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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Hermann Wette als westfälischer Vialektdichter

Saft und Kraft wie ihre markige Sprache..." Und dann folgt das pracht¬
volle Gedicht "Bur, holl seur!", bei dessen Klänge mir immer ist, als säbelnd
einen däftigen Bauern aus dem Münsterlande oder vom Heilwege kernig, fest
und breitbeinig vor mir stehn. Das Gedicht stand schon in der viele Jahre
vor dem Roman erschienenen Sammlung "Westfälische Gedichte" (Leipzig,
Fr. Will). Grunow), die längst mehrere starke Auflagen erlebt hätte, wenn der
Geschmack des Publikums immer das Richtige träfe. Vielleicht ist aber trotz
aller Anerkennung, die dem Buche bei seinem Erscheinen gezollt wurde, weitern
Kreisen kaum bekannt, welch ein Reichtum echter Poesie in ihm steckt, und ein
Wort zu seiner Ehre wohl am Platze. Denn das ist ja überhaupt ein Fluch
unsrer Dialektliteratur, daß sie von den Literarhistorikern kaum beachtet wird,
die sich damit begnügen, auf Groth, Reuter und noch ein paar andre nieder¬
deutsche Dichter hinzuweisen, weil sie von den übrigen beachtenswerten
Leistungen auf dem Gebiete der plattdeutschen Dichtung eben nur sehr wenig
wissen. Und die berufnen Kritiker unsrer angesehenen Zeitschriften und Tages¬
blätter, die hier dankenswerte Vorarbeit leisten könnten, schieben neue Bücher
in plattdeutscher Sprache entweder ganz beiseite oder beurteilen sie aus Mangel
an eindringender Kenntnis der Sprache und ihrer von denen der hochdeutschen
abweichenden Gesetze lediglich nach dem mehr oder weniger interessanten Inhalt.
Der Blender sciense dann überschwengliches Lob ein, während das echte Talent,
die ursprüngliche Begabung nur zu oft übersehen oder wegen der Ecken und
Kanten gering eingeschätzt wird.

In den meisten Dichtungen der Sammlung Weites blüht ein ergötzlicher
Humor, aber auch die ernsten Farben des Schmerzes fehlen nicht, und ein
paarmal stellt sich der westfälische Bauer selbstbewußt vor uns hin, stolz auf
seine Eigenart. Der erste Teil bringt zehn Gedichte, unter denen das zier¬
liche mit der Überschrift "Op jedweden Teewen en Spielmusikant" sowie
"Min Maler sin Utstür" und die "Waigenleedkes" von ganz besondrer Schön¬
heit sind. Der zweite Teil, "Wat de Wind verteilt", enthält neben Gedichten
viele Stücke, in denen Vers und Prosa gemischt sind. Wir freuen uns, daß
der Dichter so feine Ohren hat und uns deshalb bald neckisch, bald ernst
wiedererzählen konnte, was ihm der Wind, der weitgereiste und vielerfahrne,
aus Natur und Menschenleben erzählt hat. Einige der zartesten Stücke er¬
innern mich an das Schönste in Andersens "Bilderbuch ohne Bilder", und
immer wieder gebe ich mich dem wundersamen Zauber dieses Buches hin, dem
ich in meiner Bücherei einen Ehrenplatz eingeräumt habe. Es steht bei den
"Tröstern in trüben Stunden".

Noch höher aber schätze ich des Dichters neuestes Gedichtbuch, -das vor
kurzem in demselben Verlage erschienen ist und zu meiner aufrichtigen Freude
schon manchen begeisterten Lobredner gefunden hat. Die Sammlung "Neue
Westfälische Gedichte" könnte mit vollem Recht die Verse Theodor Storms
als Motto tragen: "Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen, wozu


Hermann Wette als westfälischer Vialektdichter

Saft und Kraft wie ihre markige Sprache..." Und dann folgt das pracht¬
volle Gedicht „Bur, holl seur!", bei dessen Klänge mir immer ist, als säbelnd
einen däftigen Bauern aus dem Münsterlande oder vom Heilwege kernig, fest
und breitbeinig vor mir stehn. Das Gedicht stand schon in der viele Jahre
vor dem Roman erschienenen Sammlung „Westfälische Gedichte" (Leipzig,
Fr. Will). Grunow), die längst mehrere starke Auflagen erlebt hätte, wenn der
Geschmack des Publikums immer das Richtige träfe. Vielleicht ist aber trotz
aller Anerkennung, die dem Buche bei seinem Erscheinen gezollt wurde, weitern
Kreisen kaum bekannt, welch ein Reichtum echter Poesie in ihm steckt, und ein
Wort zu seiner Ehre wohl am Platze. Denn das ist ja überhaupt ein Fluch
unsrer Dialektliteratur, daß sie von den Literarhistorikern kaum beachtet wird,
die sich damit begnügen, auf Groth, Reuter und noch ein paar andre nieder¬
deutsche Dichter hinzuweisen, weil sie von den übrigen beachtenswerten
Leistungen auf dem Gebiete der plattdeutschen Dichtung eben nur sehr wenig
wissen. Und die berufnen Kritiker unsrer angesehenen Zeitschriften und Tages¬
blätter, die hier dankenswerte Vorarbeit leisten könnten, schieben neue Bücher
in plattdeutscher Sprache entweder ganz beiseite oder beurteilen sie aus Mangel
an eindringender Kenntnis der Sprache und ihrer von denen der hochdeutschen
abweichenden Gesetze lediglich nach dem mehr oder weniger interessanten Inhalt.
Der Blender sciense dann überschwengliches Lob ein, während das echte Talent,
die ursprüngliche Begabung nur zu oft übersehen oder wegen der Ecken und
Kanten gering eingeschätzt wird.

In den meisten Dichtungen der Sammlung Weites blüht ein ergötzlicher
Humor, aber auch die ernsten Farben des Schmerzes fehlen nicht, und ein
paarmal stellt sich der westfälische Bauer selbstbewußt vor uns hin, stolz auf
seine Eigenart. Der erste Teil bringt zehn Gedichte, unter denen das zier¬
liche mit der Überschrift „Op jedweden Teewen en Spielmusikant" sowie
„Min Maler sin Utstür" und die „Waigenleedkes" von ganz besondrer Schön¬
heit sind. Der zweite Teil, „Wat de Wind verteilt", enthält neben Gedichten
viele Stücke, in denen Vers und Prosa gemischt sind. Wir freuen uns, daß
der Dichter so feine Ohren hat und uns deshalb bald neckisch, bald ernst
wiedererzählen konnte, was ihm der Wind, der weitgereiste und vielerfahrne,
aus Natur und Menschenleben erzählt hat. Einige der zartesten Stücke er¬
innern mich an das Schönste in Andersens „Bilderbuch ohne Bilder", und
immer wieder gebe ich mich dem wundersamen Zauber dieses Buches hin, dem
ich in meiner Bücherei einen Ehrenplatz eingeräumt habe. Es steht bei den
„Tröstern in trüben Stunden".

Noch höher aber schätze ich des Dichters neuestes Gedichtbuch, -das vor
kurzem in demselben Verlage erschienen ist und zu meiner aufrichtigen Freude
schon manchen begeisterten Lobredner gefunden hat. Die Sammlung „Neue
Westfälische Gedichte" könnte mit vollem Recht die Verse Theodor Storms
als Motto tragen: „Kein Wort, auch nicht das kleinste, kann ich sagen, wozu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/464>, abgerufen am 24.07.2024.