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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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daß, wie die Nvrdpolforscher beweisen, bei richtigem Verhalten eine Temperatur
von --50 Grad Celsius ohne Schädigung der Gesundheit ertragen wird, während
Wanderburschen und Alpenfexc, die sich erschöpft hinlegen, schon bei wenigen
Graden unter Null erfrieren können, und daß Alkoholgenuß schon aus dem
Grunde die Gefahr erhöht, weil er schläfrig macht. Bloch druckt den Bericht
eines Bologneser Arztes, Dr. Philippi, ub über eine traurige Bergfahrt, die
er mit den zwei Söhnen des Anatomieprofessors Zoja machte; er mußte beide
erfrieren sehen. Es war keine besonders gefährliche Partie, die Tragödie er¬
eignete sich auf einer Höhe von wenig über sechstausend Fuß. Auch wurde
kein Alkohol genossen. Aber sie wurden von einem schrecklichen Schneesturm
überfallen, hatten keine Schutzhülle in der Nähe, und die zwei italienischen
Jünglinge scheinen schwächlicher Konstitution gewesen zu sein. Sie waren
rasch erschöpft. Zuerst legte sich der eine hin und war nicht mehr zum Gehn
zu bewegen. Der Doktor und der Bruder massierten ihn, um die Bewegung
zu ersetzen, er aber starb unter ihren Händen. Dann ging es mit dem andern,
den Philippi noch ein Stück fortgeschleppt hatte, ebenso. Daß der Erfrierende,
wenn er nicht gewaltsam wach erhalten wird, sanft hinübcrschlummert, ist be¬
kannt. Dem Tode Entrissene erzählen, wie wohl sie sich in ihrer Betäubung
gefühlt und was sie Schönes geträumt haben. Ein solcher sagte, man hätte
ihn lieber liegen lassen sollen, einen seligem Tod, als er da gehabt haben
würde, könne er nicht haben; es sei ihm gewesen, als tanzten ihm Engel ent¬
gegen. Tötet die Entziehung der Wärme allmählich und schmerzlos, so ist
dagegen Feuer ein gewalttätiger und grausamer Zerstörer. Bei dem Gedanken
an die Scheiterhaufen barbarischer Zeiten kann malt sich einigermaßen durch
die wahrscheinliche Annahme beruhigen, daß in vielen Fällen die Unglücklichen
vom Rauch erstickt worden sein mögen, ehe sie die Flamme erreichte. Ähn¬
liches kommt auch heute noch vor bei Feuersbrünsten. Auf einem Gutshöfe
i^ der Nähe meiner Vaterstadt sind so beim Brande der Schäferei sieben Ver¬
einen umgekommen, die ihr gemauertes Schlafgemach weder durch die Tür ver¬
lassen konnten, zu der die Flamme hineinschlug, noch durch die zu kleinen
Fenster. Ich habe die Leichen, die das Feuer nicht im mindesten verletzt hatte,
selbst gesehen. Bei sehr großen und rasch um sich greifenden Bränden werden
die Leiden der Opfer oft dadurch abgekürzt, daß die Temperatur weit über
100 Grad steigt und der Raum statt mit atembarer Luft mit brennenden
Gasen angefüllt ist. Nach dem Brande der 0x6rg, Oomiaue in Paris hat man
aus geschmolzenen Silbermünzen erkannt, daß die Temperatur auf mehr als
1200 Grad gestiegen war. Wird ein Mensch von einer solchen Glutwelle
plötzlich ergriffen, so muß der Tod selbstverständlich augenblicklich eintreten.
