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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Bibel in neuer Gestalt

Vollen Werkes von der ersten, die vor achtzehn Jahren erschienen ist! Von
den zehn Mitarbeitern, die damals Kautzsch zur Seite standen, sind fünf in der
Zwischenzeit durch den Tod abberufen worden, und fünf andre sind an ihre
Stelle getreten. Wesentlich verändert worden ist die äußere Anlage des ganzen
Werkes. Während früher der Text ohne alle Erläuterungen geboten wurde
und in einem Beilagenbande die wichtigsten textkritischen Anmerkungen, geschicht¬
lichen Erklärungen hinzugefügt waren, sind jetzt allen Schriften Einleitungen
vorangestellt, auch den einzelnen Abschnitten des Textes wieder kurze Ein¬
führungen vorausgeschickt, die über Inhalt, Aufbau und Bedeutung des Stückes
Aufschluß geben, und in Fußnoten ist eine Fülle textkritischer und sachlicher
Erläuterungen gegeben, die zu einem wirklichen Verständnis des Textes ver¬
helfen. Bedauern könnte man bei dieser neuen Anlage höchstens das eine, daß
nun die zusammenhängende Darstellung der Entstehung des Alten Testaments
wegfallen wird, die Kautzsch früher in dem beigegebnen Abriß bot; doch ist ja
diese vortreffliche Beigabe schon seit mehreren Jahren gesondert zu haben, geht
also nicht ganz verloren. Was die neu eingefügten Einführungen betrifft, so
ist in den literarkritischen Einleitungen wohl alles geboten, was zu einem Ver¬
ständnis der Entstehung der Schriften notwendig ist, soweit es sich nicht um
das Bedürfnis spezieller Untersuchungen handelt. Bei den Einführungen in
die einzelnen Abschnitte haben sich die Herausgeber aber begreiflicherweise der
größten Knappheit befleißigen müssen, sodaß die vorliegenden sachlichen Schwierig¬
keiten oft nur gestreift werden konnten; es gehört ein ziemliches Maß von Selbst¬
beherrschung des Gelehrten dazu, um sich zum Beispiel bei einer Perikope wie
der vom Sündenfnll mit den wenigen Zeilen zu begnügen, mit denen Kautzsch
dort die Fülle der sich dabei erhebenden Fragen andeutet. Es versteht sich von
selbst, daß in diesen Erläuterungen auch die Probleme vor allem mit berück¬
sichtigt worden sind, die in der letzten Zeit die alttestamentliche Wissenschaft
beschäftigt haben (man denke an die religionsgeschichtlichen Beziehungen des
Alten Testaments zur babylonischen Welt und an die von Siepers begründeten
metrischen Untersuchungen der alttestamentlichen Poesie). Dabei ist aber für
den Herausgeber beherrschender Grundsatz gewesen, wie in den Übersetzungen so
auch in den Erläuterungen dem Leser nicht allerlei geistreiche Vermutungen,
sondern nach Möglichkeit nur tatsächliches und zuverlässiges zu bieten; denn
das Werk soll ja besonders auch Nichttheologen, die sich über die wissenschaft¬
liche Erklärung des Alten Testaments Aufschluß holen wollen, ein Führer sein,
dem sie mit vollem Vertrauen folgen können. Darüber, was Hypothese und
was festgestellte Tatsache ist, werden ja natürlich auch die Urteile der einzelnen
noch ziemlich auseinandergehn können; aber man wird überall den Eindruck ge¬
winnen, daß in besonnener und klarer Weise zwischen sicherem, Wahrscheinlichen
und Möglichen unterschieden wird. Jedenfalls darf man schon jetzt aussprechen,
daß das' abgeschlossene Werk eine Musterleistung deutschen Gelehrtenfleißes dar¬
stellen wird, die keiner besondern Empfehlung bedarf: der "neue Kautzsch" wird


