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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Die Entstehung der Religion

Truhe ist hier der Magen des Fisches) komponiert; "aber diese Bestandteile
sind hier zu einer erbaulichen Legende verwebt, deren moralische Tendenz
im zweiten Teile des merkwürdigen Buches in der dem Propheten erteilten
Mahnung zum Erbarmen noch einmal bekräftigt wird."

Außerdem, füge ich hinzu, wird hier das ciucmnt potentem. eg.tÄ, uoleutsro.
tratiunt, als ein Gesetz des weltgeschichtlichen Geschehens nachgewiesen. Von
der biblischen Schöpfungsgeschichte wird anerkannt, daß sie rein religiös sei.
Sie hat "die ganze mythologische Ausstattung sonstiger Kosmogonien bis auf
die unentbehrlichen Züge, ohne die ein vorstellbares Bild der Weltschöpfung
überhaupt nicht entstehn könnte, abgestreift. Aber sie hat auch auf jenes
spekulative Bemühen verzichtet, in die Tiefe des Weltproblems begrifflich ein¬
zudringen. . . . Wenn man, zweifellos mit Recht, annimmt, der babylonische
Schöpfungsmythus sei den Jsraeliten nicht unbekannt gewesen, so schließt
man das bekanntlich aus andern biblischen Stellen: aus diesem ersten Kapitel
der Genesis würde man es niemals schließen können." Man schließt es aber
auch aus diesem, und man schließt nicht bloß auf Bekanntschaft, sondern auch
auf Entlehnung. In ihrem leidenschaftlichen Bemühen, die Bibel zu ent¬
werten, verirren sich manche Assyriologen ins Hochkomische. Professor P. Imsen
will in seinem Werke "Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur" zeigen,
wie die alt- und die neutestamentlichen Geschichten der babylonischen Mytho¬
logie entlehnt seien, und hat einen Teil dieser Nachweisungen in der Frank¬
furter Zeitung veröffentlicht. Er stellt die Begebenheiten der einen und der
andern Sage nebeneinander und führt Parallelen wie die folgenden beiden
an. "Eabcmi stirbt. Johannes der Täufer stirbt. Gilgamesch führt übers
Meer. Jesu Jünger fahren über den See." Professor Gürtel hat in der¬
selben Zeitung Jensens Methode einer scharfen Kritik unterworfen. Wundt,
der Imsen mehrere Seiten widmet, behandelt ihn weit höflicher und erkennt
seine Verdienste um die Sagenforschung an. Desto vernichtender wirkt seine
Kritik, die, jene geistreichen Parallelen vornehm ignorierend, in dem Satze
kulminiert: "Hier'ist jedes Glied der Konstruktion psychologisch unhaltbar."
Von den alttestamentlichen Sagen im allgemeinen erkennt Wundt an, daß sie
..auf einen minder phantastischen und zugleich erhabneren Ton gestimmt" sind
als die heidnischen, und das, meinen wir Christen, sei eben auf göttliche
Offenbarung zurückzuführen, wenn wir auch unter dieser Offenbarung nur
eine innerliche Einwirkung Gottes auf die Seelen der Propheten und der
biblischen Schriftsteller verstehn, wobei die Anordnung dieser Einwirkungen
ZU einem ein Jahrtausend der Weltgeschichte umfassenden planvollen Ganzen,
einer Entwicklung, die zuletzt durch das im voraus deutlich vorausverkündigte
Ziel gekrönt wird, nicht übersehen werden darf. In der Vergleichung Buddhas
mit Christus wird unter anderm die gewöhnliche Vorstellung vom Nirwana
dahin berichtigt, daß es zwar die Negation alles Werdens und Strebens,
nicht aber die des Seins, vielmehr den Inbegriff des wahren Seins bedeute,


Die Entstehung der Religion

Truhe ist hier der Magen des Fisches) komponiert; „aber diese Bestandteile
sind hier zu einer erbaulichen Legende verwebt, deren moralische Tendenz
im zweiten Teile des merkwürdigen Buches in der dem Propheten erteilten
Mahnung zum Erbarmen noch einmal bekräftigt wird."

