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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Jugendschriften

der Hand, wieviel gegen diese Ansicht einzuwenden ist, besonders da zwischen
einem Kinde von vier Jahren und einem von vierzehn Jahren doch zu
große Unterschiede bestehn, als daß einfach nur von einem Kinde die Rede
sein könnte. > ^ ^" - / / ^.^ ^ ^./^ ^.^

Eine andre Richtung verlangt einzig und allein, daß jedes Buch, das
Kinder in die Hand bekommen, nach streng künstlerischen Prinzipien gestaltet
sei. Dieser wird von einer dritten widersprochen, die da sagt: Hoher Kunst¬
wert schließt nur zu oft Kindertümlichkeit, aus. Die einen verlangen eine
pädagogische, ethische oder ästhetische Tendenz, andre verwerfen jede in die
Augen fallende Moral und meinen: Das Kunstwerk ist Selbstzweck genug
und wirkt belehrend und ermunternd ohne jeden Hinweis auf das Gute.
Gerade dieser Streit unter den Parteien hat unsre Jugendliteratur so reich
gemacht. Wer sich überhaupt Zeit und Mühe gibt, die Erziehung seiner
Kinder zu leiten, der achtet heute ebensosehr auf die Bücher, die sein Kind
liest, als auf die Freunde, mit denen es umgeht. Auch den Eltern, denen
dje Arbeit nicht die nötige Zeit läßt, die Lektüre ihrer Kinder zu lesen und
zu prüfen, ist durch die Bücherkisten, die von erfahrnen Pädagogen heraus¬
gegeben werden, ein Mittel geboten, ihren Kindern nichts Unrichtiges oder
Schlechtes zu überlassen.

> Der Katalog von Georg Ellendt für Schülerbibliotheken ^) ist ein solcher
nicht genug zu empfehlender Berater. Dem Verfasser, dem jüngst verstorbnen
Direktor des Fridcricianums in Königsberg in Preußen, gelingt es durch seine
reiche Erfahrung und sein feines Verständnis der Kindesnatur einerseits und
der deutscheu und fremdländischen Literatur andrerseits, uns einen schlechthin
mustergiltigen Katalog zu geben. Auch verschiedne Lehrervereiniguugen, wie
zum Beispiel die in Hamburg, Breslau, Dresden, Berlin und Leipzig, stellen
alljährlich Listen empfehlenswerter Bücher zusammen. Die hamburgische
Lehrervereinigung ist besonders bemüht, den Gedanken: gute Kinderbücher zu
billigen Preisen, ins Praktische umzusetzen. Dabei verfolgt sie mehr oder
minder das Prinzip, nur solche Bücher aufzuführen, die von einer christlichen
oder auch nur allgemein religiösen Tendenz absehen. Dieses mag auch der
Grund dafür sein, daß sie die Erzählungen von Elise Averdieck**) übergeht.
Eine bedauernswerte Tatsache, da die schlichten, tiefeMpfundnen Geschichten
jedem Kinde, ja jedem Erwachsnen zu Herzen gehen. Besonders aber einem
Hamburger Kinde, weil sich die Geschichte seiner Vaterstadt: die Über¬
schwemmungen, der große Brand, der Krieg 1870/71 mit den Schicksalen der
handelnden Personen aufs engste verflicht. Die innerliche, ernste, doch niemals
sich aufdrängende Religiosität der greisen Dichterin sollte ein Anlaß mehr sein,
ihre vortrefflichen Bücher zu empfehlen. An den Verleger- wäre aber die




") Halle a. S,, Buchhandlung des Waisenhauses.
''''
"*) Leipzig. R. Ktttlers Verlag. (Kinderleben. 4 Heile.) ? --'
Jugendschriften

der Hand, wieviel gegen diese Ansicht einzuwenden ist, besonders da zwischen
einem Kinde von vier Jahren und einem von vierzehn Jahren doch zu
große Unterschiede bestehn, als daß einfach nur von einem Kinde die Rede
sein könnte. > ^ ^" - / / ^.^ ^ ^./^ ^.^

Eine andre Richtung verlangt einzig und allein, daß jedes Buch, das
Kinder in die Hand bekommen, nach streng künstlerischen Prinzipien gestaltet
sei. Dieser wird von einer dritten widersprochen, die da sagt: Hoher Kunst¬
wert schließt nur zu oft Kindertümlichkeit, aus. Die einen verlangen eine
pädagogische, ethische oder ästhetische Tendenz, andre verwerfen jede in die
Augen fallende Moral und meinen: Das Kunstwerk ist Selbstzweck genug
und wirkt belehrend und ermunternd ohne jeden Hinweis auf das Gute.
Gerade dieser Streit unter den Parteien hat unsre Jugendliteratur so reich
gemacht. Wer sich überhaupt Zeit und Mühe gibt, die Erziehung seiner
Kinder zu leiten, der achtet heute ebensosehr auf die Bücher, die sein Kind
liest, als auf die Freunde, mit denen es umgeht. Auch den Eltern, denen
dje Arbeit nicht die nötige Zeit läßt, die Lektüre ihrer Kinder zu lesen und
zu prüfen, ist durch die Bücherkisten, die von erfahrnen Pädagogen heraus¬
gegeben werden, ein Mittel geboten, ihren Kindern nichts Unrichtiges oder
Schlechtes zu überlassen.

