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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Beamten scheinen vielfach durch ein System hervorgerufen oder begünstigt worden
zu sein, das die Art der Rechnungskontrolle möglichst andern Verwaltungszweigen
anzupassen suchte. Ganz natürlich! der Rechnungshof des Deutschen Reiches stand
ja doch im Hintergrunde, und nach dieser Rücksicht mußte alles eingerichtet werden.
Nun wird wohl mit eisernem Besen gekehrt und die Verwaltung vornehmlich nach
praktischen Rücksichten reformiert werden. Der Anfang dazu ist gemacht worden.
Im übrigen ist von Ereignissen der Woche kaum besondres zu verzeichnen. Mit
Spannung geht man der Reichstagseröffnung entgegen; darauf richtet sich alle
Aufmerksamkeit, und erst dann wird der politische Kampf wieder in voller Stärke
entfesselt werden



Ekstase.

Es ist ein allgemein bekanntes Gesetz, daß jede der polaren Kräfte,
deren Spiel wir das Universum nennen, in dem Maße, wie sie selbst hervortritt,
ihre Gegenkraft hervorruft. Je entschiedner sich unsre Zeit, oberflächlich gesehn,
dem Diesseits zuwendet, je mehr das Leben ein Kampf der wirtschaftlichen Interessen
wird, die Wissenschaft sich die vollkommne Kenntnis und Beherrschung unsers Planeten
zum Ziele setzt, je allgemeiner die Naturphilosophen das Jenseits leugnen, desto
fanatischer werden die Frommen, denen große Volksmassen anhängen, desto üppiger
wuchern die religiösen, die okkultistischen, die buddhistischen Sekten, desto leiden¬
schaftlicher suchen edle Seelen, die aller Reichtum des heute so reichen Diesseits leer
läßt, den so oft schon totgesagten Gott. Diesen Goldsuchern hat Eugen Diederichs
in seinem Verlag einen weiten Sprechsaal eröffnet. In einem seiner Kataloge
schreibt er: "Als Paul Leroux seinen Aufsatz visu dem Herausgeber einer der
bedeutendsten Zeitschriften anbot, antwortete ihm dieser: I^a c^söllen as visu raMHUs
ä'g,sog,1its. Heute ist die religiöse Wille zu einer Stärke angeschwollen, die jedes
Debattieren über ihre Berechtigung überflüssig macht. Es handelt sich vielmehr
darum: soll sie im Sande verlaufen, oder soll sie zu einem fruchtbringenden Naß
für die deutsche Kultur werden?" Der letzte derer, die in diesem Sprechsaal das
Wort genommen haben, ist or. Martin Büder. Er veröffentlicht "Ekstatische
Konfessionen". In zwei tiefsinnigen Einleitungen bekennt er für seine Person,
daß es ihm bei dieser Sammlung nicht um die Erklärung der außerordentlichen
Phänomene zu tun war, daß ihn auch nicht ihre ästhetische Seite interessiert,
sondern allein das Bekenntnis selbst: die Tatsache, daß es Menschen gibt, die mitten
in der Wirrnis und im Fluß der Erscheinungen das Wesen der Dinge erfassen,
die es zu einem wirklichen, vollkommnen Ich bringe", die Einheit dieses Ich, und
damit die der Welt, beides in Gott projizierend, erleben. Das Wesentliche dieser
Erlebnisse, das bei Orientalen und Okzidentalen dasselbe ist (Büder hat von diesen,
namentlich von den Klosterleuten des Abendlandes, eine reichlichere Auswahl auf¬
genommen als von jenen), kennt wohl jeder Leser aus Büchern über indische und
christliche Mystik. Man findet aber bei Büder vieles, was nicht bloß Variation
dieses Einen ist, und was solche lebhaft interessieren wird, denen an der wissen¬
schaftlichen Erklärung der mystischen Erscheinungen mehr liegt als an ihrer religiösen
Bedeutung. Dahin gehören jener Husain al Halladsch, der in Bagdad hingerichtet
wurde, weil er gesagt hatte: ich bin Gott (er meinte es pantheistisch), und der
Neophyt Tewekkul, dem sein Meister Mokka-Schah durch Hypnose Visionen suggeriert.
Ferner interessante Fälle von mystischer Erotik bei Klosterleuten und die, wie es
scheint, evangelische Anna Vetter, deren Visionen von Eheerlebnissen und Schwanger¬
schaften beeinflußt, zum Teil hervorgerufen werden. Außer dieser und Jakob Böhme
werden noch zwei Ekstatische evangelischen Glaubens vorgeführt: Elie Marion, den
seine innern Erlebnisse bewegen, sich den Kamisarden anzuschließen in dem Kriege
gegen den grausamen Protestantenverfolger Ludwig den Vierzehnten; er wurde einer
ihrer Anführer; und der Niederländer Hemme Hayen. Diesem erschließt sich in
der Verzückung der richtige Sinn des Bibelworts und vor allem die Wahrheit,