Außerdem, füge ich hinzu, wird hier das ciucmnt potentem. eg.tÄ, uoleutsro.
tratiunt, als ein Gesetz des weltgeschichtlichen Geschehens nachgewiesen. Von
der biblischen Schöpfungsgeschichte wird anerkannt, daß sie rein religiös sei.
Sie hat „die ganze mythologische Ausstattung sonstiger Kosmogonien bis auf
die unentbehrlichen Züge, ohne die ein vorstellbares Bild der Weltschöpfung
überhaupt nicht entstehn könnte, abgestreift. Aber sie hat auch auf jenes
spekulative Bemühen verzichtet, in die Tiefe des Weltproblems begrifflich ein¬
zudringen. . . . Wenn man, zweifellos mit Recht, annimmt, der babylonische
Schöpfungsmythus sei den Jsraeliten nicht unbekannt gewesen, so schließt
man das bekanntlich aus andern biblischen Stellen: aus diesem ersten Kapitel
der Genesis würde man es niemals schließen können." Man schließt es aber
auch aus diesem, und man schließt nicht bloß auf Bekanntschaft, sondern auch
auf Entlehnung. In ihrem leidenschaftlichen Bemühen, die Bibel zu ent¬
werten, verirren sich manche Assyriologen ins Hochkomische. Professor P. Imsen
will in seinem Werke „Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur" zeigen,
wie die alt- und die neutestamentlichen Geschichten der babylonischen Mytho¬
logie entlehnt seien, und hat einen Teil dieser Nachweisungen in der Frank¬
furter Zeitung veröffentlicht. Er stellt die Begebenheiten der einen und der
andern Sage nebeneinander und führt Parallelen wie die folgenden beiden
an. „Eabcmi stirbt. Johannes der Täufer stirbt. Gilgamesch führt übers
Meer. Jesu Jünger fahren über den See." Professor Gürtel hat in der¬
selben Zeitung Jensens Methode einer scharfen Kritik unterworfen. Wundt,
der Imsen mehrere Seiten widmet, behandelt ihn weit höflicher und erkennt
seine Verdienste um die Sagenforschung an. Desto vernichtender wirkt seine
Kritik, die, jene geistreichen Parallelen vornehm ignorierend, in dem Satze
kulminiert: „Hier'ist jedes Glied der Konstruktion psychologisch unhaltbar."
Von den alttestamentlichen Sagen im allgemeinen erkennt Wundt an, daß sie
..auf einen minder phantastischen und zugleich erhabneren Ton gestimmt" sind
als die heidnischen, und das, meinen wir Christen, sei eben auf göttliche
Offenbarung zurückzuführen, wenn wir auch unter dieser Offenbarung nur
eine innerliche Einwirkung Gottes auf die Seelen der Propheten und der
biblischen Schriftsteller verstehn, wobei die Anordnung dieser Einwirkungen
ZU einem ein Jahrtausend der Weltgeschichte umfassenden planvollen Ganzen,
einer Entwicklung, die zuletzt durch das im voraus deutlich vorausverkündigte
Ziel gekrönt wird, nicht übersehen werden darf. In der Vergleichung Buddhas
mit Christus wird unter anderm die gewöhnliche Vorstellung vom Nirwana
dahin berichtigt, daß es zwar die Negation alles Werdens und Strebens,
nicht aber die des Seins, vielmehr den Inbegriff des wahren Seins bedeute,


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[0415] Die Entstehung der Religion Truhe ist hier der Magen des Fisches) komponiert; „aber diese Bestandteile sind hier zu einer erbaulichen Legende verwebt, deren moralische Tendenz im zweiten Teile des merkwürdigen Buches in der dem Propheten erteilten Mahnung zum Erbarmen noch einmal bekräftigt wird." Außerdem, füge ich hinzu, wird hier das ciucmnt potentem. eg.tÄ, uoleutsro. tratiunt, als ein Gesetz des weltgeschichtlichen Geschehens nachgewiesen. Von der biblischen Schöpfungsgeschichte wird anerkannt, daß sie rein religiös sei. Sie hat „die ganze mythologische Ausstattung sonstiger Kosmogonien bis auf die unentbehrlichen Züge, ohne die ein vorstellbares Bild der Weltschöpfung überhaupt nicht entstehn könnte, abgestreift. Aber sie hat auch auf jenes spekulative Bemühen verzichtet, in die Tiefe des Weltproblems begrifflich ein¬ zudringen. . . . Wenn man, zweifellos mit Recht, annimmt, der babylonische Schöpfungsmythus sei den Jsraeliten nicht unbekannt gewesen, so schließt man das bekanntlich aus andern biblischen Stellen: aus diesem ersten Kapitel der Genesis würde man es niemals schließen können." Man schließt es aber auch aus diesem, und man schließt nicht bloß auf Bekanntschaft, sondern auch auf Entlehnung. In ihrem leidenschaftlichen Bemühen, die Bibel zu ent¬ werten, verirren sich manche Assyriologen ins Hochkomische. Professor P. Imsen will in seinem Werke „Das Gilgamesch-Epos in der Weltliteratur" zeigen, wie die alt- und die neutestamentlichen Geschichten der babylonischen Mytho¬ logie entlehnt seien, und hat einen Teil dieser Nachweisungen in der Frank¬ furter Zeitung veröffentlicht. Er stellt die Begebenheiten der einen und der andern Sage nebeneinander und führt Parallelen wie die folgenden beiden an. „Eabcmi stirbt. Johannes der Täufer stirbt. Gilgamesch führt übers Meer. Jesu Jünger fahren über den See." Professor Gürtel hat in der¬ selben Zeitung Jensens Methode einer scharfen Kritik unterworfen. Wundt, der Imsen mehrere Seiten widmet, behandelt ihn weit höflicher und erkennt seine Verdienste um die Sagenforschung an. Desto vernichtender wirkt seine Kritik, die, jene geistreichen Parallelen vornehm ignorierend, in dem Satze kulminiert: „Hier'ist jedes Glied der Konstruktion psychologisch unhaltbar." Von den alttestamentlichen Sagen im allgemeinen erkennt Wundt an, daß sie ..auf einen minder phantastischen und zugleich erhabneren Ton gestimmt" sind als die heidnischen, und das, meinen wir Christen, sei eben auf göttliche Offenbarung zurückzuführen, wenn wir auch unter dieser Offenbarung nur eine innerliche Einwirkung Gottes auf die Seelen der Propheten und der biblischen Schriftsteller verstehn, wobei die Anordnung dieser Einwirkungen ZU einem ein Jahrtausend der Weltgeschichte umfassenden planvollen Ganzen, einer Entwicklung, die zuletzt durch das im voraus deutlich vorausverkündigte Ziel gekrönt wird, nicht übersehen werden darf. In der Vergleichung Buddhas mit Christus wird unter anderm die gewöhnliche Vorstellung vom Nirwana dahin berichtigt, daß es zwar die Negation alles Werdens und Strebens, nicht aber die des Seins, vielmehr den Inbegriff des wahren Seins bedeute,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/415>, abgerufen am 24.07.2024.