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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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"Zeh" -- oder "mein Vaterland"?

von ,dem Wesen, das Glück und Recht heischt, uiid das selbsteigne Betätigung
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Dementsprechend ist der weitere Inhalt der ganzen Schrift, In drei
Kapiteln wird "das Zwangsbewußtsein als seelisches Erlebnis des Soldaten",
.die Entseelung des Waffenhandwerks". "die Tragik des Militarismus und
seine Unabstellbarkeit" behandelt. Das Ganze mündet aus in einen schranken¬
losen Pessimismus, in eine nur scheinbar mannhafte, tatsächlich, weibisch¬
winselnde Ergebung in das Unabwendbare. ..Der moderne Soldat wird sich
durch geduldiges Tragen, durch freudigen Gehorsam, dnrch den Gedanken an
die vorwiegend völkisch selbsterhaltenden Zwecke des Militarismus am ehesten
gegen alle Nöte und Bärten des Systems feien und innerlich aufrecht erhalten
können. . Auch Leiden bejahen ist noch immer die stärkste Wehr gegen Leiden
gewesen . . ." Und unter Berufung auf Spinoza und Schopenhauer secht es
dann weiter: "Die Erkenntnis sieht, daß das dem Ausleben des Persönlichsten
um Menschen so sehr feindselige System des modernen Militarismus durch
das Verhängnis der menschlichen Geistesentwicklung sich herausgestaltet hat,
ein Verhängnis, das dazu bestimmt scheint, in dem Maße, als es sich aus¬
wirkt, immer weitere und tiefere Schatten über die Erde zu werfen', "em
tragisches Lebensverhältnis", das man im Zusammenhang mit der Tragik des
Lebens überhaupt begreifen könne.

Und ein solcher Schmerzensschrei wegen eines einzigen Jahres, wo man
in der bevorzugten Stellung als Einjährig-Freiwilliger zu dienen hat! In
der Tat. als Schmerzensschrei eines einzelnen wäre das alles bloß zum
Lachen. Aber freilich, wenn damit der ..Gefühlszustand Tausender" gekenn¬
zeichnet wäre, so wäre es anders; das wäre wirklich ein böses Zeichen. '

Über die Einzelheiten, die der Verfasser zur Begründung seines Jammers
vorbringt, können wir rascher hinweggehn. Nachdem er nochmals das..Hohe¬
lied der Freiheit" gesungen hat. kommt "die Kaserne als Welt absoluten
Zwanges" daran; "alles Geschehen in der Kaserne ist . . . ein wortstummes
Dulden". Hier heißt es: "Du mußt -- weil du uicht anders kannst." Dem ent¬
spricht der "psychische Depressionszustand des modernen Soldaten", der "nur
resignieren kann" und "die Tage bis zur Entlassung kalendarisch zählt", "lerne
Rechte" hat. nicht "Mensch"' sondern nur "Diensttuer" ist. "Die wunder¬
lichste Pflanze im Garten der soldatischen Rechte ist das Beschwerderecht'
mit seinem ..Charakter der Pflicht". "Der ganze Mensch wird durch den
Militarismus absorbiert. Totenstarre, innere und äußere Gebundenheit", "uni¬
formes Kleid", "ständige Dienstbarkeit". "Abgeschlossenheit des Wohnens" ..die
Seele in der Gefangenschaft", "das tägliche Dienstqnantum . . . vollgemessen .
"absolute Gebundenheit des Individuums". "der Militarismus em Staat im
Staate". So viel Sätze, so viel Unrichtigkeiten oder zum mindesten Über¬
treibungen! Natürlich darf auch das längst zu Tod gerittene Wort des
Kaisers vom "Schießen auf Vater, Mutter und Kinder" nicht fehlen. Die


„Zeh" — oder „mein Vaterland"?

von ,dem Wesen, das Glück und Recht heischt, uiid das selbsteigne Betätigung
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Dementsprechend ist der weitere Inhalt der ganzen Schrift, In drei
Kapiteln wird „das Zwangsbewußtsein als seelisches Erlebnis des Soldaten",
.die Entseelung des Waffenhandwerks". „die Tragik des Militarismus und
seine Unabstellbarkeit" behandelt. Das Ganze mündet aus in einen schranken¬
losen Pessimismus, in eine nur scheinbar mannhafte, tatsächlich, weibisch¬
winselnde Ergebung in das Unabwendbare. ..Der moderne Soldat wird sich
durch geduldiges Tragen, durch freudigen Gehorsam, dnrch den Gedanken an
die vorwiegend völkisch selbsterhaltenden Zwecke des Militarismus am ehesten
gegen alle Nöte und Bärten des Systems feien und innerlich aufrecht erhalten
können. . Auch Leiden bejahen ist noch immer die stärkste Wehr gegen Leiden
gewesen . . ." Und unter Berufung auf Spinoza und Schopenhauer secht es
dann weiter: „Die Erkenntnis sieht, daß das dem Ausleben des Persönlichsten
um Menschen so sehr feindselige System des modernen Militarismus durch
das Verhängnis der menschlichen Geistesentwicklung sich herausgestaltet hat,
ein Verhängnis, das dazu bestimmt scheint, in dem Maße, als es sich aus¬
wirkt, immer weitere und tiefere Schatten über die Erde zu werfen', „em
tragisches Lebensverhältnis", das man im Zusammenhang mit der Tragik des
Lebens überhaupt begreifen könne.

