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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Auf der Anßenpraxis eines Missionsarztes in China

davon liegt je ein Zimmerchen für den Katechisten und seine Frau. Das ist
Kirche und Pfarrei! Wir verbeugen uns gegenseitig mit zusammengelegten
Händen (Händedruck gibts hier uicht), und in kleinen flachen (oft sehr unsauber")
Tassen wird uns Tee angeboten, der überall zu jeder Stunde zu haben ist.
Auch die Wasser- oder eine lange Rohrpfeife wird gereicht, was ich aber dankbar
ablehne, um mich ans eigne Instrument und Kraut zu halten.

Der Pfad führt nun von da an statt durch spärlich begrastes Hügelland
durch fruchtbare Strecken, bebaut mit raschelnden Zuckerrohr, mit smaragdgrünem
Reis, mit Süßkartoffeln, Erdnüssen und grünem Gemüse. Über einen nieder"
Paß gelangen wir in ein weites Tal, und nun gehts stundenlang unter den
sengenden Strahlen der Sonne vorwärts auf deu kleinen Böschungen, die überall
die Reisfelder einrahmen und das Wasser zusammenhalten, das für das
Wachstum so nötig ist. Leute, die uns begegnen, haben entweder ihren alt¬
modischen papiernen Sonnenschirm oder einen modernen japanischen Lrckouwas
aufgespannt, oder sie tragen ihre breitrandigen Regenhüte, in der rechten Hand
den unvermeidlichen Fächer, den jedermann vom König herab bis zum Köhler,
vom Reichen bis zum Bettler, vom Bücherleser bis zur Stallmagd graziös zu
handhaben weiß.

Im Schlamm der Reisfelder -- bald schon winkt die zweite Ernte --
waten hochgeschürzt Männer, Frauen und Kinder und drücken mit ihren Füßen
das reichgedüngte breiige Erdreich an jede Reisstaude heran. Dort schwingen
zwei kräftige Leute geschickt einen Eimer auf und ab, um aus einem Sumpfe
Wasser in ihr höher gelegnes Reisfeld zu schöpfen; wesentlich praktischer aber
sind am Flusse die zahlreiche"! Wasserräder, die in hohle" Bambusstangen das
unter aufgeuommne Flußwnsser oben in eine Rinne ausleeren, die es in das Feld
leitet. Hin und wieder steht man kleine Jungen ans den spärlichen Grasplätzen
ihre Herden hüten, die kleinen gelben Kühe und die Wasserkühe; diese verweilen
allerdings noch lieber im Flußbett, wo sie sich stundenlang ins tiefe Wasser
legen, um wiederkäuend ihren grämlichen, dämlichen, weitgehörnten Schädel
besonnen zu lassen.

Diesen Wasserkühen gehn wir Europäer am liebsten aus dem Wege, denn
unsre helle Kleidung und unser Aussehen reizt sie oft zu Angriffen gegen uns,
die leicht gefährlich werden; andre aber wenden sich bei unserm Anblick mit
Abscheu hinweg und suchen das Weite. Nicht viel anders machen es die Chi¬
nesen selbst; der Ehrenname aller Europäer: tan Kra, das heißt fremder Teufel,
ist noch oft zu hören, und noch oft hat man bei Einkehr in einem Gehöfte das
Gefühl, daß man sehr unwillkommen sei, und daß es im Herzen des schönredenden
Chinesen heiße: "Geh hin, wo der Pfeffer wächst; was bringst du mir deine
bösen Geister ins Haus!" Andre starren uns an, wie mau Bestien in der
Menagerie anguckt; wieder andre würdigen uns in ihrem Stolz keines Blickes
oder verletzen absichtlich die Höflichkeit, um uns zu kranken; während sie
zum Beispiel unsern Knecht nach seinem Jean hin"", das heißt seinein hohen


Auf der Anßenpraxis eines Missionsarztes in China

davon liegt je ein Zimmerchen für den Katechisten und seine Frau. Das ist
Kirche und Pfarrei! Wir verbeugen uns gegenseitig mit zusammengelegten
Händen (Händedruck gibts hier uicht), und in kleinen flachen (oft sehr unsauber«)
Tassen wird uns Tee angeboten, der überall zu jeder Stunde zu haben ist.
Auch die Wasser- oder eine lange Rohrpfeife wird gereicht, was ich aber dankbar
ablehne, um mich ans eigne Instrument und Kraut zu halten.

Der Pfad führt nun von da an statt durch spärlich begrastes Hügelland
durch fruchtbare Strecken, bebaut mit raschelnden Zuckerrohr, mit smaragdgrünem
Reis, mit Süßkartoffeln, Erdnüssen und grünem Gemüse. Über einen nieder»
Paß gelangen wir in ein weites Tal, und nun gehts stundenlang unter den
sengenden Strahlen der Sonne vorwärts auf deu kleinen Böschungen, die überall
die Reisfelder einrahmen und das Wasser zusammenhalten, das für das
Wachstum so nötig ist. Leute, die uns begegnen, haben entweder ihren alt¬
modischen papiernen Sonnenschirm oder einen modernen japanischen Lrckouwas
aufgespannt, oder sie tragen ihre breitrandigen Regenhüte, in der rechten Hand
den unvermeidlichen Fächer, den jedermann vom König herab bis zum Köhler,
vom Reichen bis zum Bettler, vom Bücherleser bis zur Stallmagd graziös zu
handhaben weiß.