> Der Katalog von Georg Ellendt für Schülerbibliotheken ^) ist ein solcher
nicht genug zu empfehlender Berater. Dem Verfasser, dem jüngst verstorbnen
Direktor des Fridcricianums in Königsberg in Preußen, gelingt es durch seine
reiche Erfahrung und sein feines Verständnis der Kindesnatur einerseits und
der deutscheu und fremdländischen Literatur andrerseits, uns einen schlechthin
mustergiltigen Katalog zu geben. Auch verschiedne Lehrervereiniguugen, wie
zum Beispiel die in Hamburg, Breslau, Dresden, Berlin und Leipzig, stellen
alljährlich Listen empfehlenswerter Bücher zusammen. Die hamburgische
Lehrervereinigung ist besonders bemüht, den Gedanken: gute Kinderbücher zu
billigen Preisen, ins Praktische umzusetzen. Dabei verfolgt sie mehr oder
minder das Prinzip, nur solche Bücher aufzuführen, die von einer christlichen
oder auch nur allgemein religiösen Tendenz absehen. Dieses mag auch der
Grund dafür sein, daß sie die Erzählungen von Elise Averdieck**) übergeht.
Eine bedauernswerte Tatsache, da die schlichten, tiefeMpfundnen Geschichten
jedem Kinde, ja jedem Erwachsnen zu Herzen gehen. Besonders aber einem
Hamburger Kinde, weil sich die Geschichte seiner Vaterstadt: die Über¬
schwemmungen, der große Brand, der Krieg 1870/71 mit den Schicksalen der
handelnden Personen aufs engste verflicht. Die innerliche, ernste, doch niemals
sich aufdrängende Religiosität der greisen Dichterin sollte ein Anlaß mehr sein,
ihre vortrefflichen Bücher zu empfehlen. An den Verleger- wäre aber die




") Halle a. S,, Buchhandlung des Waisenhauses.
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"*) Leipzig. R. Ktttlers Verlag. (Kinderleben. 4 Heile.) ? --'
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[0368] Jugendschriften der Hand, wieviel gegen diese Ansicht einzuwenden ist, besonders da zwischen einem Kinde von vier Jahren und einem von vierzehn Jahren doch zu große Unterschiede bestehn, als daß einfach nur von einem Kinde die Rede sein könnte. > ^ ^" - / / ^.^ ^ ^./^ ^.^ Eine andre Richtung verlangt einzig und allein, daß jedes Buch, das Kinder in die Hand bekommen, nach streng künstlerischen Prinzipien gestaltet sei. Dieser wird von einer dritten widersprochen, die da sagt: Hoher Kunst¬ wert schließt nur zu oft Kindertümlichkeit, aus. Die einen verlangen eine pädagogische, ethische oder ästhetische Tendenz, andre verwerfen jede in die Augen fallende Moral und meinen: Das Kunstwerk ist Selbstzweck genug und wirkt belehrend und ermunternd ohne jeden Hinweis auf das Gute. Gerade dieser Streit unter den Parteien hat unsre Jugendliteratur so reich gemacht. Wer sich überhaupt Zeit und Mühe gibt, die Erziehung seiner Kinder zu leiten, der achtet heute ebensosehr auf die Bücher, die sein Kind liest, als auf die Freunde, mit denen es umgeht. Auch den Eltern, denen dje Arbeit nicht die nötige Zeit läßt, die Lektüre ihrer Kinder zu lesen und zu prüfen, ist durch die Bücherkisten, die von erfahrnen Pädagogen heraus¬ gegeben werden, ein Mittel geboten, ihren Kindern nichts Unrichtiges oder Schlechtes zu überlassen. > Der Katalog von Georg Ellendt für Schülerbibliotheken ^) ist ein solcher nicht genug zu empfehlender Berater. Dem Verfasser, dem jüngst verstorbnen Direktor des Fridcricianums in Königsberg in Preußen, gelingt es durch seine reiche Erfahrung und sein feines Verständnis der Kindesnatur einerseits und der deutscheu und fremdländischen Literatur andrerseits, uns einen schlechthin mustergiltigen Katalog zu geben. Auch verschiedne Lehrervereiniguugen, wie zum Beispiel die in Hamburg, Breslau, Dresden, Berlin und Leipzig, stellen alljährlich Listen empfehlenswerter Bücher zusammen. Die hamburgische Lehrervereinigung ist besonders bemüht, den Gedanken: gute Kinderbücher zu billigen Preisen, ins Praktische umzusetzen. Dabei verfolgt sie mehr oder minder das Prinzip, nur solche Bücher aufzuführen, die von einer christlichen oder auch nur allgemein religiösen Tendenz absehen. Dieses mag auch der Grund dafür sein, daß sie die Erzählungen von Elise Averdieck**) übergeht. Eine bedauernswerte Tatsache, da die schlichten, tiefeMpfundnen Geschichten jedem Kinde, ja jedem Erwachsnen zu Herzen gehen. Besonders aber einem Hamburger Kinde, weil sich die Geschichte seiner Vaterstadt: die Über¬ schwemmungen, der große Brand, der Krieg 1870/71 mit den Schicksalen der handelnden Personen aufs engste verflicht. Die innerliche, ernste, doch niemals sich aufdrängende Religiosität der greisen Dichterin sollte ein Anlaß mehr sein, ihre vortrefflichen Bücher zu empfehlen. An den Verleger- wäre aber die ") Halle a. S,, Buchhandlung des Waisenhauses. '''' "*) Leipzig. R. Ktttlers Verlag. (Kinderleben. 4 Heile.) ? --'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/368>, abgerufen am 24.07.2024.