Grenzboten IV 1909 58
Die Bibel in neuer Gestalt

Vollen Werkes von der ersten, die vor achtzehn Jahren erschienen ist! Von
den zehn Mitarbeitern, die damals Kautzsch zur Seite standen, sind fünf in der
Zwischenzeit durch den Tod abberufen worden, und fünf andre sind an ihre
Stelle getreten. Wesentlich verändert worden ist die äußere Anlage des ganzen
Werkes. Während früher der Text ohne alle Erläuterungen geboten wurde
und in einem Beilagenbande die wichtigsten textkritischen Anmerkungen, geschicht¬
lichen Erklärungen hinzugefügt waren, sind jetzt allen Schriften Einleitungen
vorangestellt, auch den einzelnen Abschnitten des Textes wieder kurze Ein¬
führungen vorausgeschickt, die über Inhalt, Aufbau und Bedeutung des Stückes
Aufschluß geben, und in Fußnoten ist eine Fülle textkritischer und sachlicher
Erläuterungen gegeben, die zu einem wirklichen Verständnis des Textes ver¬
helfen. Bedauern könnte man bei dieser neuen Anlage höchstens das eine, daß
nun die zusammenhängende Darstellung der Entstehung des Alten Testaments
wegfallen wird, die Kautzsch früher in dem beigegebnen Abriß bot; doch ist ja
diese vortreffliche Beigabe schon seit mehreren Jahren gesondert zu haben, geht
also nicht ganz verloren. Was die neu eingefügten Einführungen betrifft, so
ist in den literarkritischen Einleitungen wohl alles geboten, was zu einem Ver¬
ständnis der Entstehung der Schriften notwendig ist, soweit es sich nicht um
das Bedürfnis spezieller Untersuchungen handelt. Bei den Einführungen in
die einzelnen Abschnitte haben sich die Herausgeber aber begreiflicherweise der
größten Knappheit befleißigen müssen, sodaß die vorliegenden sachlichen Schwierig¬
keiten oft nur gestreift werden konnten; es gehört ein ziemliches Maß von Selbst¬
beherrschung des Gelehrten dazu, um sich zum Beispiel bei einer Perikope wie
der vom Sündenfnll mit den wenigen Zeilen zu begnügen, mit denen Kautzsch
dort die Fülle der sich dabei erhebenden Fragen andeutet. Es versteht sich von
selbst, daß in diesen Erläuterungen auch die Probleme vor allem mit berück¬
sichtigt worden sind, die in der letzten Zeit die alttestamentliche Wissenschaft
beschäftigt haben (man denke an die religionsgeschichtlichen Beziehungen des
Alten Testaments zur babylonischen Welt und an die von Siepers begründeten
metrischen Untersuchungen der alttestamentlichen Poesie). Dabei ist aber für
den Herausgeber beherrschender Grundsatz gewesen, wie in den Übersetzungen so
auch in den Erläuterungen dem Leser nicht allerlei geistreiche Vermutungen,
sondern nach Möglichkeit nur tatsächliches und zuverlässiges zu bieten; denn
das Werk soll ja besonders auch Nichttheologen, die sich über die wissenschaft¬
liche Erklärung des Alten Testaments Aufschluß holen wollen, ein Führer sein,
dem sie mit vollem Vertrauen folgen können. Darüber, was Hypothese und
was festgestellte Tatsache ist, werden ja natürlich auch die Urteile der einzelnen
noch ziemlich auseinandergehn können; aber man wird überall den Eindruck ge¬
winnen, daß in besonnener und klarer Weise zwischen sicherem, Wahrscheinlichen
und Möglichen unterschieden wird. Jedenfalls darf man schon jetzt aussprechen,
daß das' abgeschlossene Werk eine Musterleistung deutschen Gelehrtenfleißes dar¬
stellen wird, die keiner besondern Empfehlung bedarf: der „neue Kautzsch" wird


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[0461] Die Bibel in neuer Gestalt Vollen Werkes von der ersten, die vor achtzehn Jahren erschienen ist! Von den zehn Mitarbeitern, die damals Kautzsch zur Seite standen, sind fünf in der Zwischenzeit durch den Tod abberufen worden, und fünf andre sind an ihre Stelle getreten. Wesentlich verändert worden ist die äußere Anlage des ganzen Werkes. Während früher der Text ohne alle Erläuterungen geboten wurde und in einem Beilagenbande die wichtigsten textkritischen Anmerkungen, geschicht¬ lichen Erklärungen hinzugefügt waren, sind jetzt allen Schriften Einleitungen vorangestellt, auch den einzelnen Abschnitten des Textes wieder kurze Ein¬ führungen vorausgeschickt, die über Inhalt, Aufbau und Bedeutung des Stückes Aufschluß geben, und in Fußnoten ist eine Fülle textkritischer und sachlicher Erläuterungen gegeben, die zu einem wirklichen Verständnis des Textes ver¬ helfen. Bedauern könnte man bei dieser neuen Anlage höchstens das eine, daß nun die zusammenhängende Darstellung der Entstehung des Alten Testaments wegfallen wird, die Kautzsch früher in dem beigegebnen Abriß bot; doch ist ja diese vortreffliche Beigabe schon seit mehreren Jahren gesondert zu haben, geht also nicht ganz verloren. Was die neu eingefügten Einführungen betrifft, so ist in den literarkritischen Einleitungen wohl alles geboten, was zu einem Ver¬ ständnis der Entstehung der Schriften notwendig ist, soweit es sich nicht um das Bedürfnis spezieller Untersuchungen handelt. Bei den Einführungen in die einzelnen Abschnitte haben sich die Herausgeber aber begreiflicherweise der größten Knappheit befleißigen müssen, sodaß die vorliegenden sachlichen Schwierig¬ keiten oft nur gestreift werden konnten; es gehört ein ziemliches Maß von Selbst¬ beherrschung des Gelehrten dazu, um sich zum Beispiel bei einer Perikope wie der vom Sündenfnll mit den wenigen Zeilen zu begnügen, mit denen Kautzsch dort die Fülle der sich dabei erhebenden Fragen andeutet. Es versteht sich von selbst, daß in diesen Erläuterungen auch die Probleme vor allem mit berück¬ sichtigt worden sind, die in der letzten Zeit die alttestamentliche Wissenschaft beschäftigt haben (man denke an die religionsgeschichtlichen Beziehungen des Alten Testaments zur babylonischen Welt und an die von Siepers begründeten metrischen Untersuchungen der alttestamentlichen Poesie). Dabei ist aber für den Herausgeber beherrschender Grundsatz gewesen, wie in den Übersetzungen so auch in den Erläuterungen dem Leser nicht allerlei geistreiche Vermutungen, sondern nach Möglichkeit nur tatsächliches und zuverlässiges zu bieten; denn das Werk soll ja besonders auch Nichttheologen, die sich über die wissenschaft¬ liche Erklärung des Alten Testaments Aufschluß holen wollen, ein Führer sein, dem sie mit vollem Vertrauen folgen können. Darüber, was Hypothese und was festgestellte Tatsache ist, werden ja natürlich auch die Urteile der einzelnen noch ziemlich auseinandergehn können; aber man wird überall den Eindruck ge¬ winnen, daß in besonnener und klarer Weise zwischen sicherem, Wahrscheinlichen und Möglichen unterschieden wird. Jedenfalls darf man schon jetzt aussprechen, daß das' abgeschlossene Werk eine Musterleistung deutschen Gelehrtenfleißes dar¬ stellen wird, die keiner besondern Empfehlung bedarf: der „neue Kautzsch" wird Grenzboten IV 1909 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/461>, abgerufen am 24.07.2024.