Im Schlamm der Reisfelder — bald schon winkt die zweite Ernte —
waten hochgeschürzt Männer, Frauen und Kinder und drücken mit ihren Füßen
das reichgedüngte breiige Erdreich an jede Reisstaude heran. Dort schwingen
zwei kräftige Leute geschickt einen Eimer auf und ab, um aus einem Sumpfe
Wasser in ihr höher gelegnes Reisfeld zu schöpfen; wesentlich praktischer aber
sind am Flusse die zahlreiche»! Wasserräder, die in hohle» Bambusstangen das
unter aufgeuommne Flußwnsser oben in eine Rinne ausleeren, die es in das Feld
leitet. Hin und wieder steht man kleine Jungen ans den spärlichen Grasplätzen
ihre Herden hüten, die kleinen gelben Kühe und die Wasserkühe; diese verweilen
allerdings noch lieber im Flußbett, wo sie sich stundenlang ins tiefe Wasser
legen, um wiederkäuend ihren grämlichen, dämlichen, weitgehörnten Schädel
besonnen zu lassen.

Diesen Wasserkühen gehn wir Europäer am liebsten aus dem Wege, denn
unsre helle Kleidung und unser Aussehen reizt sie oft zu Angriffen gegen uns,
die leicht gefährlich werden; andre aber wenden sich bei unserm Anblick mit
Abscheu hinweg und suchen das Weite. Nicht viel anders machen es die Chi¬
nesen selbst; der Ehrenname aller Europäer: tan Kra, das heißt fremder Teufel,
ist noch oft zu hören, und noch oft hat man bei Einkehr in einem Gehöfte das
Gefühl, daß man sehr unwillkommen sei, und daß es im Herzen des schönredenden
Chinesen heiße: „Geh hin, wo der Pfeffer wächst; was bringst du mir deine
bösen Geister ins Haus!" Andre starren uns an, wie mau Bestien in der
Menagerie anguckt; wieder andre würdigen uns in ihrem Stolz keines Blickes
oder verletzen absichtlich die Höflichkeit, um uns zu kranken; während sie
zum Beispiel unsern Knecht nach seinem Jean hin»», das heißt seinein hohen


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[0454] Auf der Anßenpraxis eines Missionsarztes in China davon liegt je ein Zimmerchen für den Katechisten und seine Frau. Das ist Kirche und Pfarrei! Wir verbeugen uns gegenseitig mit zusammengelegten Händen (Händedruck gibts hier uicht), und in kleinen flachen (oft sehr unsauber«) Tassen wird uns Tee angeboten, der überall zu jeder Stunde zu haben ist. Auch die Wasser- oder eine lange Rohrpfeife wird gereicht, was ich aber dankbar ablehne, um mich ans eigne Instrument und Kraut zu halten. Der Pfad führt nun von da an statt durch spärlich begrastes Hügelland durch fruchtbare Strecken, bebaut mit raschelnden Zuckerrohr, mit smaragdgrünem Reis, mit Süßkartoffeln, Erdnüssen und grünem Gemüse. Über einen nieder» Paß gelangen wir in ein weites Tal, und nun gehts stundenlang unter den sengenden Strahlen der Sonne vorwärts auf deu kleinen Böschungen, die überall die Reisfelder einrahmen und das Wasser zusammenhalten, das für das Wachstum so nötig ist. Leute, die uns begegnen, haben entweder ihren alt¬ modischen papiernen Sonnenschirm oder einen modernen japanischen Lrckouwas aufgespannt, oder sie tragen ihre breitrandigen Regenhüte, in der rechten Hand den unvermeidlichen Fächer, den jedermann vom König herab bis zum Köhler, vom Reichen bis zum Bettler, vom Bücherleser bis zur Stallmagd graziös zu handhaben weiß. Im Schlamm der Reisfelder — bald schon winkt die zweite Ernte — waten hochgeschürzt Männer, Frauen und Kinder und drücken mit ihren Füßen das reichgedüngte breiige Erdreich an jede Reisstaude heran. Dort schwingen zwei kräftige Leute geschickt einen Eimer auf und ab, um aus einem Sumpfe Wasser in ihr höher gelegnes Reisfeld zu schöpfen; wesentlich praktischer aber sind am Flusse die zahlreiche»! Wasserräder, die in hohle» Bambusstangen das unter aufgeuommne Flußwnsser oben in eine Rinne ausleeren, die es in das Feld leitet. Hin und wieder steht man kleine Jungen ans den spärlichen Grasplätzen ihre Herden hüten, die kleinen gelben Kühe und die Wasserkühe; diese verweilen allerdings noch lieber im Flußbett, wo sie sich stundenlang ins tiefe Wasser legen, um wiederkäuend ihren grämlichen, dämlichen, weitgehörnten Schädel besonnen zu lassen. Diesen Wasserkühen gehn wir Europäer am liebsten aus dem Wege, denn unsre helle Kleidung und unser Aussehen reizt sie oft zu Angriffen gegen uns, die leicht gefährlich werden; andre aber wenden sich bei unserm Anblick mit Abscheu hinweg und suchen das Weite. Nicht viel anders machen es die Chi¬ nesen selbst; der Ehrenname aller Europäer: tan Kra, das heißt fremder Teufel, ist noch oft zu hören, und noch oft hat man bei Einkehr in einem Gehöfte das Gefühl, daß man sehr unwillkommen sei, und daß es im Herzen des schönredenden Chinesen heiße: „Geh hin, wo der Pfeffer wächst; was bringst du mir deine bösen Geister ins Haus!" Andre starren uns an, wie mau Bestien in der Menagerie anguckt; wieder andre würdigen uns in ihrem Stolz keines Blickes oder verletzen absichtlich die Höflichkeit, um uns zu kranken; während sie zum Beispiel unsern Knecht nach seinem Jean hin»», das heißt seinein hohen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/454>, abgerufen am 24.07.2024.