Und ein solcher Schmerzensschrei wegen eines einzigen Jahres, wo man
in der bevorzugten Stellung als Einjährig-Freiwilliger zu dienen hat! In
der Tat. als Schmerzensschrei eines einzelnen wäre das alles bloß zum
Lachen. Aber freilich, wenn damit der ..Gefühlszustand Tausender" gekenn¬
zeichnet wäre, so wäre es anders; das wäre wirklich ein böses Zeichen. '

Über die Einzelheiten, die der Verfasser zur Begründung seines Jammers
vorbringt, können wir rascher hinweggehn. Nachdem er nochmals das..Hohe¬
lied der Freiheit" gesungen hat. kommt „die Kaserne als Welt absoluten
Zwanges" daran; „alles Geschehen in der Kaserne ist . . . ein wortstummes
Dulden". Hier heißt es: „Du mußt — weil du uicht anders kannst." Dem ent¬
spricht der „psychische Depressionszustand des modernen Soldaten", der „nur
resignieren kann" und „die Tage bis zur Entlassung kalendarisch zählt", „lerne
Rechte" hat. nicht „Mensch"' sondern nur „Diensttuer" ist. „Die wunder¬
lichste Pflanze im Garten der soldatischen Rechte ist das Beschwerderecht'
mit seinem ..Charakter der Pflicht". „Der ganze Mensch wird durch den
Militarismus absorbiert. Totenstarre, innere und äußere Gebundenheit", „uni¬
formes Kleid", „ständige Dienstbarkeit". „Abgeschlossenheit des Wohnens" ..die
Seele in der Gefangenschaft", „das tägliche Dienstqnantum . . . vollgemessen .
»absolute Gebundenheit des Individuums". „der Militarismus em Staat im
Staate". So viel Sätze, so viel Unrichtigkeiten oder zum mindesten Über¬
treibungen! Natürlich darf auch das längst zu Tod gerittene Wort des
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[0495] „Zeh" — oder „mein Vaterland"? von ,dem Wesen, das Glück und Recht heischt, uiid das selbsteigne Betätigung fM«rei^D ?t>-'"-''Z-- '--^ -"^K-^»?« Dementsprechend ist der weitere Inhalt der ganzen Schrift, In drei Kapiteln wird „das Zwangsbewußtsein als seelisches Erlebnis des Soldaten", .die Entseelung des Waffenhandwerks". „die Tragik des Militarismus und seine Unabstellbarkeit" behandelt. Das Ganze mündet aus in einen schranken¬ losen Pessimismus, in eine nur scheinbar mannhafte, tatsächlich, weibisch¬ winselnde Ergebung in das Unabwendbare. ..Der moderne Soldat wird sich durch geduldiges Tragen, durch freudigen Gehorsam, dnrch den Gedanken an die vorwiegend völkisch selbsterhaltenden Zwecke des Militarismus am ehesten gegen alle Nöte und Bärten des Systems feien und innerlich aufrecht erhalten können. . Auch Leiden bejahen ist noch immer die stärkste Wehr gegen Leiden gewesen . . ." Und unter Berufung auf Spinoza und Schopenhauer secht es dann weiter: „Die Erkenntnis sieht, daß das dem Ausleben des Persönlichsten um Menschen so sehr feindselige System des modernen Militarismus durch das Verhängnis der menschlichen Geistesentwicklung sich herausgestaltet hat, ein Verhängnis, das dazu bestimmt scheint, in dem Maße, als es sich aus¬ wirkt, immer weitere und tiefere Schatten über die Erde zu werfen', „em tragisches Lebensverhältnis", das man im Zusammenhang mit der Tragik des Lebens überhaupt begreifen könne. Und ein solcher Schmerzensschrei wegen eines einzigen Jahres, wo man in der bevorzugten Stellung als Einjährig-Freiwilliger zu dienen hat! In der Tat. als Schmerzensschrei eines einzelnen wäre das alles bloß zum Lachen. Aber freilich, wenn damit der ..Gefühlszustand Tausender" gekenn¬ zeichnet wäre, so wäre es anders; das wäre wirklich ein böses Zeichen. ' Über die Einzelheiten, die der Verfasser zur Begründung seines Jammers vorbringt, können wir rascher hinweggehn. Nachdem er nochmals das..Hohe¬ lied der Freiheit" gesungen hat. kommt „die Kaserne als Welt absoluten Zwanges" daran; „alles Geschehen in der Kaserne ist . . . ein wortstummes Dulden". Hier heißt es: „Du mußt — weil du uicht anders kannst." Dem ent¬ spricht der „psychische Depressionszustand des modernen Soldaten", der „nur resignieren kann" und „die Tage bis zur Entlassung kalendarisch zählt", „lerne Rechte" hat. nicht „Mensch"' sondern nur „Diensttuer" ist. „Die wunder¬ lichste Pflanze im Garten der soldatischen Rechte ist das Beschwerderecht' mit seinem ..Charakter der Pflicht". „Der ganze Mensch wird durch den Militarismus absorbiert. Totenstarre, innere und äußere Gebundenheit", „uni¬ formes Kleid", „ständige Dienstbarkeit". „Abgeschlossenheit des Wohnens" ..die Seele in der Gefangenschaft", „das tägliche Dienstqnantum . . . vollgemessen . »absolute Gebundenheit des Individuums". „der Militarismus em Staat im Staate". So viel Sätze, so viel Unrichtigkeiten oder zum mindesten Über¬ treibungen! Natürlich darf auch das längst zu Tod gerittene Wort des Kaisers vom „Schießen auf Vater, Mutter und Kinder" nicht fehlen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/495>, abgerufen am 05.07.2024.