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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Das deutsche Dorf

Schluß Gedichte über den Wechsel des Jahres ausgewählt hat. Wir finden
in der Bothmerschen Sammlung manches alte bekannte Lied und treffen auf
viele ältere und neuere Dichter, die in der Literaturgeschichte schon einen Namen
haben; aber auch weniger genannte sind zu Worte gekommen, so Berthold
Sigismund mit einem rührenden Gedicht:

Am Sarge eines Tagelöhners
Du altes, ehrliches Gesicht,
Da liegst du nun und kennst mich nicht;
Du fallest deine rauhen Hände
Zur süßen Ruhe ohne Ende. Behaglich, wie -- Gott wirds verzeihn
Du in der Kirche schliefest ein,
Trotz deines Straußes, der den Alten
Zur Predigt sollte munter halten. Behaglich, Alter, liegest du.
Wie bei der kurzen Ernteruh,
Wenn hinter einem Garbenhaufen
Du dich gelagert, zu verschnaufen. Du, treuer Knecht im Weinberg, hast
Getragen saurer Jahre Last,
Getagelohnt dein ganzes Leben:
Nun wird zum Lohn dir Ruh gegeben. Einen Rosenstrauß ich für dich band,
Den will ich dir in deine Hand
Mit aller Vorsicht heimlich stecken,
Um dich nicht aus der Ruh zu wecken. Behaglich, wie am Nachmittag
Des Sonntags du am grünen Hag
Verspottetest die jungen Leute,
Die statt der Ruh der Tanz erfreute.

In ganz ähnlicher Weise hat Conrad Ferdinand Meyer den Tod eines
Tagelöhners besungen mit dem Schlußverse:

In dem Abschnitte über das Dorf und das dörfliche Leben treten das
Vaterhaus, die Kirche und der Dorfkirchhof sowie die Ernte- und Schäfer¬
lieder besonders in den Vordergrund; sie bilden den Grundton und sind der
Mittelpunkt des Dorflebens in alter Zeit:


(Adolf Stöber.)

Hier hat auch das Kartoffellied von
gefunden, das mit der Strophe beginnt:Matthias Claudius einen Platz

Schön rötlich die Kartoffeln sind
Und weiß wie Alabaster!
Sie dann sich lieblich und geschwind
Und sind für Mann und Frau und Kind
Ein rechtes Magenpflaster.
Pasteten hin. Pasteten her,
Was kümmern uns Pasteten?
Die Kumme hier ist auch nicht leer
Und schmeckt so gut wie aus dem Meer
Die Austern und Lampreten.

Der jüngst verstorbne Detlev von Liliencron weiß auch für das Land¬
leben warme Töne anzuschlagen und gleichsam mit seiner Vorliebe für die


Das deutsche Dorf

Schluß Gedichte über den Wechsel des Jahres ausgewählt hat. Wir finden
in der Bothmerschen Sammlung manches alte bekannte Lied und treffen auf
viele ältere und neuere Dichter, die in der Literaturgeschichte schon einen Namen
haben; aber auch weniger genannte sind zu Worte gekommen, so Berthold
Sigismund mit einem rührenden Gedicht:

Am Sarge eines Tagelöhners
Du altes, ehrliches Gesicht,
Da liegst du nun und kennst mich nicht;
Du fallest deine rauhen Hände
Zur süßen Ruhe ohne Ende. Behaglich, wie — Gott wirds verzeihn
Du in der Kirche schliefest ein,
Trotz deines Straußes, der den Alten
Zur Predigt sollte munter halten. Behaglich, Alter, liegest du.
Wie bei der kurzen Ernteruh,
Wenn hinter einem Garbenhaufen
Du dich gelagert, zu verschnaufen. Du, treuer Knecht im Weinberg, hast
Getragen saurer Jahre Last,
Getagelohnt dein ganzes Leben:
Nun wird zum Lohn dir Ruh gegeben. Einen Rosenstrauß ich für dich band,
Den will ich dir in deine Hand
Mit aller Vorsicht heimlich stecken,
Um dich nicht aus der Ruh zu wecken. Behaglich, wie am Nachmittag
Des Sonntags du am grünen Hag
Verspottetest die jungen Leute,
Die statt der Ruh der Tanz erfreute.

