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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Line Lapxlandfahrt zur Winterszeit

könnte, denn ich sah einmal frühmorgens eine junge Frau sich Gesicht und
Hände mit Seife waschen und bemerkte auch sonst ganz saubere Hände; aber
die Alten beiderlei Geschlechts schienen Körperpflege für weltliche Eitelkeit zu
halten, die man der leichtfertigen Jugend überlassen müsse. Auch der Hausrat
war trotz der umherschweifenden Lebensweise nicht mehr auf der niedrigsten
Stufe, denn jede Familie hatte Steinguttassen sowie Zuckerdose und -zange,
die mir auf neusilbernem Tablett gereicht wurden. Daneben bleibt aber der
Wassereimer aus Rinde, mit Birkenteer gedichtet, im Gebrauche, was dem
Wasser stets einen Beigeschmack gibt.

Da ich von der Absicht hatte verlauten lassen, Kleider, Geräte, Schmuck usw.
einzukaufen, sorgte Freund Suonni für reichliches Angebot, das nach und nach
die meisten Stammesgenossen ins Zelt lockte. Es war ein seltsam wilder
Anblick und ein ganz neues Gefühl für mich, als ich unter diesen in Pelze
gehüllten, bei aller Harmlosigkeit doch barbarisch aussehenden Menschen saß
und nach Dunkelwerden die Flammen des aufgeschürten Feuers flackernde
Lichtblitze auf die mich umgebenden Gestalten warfen. Mit dem gegenseitigen
Vertrauterwerden konnte ich allmählich eine ganze ethnographische Sammlung
erwerben, so eine Männer- und Frauenkleidung für Winter und Sommer nebst
den zugehörigen Gürteln, deren festtägliche Garnitur das schönere Geschlecht
mit silbernen Knöpfen aus vollwichtigen Kronenstücken besetzt; daran hängen
große und kleine selbstgefertigte Messer in hübsch geschnitzter Scheide aus Ge¬
weih sowie das in ebensolcher Hülse geborgne Nähzeug der Frauen, die zum
Nähen der Pelzröcke neben starkem Hanfgarn immer noch die Rückensehnen
des Reus, ihres Allerweltsliefercmten, verwenden. Daher sieht man so oft die
Frauen beschäftigt, diese unzerreißbaren Fäden durch Rollen auf ihren Backen¬
knochen zu glätten -- eine Art des Zwirnens, die auf das Rot der Wangen
vielleicht nicht ohne Einfluß ist.

Beim Kleiderhandel ging es übrigens infolge beiderseitiger Sprachschwäche
nicht ohne ein drolliges Mißverständnis ab. Im Zweifel, wie die Sommer¬
tunika einer lappländischen Schönen getragen wird, suchte ich durch Zeichen
die Verkäuferin, eine junge Frau, zum probeweisen Anlegen des blauen, mit
bunten Bändern verbrämten Tuchgewandes zu veranlassen, was natürlich über
der Fellkleidung geschehen sollte. Meine Geschäftsfreundin verstand aber, daß
sie es in der üblichen Weise, nämlich auf die bloße Haut anlegen sollte, und
lehnte entschieden ab, während mir Suonni mit freundlichem Ernste erklärte,
daß dergleichen Entkleidungsszenen wohl auf den Varietebühnen europäischer
Großstädte, aber keinesfalls im sittenstrengen Lappland zulässig seien! Ich
fürchte, daß meine Aufklärungsversuche nicht verstanden worden sind, und ich
noch heute in Sävojärvi für einen lockern Vogel gehalten werde. Vielleicht
möchte der Leser wissen, auf welcher Preislage sich dieser Kuriositätenhandel
bewegte? Nun, als Praktiker im Einhandeln von Ethnographicis suchte ich
von den Leutchen gleich die Sachen zu bekommen, die sie an sich trugen und


Line Lapxlandfahrt zur Winterszeit

könnte, denn ich sah einmal frühmorgens eine junge Frau sich Gesicht und
Hände mit Seife waschen und bemerkte auch sonst ganz saubere Hände; aber
die Alten beiderlei Geschlechts schienen Körperpflege für weltliche Eitelkeit zu
halten, die man der leichtfertigen Jugend überlassen müsse. Auch der Hausrat
war trotz der umherschweifenden Lebensweise nicht mehr auf der niedrigsten
Stufe, denn jede Familie hatte Steinguttassen sowie Zuckerdose und -zange,
die mir auf neusilbernem Tablett gereicht wurden. Daneben bleibt aber der
Wassereimer aus Rinde, mit Birkenteer gedichtet, im Gebrauche, was dem
Wasser stets einen Beigeschmack gibt.

Da ich von der Absicht hatte verlauten lassen, Kleider, Geräte, Schmuck usw.
einzukaufen, sorgte Freund Suonni für reichliches Angebot, das nach und nach
die meisten Stammesgenossen ins Zelt lockte. Es war ein seltsam wilder
Anblick und ein ganz neues Gefühl für mich, als ich unter diesen in Pelze
gehüllten, bei aller Harmlosigkeit doch barbarisch aussehenden Menschen saß
und nach Dunkelwerden die Flammen des aufgeschürten Feuers flackernde
Lichtblitze auf die mich umgebenden Gestalten warfen. Mit dem gegenseitigen
Vertrauterwerden konnte ich allmählich eine ganze ethnographische Sammlung
erwerben, so eine Männer- und Frauenkleidung für Winter und Sommer nebst
den zugehörigen Gürteln, deren festtägliche Garnitur das schönere Geschlecht
mit silbernen Knöpfen aus vollwichtigen Kronenstücken besetzt; daran hängen
große und kleine selbstgefertigte Messer in hübsch geschnitzter Scheide aus Ge¬
weih sowie das in ebensolcher Hülse geborgne Nähzeug der Frauen, die zum
Nähen der Pelzröcke neben starkem Hanfgarn immer noch die Rückensehnen
des Reus, ihres Allerweltsliefercmten, verwenden. Daher sieht man so oft die
Frauen beschäftigt, diese unzerreißbaren Fäden durch Rollen auf ihren Backen¬
knochen zu glätten — eine Art des Zwirnens, die auf das Rot der Wangen
vielleicht nicht ohne Einfluß ist.

Beim Kleiderhandel ging es übrigens infolge beiderseitiger Sprachschwäche
nicht ohne ein drolliges Mißverständnis ab. Im Zweifel, wie die Sommer¬
tunika einer lappländischen Schönen getragen wird, suchte ich durch Zeichen
die Verkäuferin, eine junge Frau, zum probeweisen Anlegen des blauen, mit
bunten Bändern verbrämten Tuchgewandes zu veranlassen, was natürlich über
der Fellkleidung geschehen sollte. Meine Geschäftsfreundin verstand aber, daß
sie es in der üblichen Weise, nämlich auf die bloße Haut anlegen sollte, und
lehnte entschieden ab, während mir Suonni mit freundlichem Ernste erklärte,
daß dergleichen Entkleidungsszenen wohl auf den Varietebühnen europäischer
Großstädte, aber keinesfalls im sittenstrengen Lappland zulässig seien! Ich
fürchte, daß meine Aufklärungsversuche nicht verstanden worden sind, und ich
noch heute in Sävojärvi für einen lockern Vogel gehalten werde. Vielleicht
möchte der Leser wissen, auf welcher Preislage sich dieser Kuriositätenhandel
bewegte? Nun, als Praktiker im Einhandeln von Ethnographicis suchte ich
von den Leutchen gleich die Sachen zu bekommen, die sie an sich trugen und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/37>, abgerufen am 24.07.2024.