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Beamten scheinen vielfach durch ein System hervorgerufen oder begünstigt worden
zu sein, das die Art der Rechnungskontrolle möglichst andern Verwaltungszweigen
anzupassen suchte. Ganz natürlich! der Rechnungshof des Deutschen Reiches stand
ja doch im Hintergrunde, und nach dieser Rücksicht mußte alles eingerichtet werden.
Nun wird wohl mit eisernem Besen gekehrt und die Verwaltung vornehmlich nach
praktischen Rücksichten reformiert werden. Der Anfang dazu ist gemacht worden.
Im übrigen ist von Ereignissen der Woche kaum besondres zu verzeichnen. Mit
Spannung geht man der Reichstagseröffnung entgegen; darauf richtet sich alle
Aufmerksamkeit, und erst dann wird der politische Kampf wieder in voller Stärke
entfesselt werden



Ekstase.

Es ist ein allgemein bekanntes Gesetz, daß jede der polaren Kräfte,
deren Spiel wir das Universum nennen, in dem Maße, wie sie selbst hervortritt,
ihre Gegenkraft hervorruft. Je entschiedner sich unsre Zeit, oberflächlich gesehn,
dem Diesseits zuwendet, je mehr das Leben ein Kampf der wirtschaftlichen Interessen
wird, die Wissenschaft sich die vollkommne Kenntnis und Beherrschung unsers Planeten
zum Ziele setzt, je allgemeiner die Naturphilosophen das Jenseits leugnen, desto
fanatischer werden die Frommen, denen große Volksmassen anhängen, desto üppiger
wuchern die religiösen, die okkultistischen, die buddhistischen Sekten, desto leiden¬
schaftlicher suchen edle Seelen, die aller Reichtum des heute so reichen Diesseits leer
läßt, den so oft schon totgesagten Gott. Diesen Goldsuchern hat Eugen Diederichs
in seinem Verlag einen weiten Sprechsaal eröffnet. In einem seiner Kataloge
schreibt er: „Als Paul Leroux seinen Aufsatz visu dem Herausgeber einer der
bedeutendsten Zeitschriften anbot, antwortete ihm dieser: I^a c^söllen as visu raMHUs
ä'g,sog,1its. Heute ist die religiöse Wille zu einer Stärke angeschwollen, die jedes
Debattieren über ihre Berechtigung überflüssig macht. Es handelt sich vielmehr
darum: soll sie im Sande verlaufen, oder soll sie zu einem fruchtbringenden Naß
für die deutsche Kultur werden?" Der letzte derer, die in diesem Sprechsaal das
Wort genommen haben, ist or. Martin Büder. Er veröffentlicht „Ekstatische
Konfessionen". In zwei tiefsinnigen Einleitungen bekennt er für seine Person,
daß es ihm bei dieser Sammlung nicht um die Erklärung der außerordentlichen
Phänomene zu tun war, daß ihn auch nicht ihre ästhetische Seite interessiert,
sondern allein das Bekenntnis selbst: die Tatsache, daß es Menschen gibt, die mitten
in der Wirrnis und im Fluß der Erscheinungen das Wesen der Dinge erfassen,
die es zu einem wirklichen, vollkommnen Ich bringe», die Einheit dieses Ich, und
damit die der Welt, beides in Gott projizierend, erleben. Das Wesentliche dieser
Erlebnisse, das bei Orientalen und Okzidentalen dasselbe ist (Büder hat von diesen,
namentlich von den Klosterleuten des Abendlandes, eine reichlichere Auswahl auf¬
genommen als von jenen), kennt wohl jeder Leser aus Büchern über indische und
christliche Mystik. Man findet aber bei Büder vieles, was nicht bloß Variation
dieses Einen ist, und was solche lebhaft interessieren wird, denen an der wissen¬
schaftlichen Erklärung der mystischen Erscheinungen mehr liegt als an ihrer religiösen
Bedeutung. Dahin gehören jener Husain al Halladsch, der in Bagdad hingerichtet
wurde, weil er gesagt hatte: ich bin Gott (er meinte es pantheistisch), und der
Neophyt Tewekkul, dem sein Meister Mokka-Schah durch Hypnose Visionen suggeriert.
Ferner interessante Fälle von mystischer Erotik bei Klosterleuten und die, wie es
scheint, evangelische Anna Vetter, deren Visionen von Eheerlebnissen und Schwanger¬
schaften beeinflußt, zum Teil hervorgerufen werden. Außer dieser und Jakob Böhme
werden noch zwei Ekstatische evangelischen Glaubens vorgeführt: Elie Marion, den
seine innern Erlebnisse bewegen, sich den Kamisarden anzuschließen in dem Kriege
gegen den grausamen Protestantenverfolger Ludwig den Vierzehnten; er wurde einer
ihrer Anführer; und der Niederländer Hemme Hayen. Diesem erschließt sich in
der Verzückung der richtige Sinn des Bibelworts und vor allem die Wahrheit,