In ganz ähnlicher Weise hat Conrad Ferdinand Meyer den Tod eines
Tagelöhners besungen mit dem Schlußverse:

In dem Abschnitte über das Dorf und das dörfliche Leben treten das
Vaterhaus, die Kirche und der Dorfkirchhof sowie die Ernte- und Schäfer¬
lieder besonders in den Vordergrund; sie bilden den Grundton und sind der
Mittelpunkt des Dorflebens in alter Zeit:


(Adolf Stöber.)

Hier hat auch das Kartoffellied von
gefunden, das mit der Strophe beginnt:Matthias Claudius einen Platz

Schön rötlich die Kartoffeln sind
Und weiß wie Alabaster!
Sie dann sich lieblich und geschwind
Und sind für Mann und Frau und Kind
Ein rechtes Magenpflaster.
Pasteten hin. Pasteten her,
Was kümmern uns Pasteten?
Die Kumme hier ist auch nicht leer
Und schmeckt so gut wie aus dem Meer
Die Austern und Lampreten.

Der jüngst verstorbne Detlev von Liliencron weiß auch für das Land¬
leben warme Töne anzuschlagen und gleichsam mit seiner Vorliebe für die


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[0366] Das deutsche Dorf Schluß Gedichte über den Wechsel des Jahres ausgewählt hat. Wir finden in der Bothmerschen Sammlung manches alte bekannte Lied und treffen auf viele ältere und neuere Dichter, die in der Literaturgeschichte schon einen Namen haben; aber auch weniger genannte sind zu Worte gekommen, so Berthold Sigismund mit einem rührenden Gedicht: Am Sarge eines Tagelöhners Du altes, ehrliches Gesicht, Da liegst du nun und kennst mich nicht; Du fallest deine rauhen Hände Zur süßen Ruhe ohne Ende. Behaglich, wie — Gott wirds verzeihn Du in der Kirche schliefest ein, Trotz deines Straußes, der den Alten Zur Predigt sollte munter halten. Behaglich, Alter, liegest du. Wie bei der kurzen Ernteruh, Wenn hinter einem Garbenhaufen Du dich gelagert, zu verschnaufen. Du, treuer Knecht im Weinberg, hast Getragen saurer Jahre Last, Getagelohnt dein ganzes Leben: Nun wird zum Lohn dir Ruh gegeben. Einen Rosenstrauß ich für dich band, Den will ich dir in deine Hand Mit aller Vorsicht heimlich stecken, Um dich nicht aus der Ruh zu wecken. Behaglich, wie am Nachmittag Des Sonntags du am grünen Hag Verspottetest die jungen Leute, Die statt der Ruh der Tanz erfreute. In ganz ähnlicher Weise hat Conrad Ferdinand Meyer den Tod eines Tagelöhners besungen mit dem Schlußverse: In dem Abschnitte über das Dorf und das dörfliche Leben treten das Vaterhaus, die Kirche und der Dorfkirchhof sowie die Ernte- und Schäfer¬ lieder besonders in den Vordergrund; sie bilden den Grundton und sind der Mittelpunkt des Dorflebens in alter Zeit: (Adolf Stöber.) Hier hat auch das Kartoffellied von gefunden, das mit der Strophe beginnt:Matthias Claudius einen Platz Schön rötlich die Kartoffeln sind Und weiß wie Alabaster! Sie dann sich lieblich und geschwind Und sind für Mann und Frau und Kind Ein rechtes Magenpflaster. Pasteten hin. Pasteten her, Was kümmern uns Pasteten? Die Kumme hier ist auch nicht leer Und schmeckt so gut wie aus dem Meer Die Austern und Lampreten. Der jüngst verstorbne Detlev von Liliencron weiß auch für das Land¬ leben warme Töne anzuschlagen und gleichsam mit seiner Vorliebe für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/366>, abgerufen am 24.07.2024.