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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

erst kurz vor der Wahl wurde ein Fraktionsbeschluß gefaßt, der dem Beispiel der Frei¬
sinnigen folgte. Bezeichnend für die Stimmung zwischen den Parteien war, daß Kon¬
servative und Zentrum, die, um ihr Prinzip zum Ausdruck zu bringen, einen National¬
liberalen zum zweiten Vizepräsidenten wählen wollten, dennoch die nationalliberale Frak¬
tion nicht von ihrer Absicht verständigten. Es scheint, daß dies bet dem kurz vor der
Wahl gefaßten Fraktionsbeschluß der Nationalliberalen den Ausschlag gegeben hat.
Demgemäß nahm der Abgeordnete Dr. Paasche, auf den die Wahl gefallen war,
diese nicht an. So platzten zum erstenmal in der neuen Session die Gegensätze
aufeinander. Eine heftige Geschäftsordnungsdebatte über das Verfahren bei der
weitern Wahl des zweiten Vizepräsidenten und des Bureaus zeigte, wie breit die
Kluft zwischen den noch vor einem Jahre Verbündeten Parteien geworden war.
Man vertagte die Wahl auf den übernächsten Tag, den Freitag. In der Zwischen¬
zeit einigten sich die neuen Mehrheitsparteien auf die Kandidatur des Erbprinzen
von Hohenlohe-Langenburg für den Posten des zweiten Vizepräsidenten. Er ist
denn auch gewählt worden. Auffallend waren bei dieser Wahl zwei Umstände.
Die Neichspartei. bei der der Erbprinz Hospitant ist. hatte nämlich erst kurz
vorher den Beschluß gesaßt, es ebenso zu machen wie die Nationalliberalen, also
auf einen Platz im Präsidium zu verzichten. Nun warf mau den soeben gefaßten
Beschluß wieder um, präsentierte aber nicht ein wirkliches Mitglied der Fraktion,
sondern nur einen Hospitanten. Was den Erbprinzen selbst betrifft, so erfreut
er sich bekanntlich -- und das ist der zweite überraschende Umstand bei
dieser Wahl -- des ganz besondern Hasses des Zentrums. Trotzdem hat es
ihn gewählt, weil durch diese Zusammensetzung des Präsidiums in gewissem
Sinne die Absicht der Liberale" durchkreuzt wurde. Wenn eine den National¬
liberalen so nahe stehende Mittelpartei, die bei der Reichsfinanzreform nicht
zum "schwarzblauen" Block gehört hatte, im Präsidium vertreten war, dann war
der Zweck, den die Liberalen eigentlich bei ihrer Stellungnahme verfolgt hatten,
nicht erreicht. Der Erbprinz hatte die Sache Wohl nicht von dieser Seite'an¬
gesehen. Er glaubte wohl ein patriotisches Opfer zu bringen, wenn er durch
Annahme der Wahl verhinderte, daß -- wie es in diesem Falle wahrscheinlich
war -- der braunschweigische Welse v. Damm als Mitglied der Wirtschaftlichen
Vereinigung für den Sitz des zweiten Vizepräsidenten präsentiert wurde. Man
hat die Nationnlliberalen scharf getadelt, daß sie nicht ihrerseits eine solche Opfer¬
fähigkeit bewiesen haben. Zentrumsblätter sprechen gar von einer "Selbstaus¬
schaltung" der Nationalliberalen. Das trifft natürlich nicht zu. Auf die Stellung
der Liberalen zu der parlamentarischen Arbeit kann aus der Präsidiumswahl kein
Schluß gezogen werden. Ob das Verhalten bei dieser Wahl richtig war, darüber
kann man ja verschiedner Meinung sein; in der nationalliberalen Fraktion selbst
waren ja die Ansichten bis zuletzt geteilt. Wenn die Mehrzahl aber zuletzt zu der
Entscheidung kam. nicht in das Präsidium einzutreten, so geschah das wahrscheinlich
deshalb, weil man wußte, daß vielfach die leichtherzige Erwartung gehegt wurde,
deu Nationalliberalen würde im entscheidenden Augenblick ein beträchtlicher Schritt
nach rechts nicht allzuviel Überwindung kosten. Die Stimmung im Lande forderte
jedoch, daß die Fraktion diesen Hoffnungen in irgendeiner Form einen Riegel vorschob.
Man empfand daher ganz richtig, daß man es von liberaler Seite vermeiden mußte,
dem Volke schon durch die Zusammensetzung des Reichstagspräsidiums das Bild der
Wiederkehr der Zustände vor dem 13. Dezember 1906 zu geben.

