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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Jugendschriften

in der Zeit nach dem unglücklichen Frieden zu Tilsit, und wir erfahren von
den Heldentaten Schills und seiner Getreuen, ihrem kurzen Ruhm und Sieg
und ihrem traurigen Ende. Fürs Vaterland durch Gefahr, Not und Tod, ist
das Leitmotiv der prächtigen Erzählung.

Es ist nur zu wünschen, daß die Mainzer Volks- und Jugendbücher die
Sherlock-Holmesbücher und Jndicmergeschichten schlechten Genres mit der Zeit
verdrängen. Wie oft erfahren wir aus Gerichtsverhandlungen, daß die ersten
Anregungen für jugendliche Verbrecher aus aufregenden Detektivgeschichten
kamen. Und die Mainzer Volks- und Jugendbücher sind zu solchem Wett¬
streit besonders geeignet, weil sie gerade das haben, was die heranwachsende
Jugend verlangt: spannende, niemals langweilige, rasche Handlung. Um sich
gegen die billige Schundliteratur behaupten zu können, wäre nur zu empfehlen,
wenn von den Bänden noch eine zweite, weniger glänzend ausgestattete Aus¬
gabe gegeben würde, in der zum Beispiel die Bilder verringert oder ganz
weggelassen würden und der Preis von drei auf zwei Mark reduziert würde.
Die Erzählungen haben meist eine geschichtliche oder kulturgeschichtliche Grund¬
lage, deshalb werden sie von Kindern, die durch deu Unterricht die Zeit kennen
gelernt haben, besonders gern gelesen werden, und diese Lektüre wird ihnen
den in der Schule obligatorisch erlernten Stoff erst recht schmackhaft machen
und für die Lebensdauer einprägen.

"Allcrleirauh", Tiergeschichteil für Kinder von O. Verdeck,*) ist ein Buch,
das auf jedem Weihnachtstisch liegen sollte, wo Kinder im Hause sind. Wir
hören da von dem kleinen, frechen Spatz Jochen und von Jgla, dem hübschen
Lamm, das doch ein Schaf wurde, wie jedes andre auch, trotz der Erziehung
der sechs Kinder, die es über alles liebten. Der kluge Hühnerhund Lasso
und der fast noch intelligentere Teckel Hietze werden uns vorgestellt, und über
all diesen Geschichten liegt ein warmer Hauch von Menschlichkeit und Güte,
die sich mit barmherziger Liebe der Kreatur zuneigt. Was aber diese Er¬
zählungen gerade den Kindern so nahe bringt, ist der entzückende Humor, mit
dem sie geschrieben sind, und die ausgezeichneten Bilder von Ch. Votteler, die
in den Text eingestreut sind.

All diesen Büchern ist es Hauptzweck, die Jugend gut zu unterhalten, die
Belehrung geben sie nur als Gastgeschenk mit auf den Weg; anders ist es
mit Franz Lichtenbergers "Allerlei vom Leben der Pflanzen"**), Der Verfasser
will die Kinder ins Freie führen, die Natur soll ihnen vertraut und lieb
werden wie eine Freundin, sie sollen sie achten, verehren und in ihr die un¬
endliche Kraft, das größte aller Wunder kennen lernen.

In Form von Gesprächen nimmt Lichtenberger die kindlichen Gefährten
mit auf seine Spaziergänge und zeigt ihnen die Knospen, die die weise Mutter
Natur für den Winter mit warmen Pelzen bedeckt hat. Er lehrt sie, die
Blumen und Pflanzen bei den richtigen Namen nennen, er sagt ihnen, warum




. -- Hermann und Friedr. SchaMin in Köln.
Fr. Wilh, Grunow, Leipzig, I89K
Jugendschriften

in der Zeit nach dem unglücklichen Frieden zu Tilsit, und wir erfahren von
den Heldentaten Schills und seiner Getreuen, ihrem kurzen Ruhm und Sieg
und ihrem traurigen Ende. Fürs Vaterland durch Gefahr, Not und Tod, ist
das Leitmotiv der prächtigen Erzählung.

Es ist nur zu wünschen, daß die Mainzer Volks- und Jugendbücher die
Sherlock-Holmesbücher und Jndicmergeschichten schlechten Genres mit der Zeit
verdrängen. Wie oft erfahren wir aus Gerichtsverhandlungen, daß die ersten
Anregungen für jugendliche Verbrecher aus aufregenden Detektivgeschichten
kamen. Und die Mainzer Volks- und Jugendbücher sind zu solchem Wett¬
streit besonders geeignet, weil sie gerade das haben, was die heranwachsende
Jugend verlangt: spannende, niemals langweilige, rasche Handlung. Um sich
gegen die billige Schundliteratur behaupten zu können, wäre nur zu empfehlen,
wenn von den Bänden noch eine zweite, weniger glänzend ausgestattete Aus¬
gabe gegeben würde, in der zum Beispiel die Bilder verringert oder ganz
weggelassen würden und der Preis von drei auf zwei Mark reduziert würde.
Die Erzählungen haben meist eine geschichtliche oder kulturgeschichtliche Grund¬
lage, deshalb werden sie von Kindern, die durch deu Unterricht die Zeit kennen
gelernt haben, besonders gern gelesen werden, und diese Lektüre wird ihnen
den in der Schule obligatorisch erlernten Stoff erst recht schmackhaft machen
und für die Lebensdauer einprägen.

