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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Fälscherkünste

Tapisserien und Webstoffe, Waffen, Musikinstrumente und noch tausend andre
Dinge. Jede Stadt, jede Gegend hat auf diesem Gebiet ihre Spezialitäten und
ihre Spezialisten.

Wenn dem wirklich so ist, wird der Laie fragen, wie kommt es dann, daß
man in der Öffentlichkeit eigentlich nie etwas von solchen Betrügereien erfährt?
Die Antwort ist sehr naheliegend. Weil die Geprellten nicht einsehen oder
wenigstens nicht eingestehen wollen, daß sie die Opfer einer Gaunerei geworden
sind, und weil sie sich hüten, Lärm zu schlagen. Sie wissen eben, daß, wer
den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Nur wenn einmal
die Verwaltung eines großen Museums mit einem Falsifikat "hineingelegt"
worden ist, und Leute, die sich mit Recht oder Unrecht für klüger halten als
die Herren Museumsdirektoren, den Fall an die große Glocke hängen, pflegt
die Presse und mit ihr auch das Publikum Notiz davon zu nehmen.

Man wird weiter fragen: wie ist es möglich, daß es unter diesen Um¬
ständen überhaupt noch Sammler gibt? Auch darauf kann man leicht die
Antwort finden. Erstens läßt sich eine wahre und tiefe Leidenschaft weder
durch praktische Erwägungen noch durch üble Erfahrungen ersticken, und
zweitens erhöht die Gefahr, betrogen zu werden, den Reiz des Sammelns.
Natürlich lernt man nur durch die Praxis, und jeder Sammler muß Lehrgeld
zahlen. Dieses Lehrgeld nach Möglichkeit zu verringern ist der Zweck eines
Buches, das vor etwa fünfundzwanzig Jahren in Paris erschien, und von dem
bald darauf auch eine deutsche Bearbeitung auf den Büchermarkt kam, die
jedoch längst vergriffen ist und zu den größten Seltenheiten gehörte. Jetzt
liegt von diesem berühmten Werk eine vollständig umgearbeitete Neuauflage
vor unter dem Titel: Paul Endet, Fälscherkünste. Nach der autorisierten
Bearbeitung von Bruno Bucher neu herausgegeben von Arthur Roeßler
(Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, geh. 5 Mark, geb. 6 Mark, auf echt Bütten in
Ganzlederband 20 Mark).

Das Buch ist ein Beleg für die Behauptung, daß die Fälscher, wenigstens
die erfolgreichen, heutzutage streng wissenschaftlich vorgehn. Sie müssen nicht
nur Autoritäten auf den Gebieten der Kunst- und Kulturgeschichte sein, über
Sprach- und Materialkenntnisse verfügen, sondern auch in die Geheimnisse der
Naturwissenschaften, besonders der Chemie eingedrungen sein, um all die mehr
oder minder merkbaren Veränderungen "nachempfinden" zu können, die Zeit,
Benutzung, atmosphärische Einflüsse, tierische Schädlinge (z. B. Holzwürmer),
Oxydations- und Verwitterungsprozesse, Staub usw. an Kunstwerken hervor¬
bringen^ Zu, welchen Listen die Fabrikanten von "Antiquitäten" ihre Zuflucht
nehmen, ist wirklich erstaunlich, mit nicht geringerm Scharfsinn sind aber auch
die Mittel ersonnen und ausprobiert, mit deren Hilfe der Sammler die Fälschung
als solche erkennen kann. Endet oder wohl richtiger Roeßler, dem der Löwen¬
anteil an dem Werke in seiner jetzigen Fassung zufällt, berichtet bei jeder
einzelnen Kategorie von Objekten nicht nur, wie sie nachgemacht werden, sondern


Fälscherkünste

Tapisserien und Webstoffe, Waffen, Musikinstrumente und noch tausend andre
Dinge. Jede Stadt, jede Gegend hat auf diesem Gebiet ihre Spezialitäten und
ihre Spezialisten.

Wenn dem wirklich so ist, wird der Laie fragen, wie kommt es dann, daß
man in der Öffentlichkeit eigentlich nie etwas von solchen Betrügereien erfährt?
Die Antwort ist sehr naheliegend. Weil die Geprellten nicht einsehen oder
wenigstens nicht eingestehen wollen, daß sie die Opfer einer Gaunerei geworden
sind, und weil sie sich hüten, Lärm zu schlagen. Sie wissen eben, daß, wer
den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Nur wenn einmal
die Verwaltung eines großen Museums mit einem Falsifikat „hineingelegt"
worden ist, und Leute, die sich mit Recht oder Unrecht für klüger halten als
die Herren Museumsdirektoren, den Fall an die große Glocke hängen, pflegt
die Presse und mit ihr auch das Publikum Notiz davon zu nehmen.

Man wird weiter fragen: wie ist es möglich, daß es unter diesen Um¬
ständen überhaupt noch Sammler gibt? Auch darauf kann man leicht die
Antwort finden. Erstens läßt sich eine wahre und tiefe Leidenschaft weder
durch praktische Erwägungen noch durch üble Erfahrungen ersticken, und
zweitens erhöht die Gefahr, betrogen zu werden, den Reiz des Sammelns.
Natürlich lernt man nur durch die Praxis, und jeder Sammler muß Lehrgeld
zahlen. Dieses Lehrgeld nach Möglichkeit zu verringern ist der Zweck eines
Buches, das vor etwa fünfundzwanzig Jahren in Paris erschien, und von dem
bald darauf auch eine deutsche Bearbeitung auf den Büchermarkt kam, die
jedoch längst vergriffen ist und zu den größten Seltenheiten gehörte. Jetzt
liegt von diesem berühmten Werk eine vollständig umgearbeitete Neuauflage
vor unter dem Titel: Paul Endet, Fälscherkünste. Nach der autorisierten
Bearbeitung von Bruno Bucher neu herausgegeben von Arthur Roeßler
(Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, geh. 5 Mark, geb. 6 Mark, auf echt Bütten in
Ganzlederband 20 Mark).

