tempelgrunde um die hohe kioskartige
Pramene, in der die Leiche unter einem Hügel starkduftender Blumen auf¬
gebahrt war, während die dichte Schar der geladner Gäste die weite Empfangs¬
halle füllte. Erst mit einbrechender Dämmerung erschien der König im offnen
Wagen mit kleinerm Gefolge, von der aufgestellten Musikkapelle mit der
Nationalhymne begrüßt, und begab sich in den für ihn besonders errichteten
Pavillon, von dem aus er durch einen Druck auf die elektrische Leitung den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314892"/>
          <fw type="header" place="top"> hofleben und Staatsorganismus in Siam</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2456" prev="#ID_2455"> geblieben ist. Die Beschreibung dieser Titel, Rangstufen und des damit ver-<lb/>
bundnen Zeremoniells würde ganze Bände in Anspruch nehmen und besten¬<lb/>
falls das Interesse eines siamesischen Hofmannes wachrufen. Für alle andern<lb/>
Sterblichen bleibt es nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2457"> Königliche Theater im europäischen Sinne kennt man in Siam nicht; diese<lb/>
sind alle in Privatbesitz. Natürlich gibt es in Bangkok eine Menge solcher Kunst¬<lb/>
tempel, um der Schaulust des lebensfroher Volkes Rechnung zu tragen. Wenn<lb/>
auch das beste Theater im Besitz eines königlichen Prinzen ist, so hat das mit der<lb/>
Krone nichts zu tun, sondern ist lediglich Privatunternehmen. Viel Geschmack<lb/>
dürfte der moderne Teil des Hofes, also namentlich der König, den haupt¬<lb/>
sächlich auf dekorative Effekte ausgehenden, auf uralte Buddhalegenden zurück¬<lb/>
greifenden, endlosen und steifen Darbietungen nicht abgewinnen. Hingegen<lb/>
erwecken die graziösen, auch für den Europäer ästhetisch genußreichen Tänze<lb/>
des geschmeidigen Naturvolks schon eher das Interesse der hohen Herren, und<lb/>
so verfügt auch die königliche Hofhaltung über die entsprechende Anzahl junger<lb/>
Tänzerinnen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2458"> Im Lande der gelben Robe, so genannt nach der Unzahl buddhistischer<lb/>
Priester und Mönche, spielt die Religion nicht nur im Leben der Massen,<lb/>
sondern auch in dem des Königshauses eine bedeutende Rolle. Die königliche<lb/>
Familie denkt streng buddhistisch; war doch der Vater des jetzigen Herrschers,<lb/>
König Mongkut, über zwanzig Jahre mönchischer Asket und Gelehrter. An<lb/>
den großen religiösen Veranstaltungen und öffentlichen Umzügen nimmt der<lb/>
Herrscher fast regelmäßig teil, und er versäumt nie, gerade am Katinfest zu<lb/>
erscheinen. Da zieht der König eine ganze Woche lang mit festlichem Ge¬<lb/>
pränge von Tempel zu Tempel, in Siam Wat genannt, und beschenkt die<lb/>
Mönche, die sich nach Ablauf der in den Klöstern verbrachten Regenzeit auf<lb/>
die Wanderschaft begeben und predigend das Land durchziehen, nach buddhistischer<lb/>
Sitte mit den typischen gelben Reisegewündern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2459" next="#ID_2460"> Der Charakter buddhistischer Lehren bringt es mit sich, daß sich die Be¬<lb/>
stattung der Toten zu einer besonders glänzenden Feier gestaltet, die um so<lb/>
Prächtiger, ja geradezu zum Volksfest wird, je höher der Rang des Ver¬<lb/>
storbnen gewesen ist. Handelt es sich wohl gar um ein Mitglied des Königs¬<lb/>
hauses, so darf man sicher auf das Erscheinen des Herrschers und seines<lb/>
Hofes rechnen. Ich erinnere mich der Verbrennungsfeier einer Gemahlin von<lb/>
einem Halbbruder des Königs. Schon vom frühen Nachmittag an wogte<lb/>
eine Niesenmenge auf dem weiten Tempelgrunde um die hohe kioskartige<lb/>
Pramene, in der die Leiche unter einem Hügel starkduftender Blumen auf¬<lb/>