„Allcrleirauh", Tiergeschichteil für Kinder von O. Verdeck,*) ist ein Buch,
das auf jedem Weihnachtstisch liegen sollte, wo Kinder im Hause sind. Wir
hören da von dem kleinen, frechen Spatz Jochen und von Jgla, dem hübschen
Lamm, das doch ein Schaf wurde, wie jedes andre auch, trotz der Erziehung
der sechs Kinder, die es über alles liebten. Der kluge Hühnerhund Lasso
und der fast noch intelligentere Teckel Hietze werden uns vorgestellt, und über
all diesen Geschichten liegt ein warmer Hauch von Menschlichkeit und Güte,
die sich mit barmherziger Liebe der Kreatur zuneigt. Was aber diese Er¬
zählungen gerade den Kindern so nahe bringt, ist der entzückende Humor, mit
dem sie geschrieben sind, und die ausgezeichneten Bilder von Ch. Votteler, die
in den Text eingestreut sind.

All diesen Büchern ist es Hauptzweck, die Jugend gut zu unterhalten, die
Belehrung geben sie nur als Gastgeschenk mit auf den Weg; anders ist es
mit Franz Lichtenbergers „Allerlei vom Leben der Pflanzen"**), Der Verfasser
will die Kinder ins Freie führen, die Natur soll ihnen vertraut und lieb
werden wie eine Freundin, sie sollen sie achten, verehren und in ihr die un¬
endliche Kraft, das größte aller Wunder kennen lernen.

In Form von Gesprächen nimmt Lichtenberger die kindlichen Gefährten
mit auf seine Spaziergänge und zeigt ihnen die Knospen, die die weise Mutter
Natur für den Winter mit warmen Pelzen bedeckt hat. Er lehrt sie, die
Blumen und Pflanzen bei den richtigen Namen nennen, er sagt ihnen, warum




. — Hermann und Friedr. SchaMin in Köln.
Fr. Wilh, Grunow, Leipzig, I89K
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[0370] Jugendschriften in der Zeit nach dem unglücklichen Frieden zu Tilsit, und wir erfahren von den Heldentaten Schills und seiner Getreuen, ihrem kurzen Ruhm und Sieg und ihrem traurigen Ende. Fürs Vaterland durch Gefahr, Not und Tod, ist das Leitmotiv der prächtigen Erzählung. Es ist nur zu wünschen, daß die Mainzer Volks- und Jugendbücher die Sherlock-Holmesbücher und Jndicmergeschichten schlechten Genres mit der Zeit verdrängen. Wie oft erfahren wir aus Gerichtsverhandlungen, daß die ersten Anregungen für jugendliche Verbrecher aus aufregenden Detektivgeschichten kamen. Und die Mainzer Volks- und Jugendbücher sind zu solchem Wett¬ streit besonders geeignet, weil sie gerade das haben, was die heranwachsende Jugend verlangt: spannende, niemals langweilige, rasche Handlung. Um sich gegen die billige Schundliteratur behaupten zu können, wäre nur zu empfehlen, wenn von den Bänden noch eine zweite, weniger glänzend ausgestattete Aus¬ gabe gegeben würde, in der zum Beispiel die Bilder verringert oder ganz weggelassen würden und der Preis von drei auf zwei Mark reduziert würde. Die Erzählungen haben meist eine geschichtliche oder kulturgeschichtliche Grund¬ lage, deshalb werden sie von Kindern, die durch deu Unterricht die Zeit kennen gelernt haben, besonders gern gelesen werden, und diese Lektüre wird ihnen den in der Schule obligatorisch erlernten Stoff erst recht schmackhaft machen und für die Lebensdauer einprägen. „Allcrleirauh", Tiergeschichteil für Kinder von O. Verdeck,*) ist ein Buch, das auf jedem Weihnachtstisch liegen sollte, wo Kinder im Hause sind. Wir hören da von dem kleinen, frechen Spatz Jochen und von Jgla, dem hübschen Lamm, das doch ein Schaf wurde, wie jedes andre auch, trotz der Erziehung der sechs Kinder, die es über alles liebten. Der kluge Hühnerhund Lasso und der fast noch intelligentere Teckel Hietze werden uns vorgestellt, und über all diesen Geschichten liegt ein warmer Hauch von Menschlichkeit und Güte, die sich mit barmherziger Liebe der Kreatur zuneigt. Was aber diese Er¬ zählungen gerade den Kindern so nahe bringt, ist der entzückende Humor, mit dem sie geschrieben sind, und die ausgezeichneten Bilder von Ch. Votteler, die in den Text eingestreut sind. All diesen Büchern ist es Hauptzweck, die Jugend gut zu unterhalten, die Belehrung geben sie nur als Gastgeschenk mit auf den Weg; anders ist es mit Franz Lichtenbergers „Allerlei vom Leben der Pflanzen"**), Der Verfasser will die Kinder ins Freie führen, die Natur soll ihnen vertraut und lieb werden wie eine Freundin, sie sollen sie achten, verehren und in ihr die un¬ endliche Kraft, das größte aller Wunder kennen lernen. In Form von Gesprächen nimmt Lichtenberger die kindlichen Gefährten mit auf seine Spaziergänge und zeigt ihnen die Knospen, die die weise Mutter Natur für den Winter mit warmen Pelzen bedeckt hat. Er lehrt sie, die Blumen und Pflanzen bei den richtigen Namen nennen, er sagt ihnen, warum . — Hermann und Friedr. SchaMin in Köln. Fr. Wilh, Grunow, Leipzig, I89K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/370>, abgerufen am 24.07.2024.