Ich erinnere mich da an einen Vorfall, der sich bei dem großen Brande der
Stadt Frankenstein im Jahre 1858 ereignet hat. Eine Frau lief in eine
Straße hinein, deren Häuser zu beiden Seiten brannten. Sie hielt sich in der
Mitte, wurde von keiner Flamme berührt; da sahen die ihr Nachschauenden,


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daß, wie die Nvrdpolforscher beweisen, bei richtigem Verhalten eine Temperatur
von —50 Grad Celsius ohne Schädigung der Gesundheit ertragen wird, während
Wanderburschen und Alpenfexc, die sich erschöpft hinlegen, schon bei wenigen
Graden unter Null erfrieren können, und daß Alkoholgenuß schon aus dem
Grunde die Gefahr erhöht, weil er schläfrig macht. Bloch druckt den Bericht
eines Bologneser Arztes, Dr. Philippi, ub über eine traurige Bergfahrt, die
er mit den zwei Söhnen des Anatomieprofessors Zoja machte; er mußte beide
erfrieren sehen. Es war keine besonders gefährliche Partie, die Tragödie er¬
eignete sich auf einer Höhe von wenig über sechstausend Fuß. Auch wurde
kein Alkohol genossen. Aber sie wurden von einem schrecklichen Schneesturm
überfallen, hatten keine Schutzhülle in der Nähe, und die zwei italienischen
Jünglinge scheinen schwächlicher Konstitution gewesen zu sein. Sie waren
rasch erschöpft. Zuerst legte sich der eine hin und war nicht mehr zum Gehn
zu bewegen. Der Doktor und der Bruder massierten ihn, um die Bewegung
zu ersetzen, er aber starb unter ihren Händen. Dann ging es mit dem andern,
den Philippi noch ein Stück fortgeschleppt hatte, ebenso. Daß der Erfrierende,
wenn er nicht gewaltsam wach erhalten wird, sanft hinübcrschlummert, ist be¬
kannt. Dem Tode Entrissene erzählen, wie wohl sie sich in ihrer Betäubung
gefühlt und was sie Schönes geträumt haben. Ein solcher sagte, man hätte
ihn lieber liegen lassen sollen, einen seligem Tod, als er da gehabt haben
würde, könne er nicht haben; es sei ihm gewesen, als tanzten ihm Engel ent¬
gegen. Tötet die Entziehung der Wärme allmählich und schmerzlos, so ist
dagegen Feuer ein gewalttätiger und grausamer Zerstörer. Bei dem Gedanken
an die Scheiterhaufen barbarischer Zeiten kann malt sich einigermaßen durch
die wahrscheinliche Annahme beruhigen, daß in vielen Fällen die Unglücklichen
vom Rauch erstickt worden sein mögen, ehe sie die Flamme erreichte. Ähn¬
liches kommt auch heute noch vor bei Feuersbrünsten. Auf einem Gutshöfe
i^ der Nähe meiner Vaterstadt sind so beim Brande der Schäferei sieben Ver¬
einen umgekommen, die ihr gemauertes Schlafgemach weder durch die Tür ver¬
lassen konnten, zu der die Flamme hineinschlug, noch durch die zu kleinen
Fenster. Ich habe die Leichen, die das Feuer nicht im mindesten verletzt hatte,
selbst gesehen. Bei sehr großen und rasch um sich greifenden Bränden werden
die Leiden der Opfer oft dadurch abgekürzt, daß die Temperatur weit über
100 Grad steigt und der Raum statt mit atembarer Luft mit brennenden
Gasen angefüllt ist. Nach dem Brande der 0x6rg, Oomiaue in Paris hat man
aus geschmolzenen Silbermünzen erkannt, daß die Temperatur auf mehr als
1200 Grad gestiegen war. Wird ein Mensch von einer solchen Glutwelle
plötzlich ergriffen, so muß der Tod selbstverständlich augenblicklich eintreten.
Ich erinnere mich da an einen Vorfall, der sich bei dem großen Brande der
Stadt Frankenstein im Jahre 1858 ereignet hat. Eine Frau lief in eine
Straße hinein, deren Häuser zu beiden Seiten brannten. Sie hielt sich in der
Mitte, wurde von keiner Flamme berührt; da sahen die ihr Nachschauenden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/508>, abgerufen am 24.07.2024.