gebahrt war, während die dichte Schar der geladner Gäste die weite Empfangs¬<lb/>
halle füllte. Erst mit einbrechender Dämmerung erschien der König im offnen<lb/>
Wagen mit kleinerm Gefolge, von der aufgestellten Musikkapelle mit der<lb/>
Nationalhymne begrüßt, und begab sich in den für ihn besonders errichteten<lb/>
Pavillon, von dem aus er durch einen Druck auf die elektrische Leitung den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0545] hofleben und Staatsorganismus in Siam geblieben ist. Die Beschreibung dieser Titel, Rangstufen und des damit ver- bundnen Zeremoniells würde ganze Bände in Anspruch nehmen und besten¬ falls das Interesse eines siamesischen Hofmannes wachrufen. Für alle andern Sterblichen bleibt es nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln. Königliche Theater im europäischen Sinne kennt man in Siam nicht; diese sind alle in Privatbesitz. Natürlich gibt es in Bangkok eine Menge solcher Kunst¬ tempel, um der Schaulust des lebensfroher Volkes Rechnung zu tragen. Wenn auch das beste Theater im Besitz eines königlichen Prinzen ist, so hat das mit der Krone nichts zu tun, sondern ist lediglich Privatunternehmen. Viel Geschmack dürfte der moderne Teil des Hofes, also namentlich der König, den haupt¬ sächlich auf dekorative Effekte ausgehenden, auf uralte Buddhalegenden zurück¬ greifenden, endlosen und steifen Darbietungen nicht abgewinnen. Hingegen erwecken die graziösen, auch für den Europäer ästhetisch genußreichen Tänze des geschmeidigen Naturvolks schon eher das Interesse der hohen Herren, und so verfügt auch die königliche Hofhaltung über die entsprechende Anzahl junger Tänzerinnen. Im Lande der gelben Robe, so genannt nach der Unzahl buddhistischer Priester und Mönche, spielt die Religion nicht nur im Leben der Massen, sondern auch in dem des Königshauses eine bedeutende Rolle. Die königliche Familie denkt streng buddhistisch; war doch der Vater des jetzigen Herrschers, König Mongkut, über zwanzig Jahre mönchischer Asket und Gelehrter. An den großen religiösen Veranstaltungen und öffentlichen Umzügen nimmt der Herrscher fast regelmäßig teil, und er versäumt nie, gerade am Katinfest zu erscheinen. Da zieht der König eine ganze Woche lang mit festlichem Ge¬ pränge von Tempel zu Tempel, in Siam Wat genannt, und beschenkt die Mönche, die sich nach Ablauf der in den Klöstern verbrachten Regenzeit auf die Wanderschaft begeben und predigend das Land durchziehen, nach buddhistischer Sitte mit den typischen gelben Reisegewündern. Der Charakter buddhistischer Lehren bringt es mit sich, daß sich die Be¬ stattung der Toten zu einer besonders glänzenden Feier gestaltet, die um so Prächtiger, ja geradezu zum Volksfest wird, je höher der Rang des Ver¬ storbnen gewesen ist. Handelt es sich wohl gar um ein Mitglied des Königs¬ hauses, so darf man sicher auf das Erscheinen des Herrschers und seines Hofes rechnen. Ich erinnere mich der Verbrennungsfeier einer Gemahlin von einem Halbbruder des Königs. Schon vom frühen Nachmittag an wogte eine Niesenmenge auf dem weiten Tempelgrunde um die hohe kioskartige Pramene, in der die Leiche unter einem Hügel starkduftender Blumen auf¬ gebahrt war, während die dichte Schar der geladner Gäste die weite Empfangs¬ halle füllte. Erst mit einbrechender Dämmerung erschien der König im offnen Wagen mit kleinerm Gefolge, von der aufgestellten Musikkapelle mit der Nationalhymne begrüßt, und begab sich in den für ihn besonders errichteten Pavillon, von dem aus er durch einen Druck auf die elektrische Leitung den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/545
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/545>, abgerufen am 24.07.2024.