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[0438] Maßgebliches und Unmaßgebliches Beamten scheinen vielfach durch ein System hervorgerufen oder begünstigt worden zu sein, das die Art der Rechnungskontrolle möglichst andern Verwaltungszweigen anzupassen suchte. Ganz natürlich! der Rechnungshof des Deutschen Reiches stand ja doch im Hintergrunde, und nach dieser Rücksicht mußte alles eingerichtet werden. Nun wird wohl mit eisernem Besen gekehrt und die Verwaltung vornehmlich nach praktischen Rücksichten reformiert werden. Der Anfang dazu ist gemacht worden. Im übrigen ist von Ereignissen der Woche kaum besondres zu verzeichnen. Mit Spannung geht man der Reichstagseröffnung entgegen; darauf richtet sich alle Aufmerksamkeit, und erst dann wird der politische Kampf wieder in voller Stärke entfesselt werden Ekstase. Es ist ein allgemein bekanntes Gesetz, daß jede der polaren Kräfte, deren Spiel wir das Universum nennen, in dem Maße, wie sie selbst hervortritt, ihre Gegenkraft hervorruft. Je entschiedner sich unsre Zeit, oberflächlich gesehn, dem Diesseits zuwendet, je mehr das Leben ein Kampf der wirtschaftlichen Interessen wird, die Wissenschaft sich die vollkommne Kenntnis und Beherrschung unsers Planeten zum Ziele setzt, je allgemeiner die Naturphilosophen das Jenseits leugnen, desto fanatischer werden die Frommen, denen große Volksmassen anhängen, desto üppiger wuchern die religiösen, die okkultistischen, die buddhistischen Sekten, desto leiden¬ schaftlicher suchen edle Seelen, die aller Reichtum des heute so reichen Diesseits leer läßt, den so oft schon totgesagten Gott. Diesen Goldsuchern hat Eugen Diederichs in seinem Verlag einen weiten Sprechsaal eröffnet. In einem seiner Kataloge schreibt er: „Als Paul Leroux seinen Aufsatz visu dem Herausgeber einer der bedeutendsten Zeitschriften anbot, antwortete ihm dieser: I^a c^söllen as visu raMHUs ä'g,sog,1its. Heute ist die religiöse Wille zu einer Stärke angeschwollen, die jedes Debattieren über ihre Berechtigung überflüssig macht. Es handelt sich vielmehr darum: soll sie im Sande verlaufen, oder soll sie zu einem fruchtbringenden Naß für die deutsche Kultur werden?" Der letzte derer, die in diesem Sprechsaal das Wort genommen haben, ist or. Martin Büder. Er veröffentlicht „Ekstatische Konfessionen". In zwei tiefsinnigen Einleitungen bekennt er für seine Person, daß es ihm bei dieser Sammlung nicht um die Erklärung der außerordentlichen Phänomene zu tun war, daß ihn auch nicht ihre ästhetische Seite interessiert, sondern allein das Bekenntnis selbst: die Tatsache, daß es Menschen gibt, die mitten in der Wirrnis und im Fluß der Erscheinungen das Wesen der Dinge erfassen, die es zu einem wirklichen, vollkommnen Ich bringe», die Einheit dieses Ich, und damit die der Welt, beides in Gott projizierend, erleben. Das Wesentliche dieser Erlebnisse, das bei Orientalen und Okzidentalen dasselbe ist (Büder hat von diesen, namentlich von den Klosterleuten des Abendlandes, eine reichlichere Auswahl auf¬ genommen als von jenen), kennt wohl jeder Leser aus Büchern über indische und christliche Mystik. Man findet aber bei Büder vieles, was nicht bloß Variation dieses Einen ist, und was solche lebhaft interessieren wird, denen an der wissen¬ schaftlichen Erklärung der mystischen Erscheinungen mehr liegt als an ihrer religiösen Bedeutung. Dahin gehören jener Husain al Halladsch, der in Bagdad hingerichtet wurde, weil er gesagt hatte: ich bin Gott (er meinte es pantheistisch), und der Neophyt Tewekkul, dem sein Meister Mokka-Schah durch Hypnose Visionen suggeriert. Ferner interessante Fälle von mystischer Erotik bei Klosterleuten und die, wie es scheint, evangelische Anna Vetter, deren Visionen von Eheerlebnissen und Schwanger¬ schaften beeinflußt, zum Teil hervorgerufen werden. Außer dieser und Jakob Böhme werden noch zwei Ekstatische evangelischen Glaubens vorgeführt: Elie Marion, den seine innern Erlebnisse bewegen, sich den Kamisarden anzuschließen in dem Kriege gegen den grausamen Protestantenverfolger Ludwig den Vierzehnten; er wurde einer ihrer Anführer; und der Niederländer Hemme Hayen. Diesem erschließt sich in der Verzückung der richtige Sinn des Bibelworts und vor allem die Wahrheit,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/438>, abgerufen am 24.07.2024.