Das Buch ist ein Beleg für die Behauptung, daß die Fälscher, wenigstens
die erfolgreichen, heutzutage streng wissenschaftlich vorgehn. Sie müssen nicht
nur Autoritäten auf den Gebieten der Kunst- und Kulturgeschichte sein, über
Sprach- und Materialkenntnisse verfügen, sondern auch in die Geheimnisse der
Naturwissenschaften, besonders der Chemie eingedrungen sein, um all die mehr
oder minder merkbaren Veränderungen „nachempfinden" zu können, die Zeit,
Benutzung, atmosphärische Einflüsse, tierische Schädlinge (z. B. Holzwürmer),
Oxydations- und Verwitterungsprozesse, Staub usw. an Kunstwerken hervor¬
bringen^ Zu, welchen Listen die Fabrikanten von „Antiquitäten" ihre Zuflucht
nehmen, ist wirklich erstaunlich, mit nicht geringerm Scharfsinn sind aber auch
die Mittel ersonnen und ausprobiert, mit deren Hilfe der Sammler die Fälschung
als solche erkennen kann. Endet oder wohl richtiger Roeßler, dem der Löwen¬
anteil an dem Werke in seiner jetzigen Fassung zufällt, berichtet bei jeder
einzelnen Kategorie von Objekten nicht nur, wie sie nachgemacht werden, sondern


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[0426] Fälscherkünste Tapisserien und Webstoffe, Waffen, Musikinstrumente und noch tausend andre Dinge. Jede Stadt, jede Gegend hat auf diesem Gebiet ihre Spezialitäten und ihre Spezialisten. Wenn dem wirklich so ist, wird der Laie fragen, wie kommt es dann, daß man in der Öffentlichkeit eigentlich nie etwas von solchen Betrügereien erfährt? Die Antwort ist sehr naheliegend. Weil die Geprellten nicht einsehen oder wenigstens nicht eingestehen wollen, daß sie die Opfer einer Gaunerei geworden sind, und weil sie sich hüten, Lärm zu schlagen. Sie wissen eben, daß, wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht. Nur wenn einmal die Verwaltung eines großen Museums mit einem Falsifikat „hineingelegt" worden ist, und Leute, die sich mit Recht oder Unrecht für klüger halten als die Herren Museumsdirektoren, den Fall an die große Glocke hängen, pflegt die Presse und mit ihr auch das Publikum Notiz davon zu nehmen. Man wird weiter fragen: wie ist es möglich, daß es unter diesen Um¬ ständen überhaupt noch Sammler gibt? Auch darauf kann man leicht die Antwort finden. Erstens läßt sich eine wahre und tiefe Leidenschaft weder durch praktische Erwägungen noch durch üble Erfahrungen ersticken, und zweitens erhöht die Gefahr, betrogen zu werden, den Reiz des Sammelns. Natürlich lernt man nur durch die Praxis, und jeder Sammler muß Lehrgeld zahlen. Dieses Lehrgeld nach Möglichkeit zu verringern ist der Zweck eines Buches, das vor etwa fünfundzwanzig Jahren in Paris erschien, und von dem bald darauf auch eine deutsche Bearbeitung auf den Büchermarkt kam, die jedoch längst vergriffen ist und zu den größten Seltenheiten gehörte. Jetzt liegt von diesem berühmten Werk eine vollständig umgearbeitete Neuauflage vor unter dem Titel: Paul Endet, Fälscherkünste. Nach der autorisierten Bearbeitung von Bruno Bucher neu herausgegeben von Arthur Roeßler (Leipzig, Fr. Wilh. Grunow, geh. 5 Mark, geb. 6 Mark, auf echt Bütten in Ganzlederband 20 Mark). Das Buch ist ein Beleg für die Behauptung, daß die Fälscher, wenigstens die erfolgreichen, heutzutage streng wissenschaftlich vorgehn. Sie müssen nicht nur Autoritäten auf den Gebieten der Kunst- und Kulturgeschichte sein, über Sprach- und Materialkenntnisse verfügen, sondern auch in die Geheimnisse der Naturwissenschaften, besonders der Chemie eingedrungen sein, um all die mehr oder minder merkbaren Veränderungen „nachempfinden" zu können, die Zeit, Benutzung, atmosphärische Einflüsse, tierische Schädlinge (z. B. Holzwürmer), Oxydations- und Verwitterungsprozesse, Staub usw. an Kunstwerken hervor¬ bringen^ Zu, welchen Listen die Fabrikanten von „Antiquitäten" ihre Zuflucht nehmen, ist wirklich erstaunlich, mit nicht geringerm Scharfsinn sind aber auch die Mittel ersonnen und ausprobiert, mit deren Hilfe der Sammler die Fälschung als solche erkennen kann. Endet oder wohl richtiger Roeßler, dem der Löwen¬ anteil an dem Werke in seiner jetzigen Fassung zufällt, berichtet bei jeder einzelnen Kategorie von Objekten nicht nur, wie sie nachgemacht werden, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/426>, abgerufen am 24.07.2024.