Der Reichstag hat nun die Arbeit aufgenommen, die Verlängerung des Handels¬
provisoriums mit England in erster und zweiter Lesung ohne Debatte genehmigt,
dagegen die Hinausschiebung des Termins für das Inkrafttreten der Witwen- und
Waisenversicherung erst nach langen und dabei recht überflüssigen Reden bewilligt.
Auch der Handelsvertrag mit Portugal, der einer Kommission überwiesen worden


Maßgebliches und Unmaßgebliches

erst kurz vor der Wahl wurde ein Fraktionsbeschluß gefaßt, der dem Beispiel der Frei¬
sinnigen folgte. Bezeichnend für die Stimmung zwischen den Parteien war, daß Kon¬
servative und Zentrum, die, um ihr Prinzip zum Ausdruck zu bringen, einen National¬
liberalen zum zweiten Vizepräsidenten wählen wollten, dennoch die nationalliberale Frak¬
tion nicht von ihrer Absicht verständigten. Es scheint, daß dies bet dem kurz vor der
Wahl gefaßten Fraktionsbeschluß der Nationalliberalen den Ausschlag gegeben hat.
Demgemäß nahm der Abgeordnete Dr. Paasche, auf den die Wahl gefallen war,
diese nicht an. So platzten zum erstenmal in der neuen Session die Gegensätze
aufeinander. Eine heftige Geschäftsordnungsdebatte über das Verfahren bei der
weitern Wahl des zweiten Vizepräsidenten und des Bureaus zeigte, wie breit die
Kluft zwischen den noch vor einem Jahre Verbündeten Parteien geworden war.
Man vertagte die Wahl auf den übernächsten Tag, den Freitag. In der Zwischen¬
zeit einigten sich die neuen Mehrheitsparteien auf die Kandidatur des Erbprinzen
von Hohenlohe-Langenburg für den Posten des zweiten Vizepräsidenten. Er ist
denn auch gewählt worden. Auffallend waren bei dieser Wahl zwei Umstände.
Die Neichspartei. bei der der Erbprinz Hospitant ist. hatte nämlich erst kurz
vorher den Beschluß gesaßt, es ebenso zu machen wie die Nationalliberalen, also
auf einen Platz im Präsidium zu verzichten. Nun warf mau den soeben gefaßten
Beschluß wieder um, präsentierte aber nicht ein wirkliches Mitglied der Fraktion,
sondern nur einen Hospitanten. Was den Erbprinzen selbst betrifft, so erfreut
er sich bekanntlich — und das ist der zweite überraschende Umstand bei
dieser Wahl — des ganz besondern Hasses des Zentrums. Trotzdem hat es
ihn gewählt, weil durch diese Zusammensetzung des Präsidiums in gewissem
Sinne die Absicht der Liberale» durchkreuzt wurde. Wenn eine den National¬
liberalen so nahe stehende Mittelpartei, die bei der Reichsfinanzreform nicht
zum „schwarzblauen" Block gehört hatte, im Präsidium vertreten war, dann war
der Zweck, den die Liberalen eigentlich bei ihrer Stellungnahme verfolgt hatten,
nicht erreicht. Der Erbprinz hatte die Sache Wohl nicht von dieser Seite'an¬
gesehen. Er glaubte wohl ein patriotisches Opfer zu bringen, wenn er durch
Annahme der Wahl verhinderte, daß — wie es in diesem Falle wahrscheinlich
war — der braunschweigische Welse v. Damm als Mitglied der Wirtschaftlichen
Vereinigung für den Sitz des zweiten Vizepräsidenten präsentiert wurde. Man
hat die Nationnlliberalen scharf getadelt, daß sie nicht ihrerseits eine solche Opfer¬
fähigkeit bewiesen haben. Zentrumsblätter sprechen gar von einer „Selbstaus¬
schaltung" der Nationalliberalen. Das trifft natürlich nicht zu. Auf die Stellung
der Liberalen zu der parlamentarischen Arbeit kann aus der Präsidiumswahl kein
Schluß gezogen werden. Ob das Verhalten bei dieser Wahl richtig war, darüber
kann man ja verschiedner Meinung sein; in der nationalliberalen Fraktion selbst
waren ja die Ansichten bis zuletzt geteilt. Wenn die Mehrzahl aber zuletzt zu der
Entscheidung kam. nicht in das Präsidium einzutreten, so geschah das wahrscheinlich
deshalb, weil man wußte, daß vielfach die leichtherzige Erwartung gehegt wurde,
deu Nationalliberalen würde im entscheidenden Augenblick ein beträchtlicher Schritt
nach rechts nicht allzuviel Überwindung kosten. Die Stimmung im Lande forderte
jedoch, daß die Fraktion diesen Hoffnungen in irgendeiner Form einen Riegel vorschob.
Man empfand daher ganz richtig, daß man es von liberaler Seite vermeiden mußte,
dem Volke schon durch die Zusammensetzung des Reichstagspräsidiums das Bild der
Wiederkehr der Zustände vor dem 13. Dezember 1906 zu geben.

Der Reichstag hat nun die Arbeit aufgenommen, die Verlängerung des Handels¬
provisoriums mit England in erster und zweiter Lesung ohne Debatte genehmigt,
dagegen die Hinausschiebung des Termins für das Inkrafttreten der Witwen- und
Waisenversicherung erst nach langen und dabei recht überflüssigen Reden bewilligt.
Auch der Handelsvertrag mit Portugal, der einer Kommission überwiesen worden


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[0537] Maßgebliches und Unmaßgebliches erst kurz vor der Wahl wurde ein Fraktionsbeschluß gefaßt, der dem Beispiel der Frei¬ sinnigen folgte. Bezeichnend für die Stimmung zwischen den Parteien war, daß Kon¬ servative und Zentrum, die, um ihr Prinzip zum Ausdruck zu bringen, einen National¬ liberalen zum zweiten Vizepräsidenten wählen wollten, dennoch die nationalliberale Frak¬ tion nicht von ihrer Absicht verständigten. Es scheint, daß dies bet dem kurz vor der Wahl gefaßten Fraktionsbeschluß der Nationalliberalen den Ausschlag gegeben hat. Demgemäß nahm der Abgeordnete Dr. Paasche, auf den die Wahl gefallen war, diese nicht an. So platzten zum erstenmal in der neuen Session die Gegensätze aufeinander. Eine heftige Geschäftsordnungsdebatte über das Verfahren bei der weitern Wahl des zweiten Vizepräsidenten und des Bureaus zeigte, wie breit die Kluft zwischen den noch vor einem Jahre Verbündeten Parteien geworden war. Man vertagte die Wahl auf den übernächsten Tag, den Freitag. In der Zwischen¬ zeit einigten sich die neuen Mehrheitsparteien auf die Kandidatur des Erbprinzen von Hohenlohe-Langenburg für den Posten des zweiten Vizepräsidenten. Er ist denn auch gewählt worden. Auffallend waren bei dieser Wahl zwei Umstände. Die Neichspartei. bei der der Erbprinz Hospitant ist. hatte nämlich erst kurz vorher den Beschluß gesaßt, es ebenso zu machen wie die Nationalliberalen, also auf einen Platz im Präsidium zu verzichten. Nun warf mau den soeben gefaßten Beschluß wieder um, präsentierte aber nicht ein wirkliches Mitglied der Fraktion, sondern nur einen Hospitanten. Was den Erbprinzen selbst betrifft, so erfreut er sich bekanntlich — und das ist der zweite überraschende Umstand bei dieser Wahl — des ganz besondern Hasses des Zentrums. Trotzdem hat es ihn gewählt, weil durch diese Zusammensetzung des Präsidiums in gewissem Sinne die Absicht der Liberale» durchkreuzt wurde. Wenn eine den National¬ liberalen so nahe stehende Mittelpartei, die bei der Reichsfinanzreform nicht zum „schwarzblauen" Block gehört hatte, im Präsidium vertreten war, dann war der Zweck, den die Liberalen eigentlich bei ihrer Stellungnahme verfolgt hatten, nicht erreicht. Der Erbprinz hatte die Sache Wohl nicht von dieser Seite'an¬ gesehen. Er glaubte wohl ein patriotisches Opfer zu bringen, wenn er durch Annahme der Wahl verhinderte, daß — wie es in diesem Falle wahrscheinlich war — der braunschweigische Welse v. Damm als Mitglied der Wirtschaftlichen Vereinigung für den Sitz des zweiten Vizepräsidenten präsentiert wurde. Man hat die Nationnlliberalen scharf getadelt, daß sie nicht ihrerseits eine solche Opfer¬ fähigkeit bewiesen haben. Zentrumsblätter sprechen gar von einer „Selbstaus¬ schaltung" der Nationalliberalen. Das trifft natürlich nicht zu. Auf die Stellung der Liberalen zu der parlamentarischen Arbeit kann aus der Präsidiumswahl kein Schluß gezogen werden. Ob das Verhalten bei dieser Wahl richtig war, darüber kann man ja verschiedner Meinung sein; in der nationalliberalen Fraktion selbst waren ja die Ansichten bis zuletzt geteilt. Wenn die Mehrzahl aber zuletzt zu der Entscheidung kam. nicht in das Präsidium einzutreten, so geschah das wahrscheinlich deshalb, weil man wußte, daß vielfach die leichtherzige Erwartung gehegt wurde, deu Nationalliberalen würde im entscheidenden Augenblick ein beträchtlicher Schritt nach rechts nicht allzuviel Überwindung kosten. Die Stimmung im Lande forderte jedoch, daß die Fraktion diesen Hoffnungen in irgendeiner Form einen Riegel vorschob. Man empfand daher ganz richtig, daß man es von liberaler Seite vermeiden mußte, dem Volke schon durch die Zusammensetzung des Reichstagspräsidiums das Bild der Wiederkehr der Zustände vor dem 13. Dezember 1906 zu geben. Der Reichstag hat nun die Arbeit aufgenommen, die Verlängerung des Handels¬ provisoriums mit England in erster und zweiter Lesung ohne Debatte genehmigt, dagegen die Hinausschiebung des Termins für das Inkrafttreten der Witwen- und Waisenversicherung erst nach langen und dabei recht überflüssigen Reden bewilligt. Auch der Handelsvertrag mit Portugal, der einer Kommission überwiesen worden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/537>, abgerufen am 24.07.2024.