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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

lager Sävvjärvi, bei dem milden Sonnenschein ohne Pelz und Handschuhe,
aber mit der Kamera bewaffnet, die schon in der Anstedlung als erste Beute
eine lappische Urgroßmutter zur Strecke gebracht hatte. Das "Dorf" bestand
nur aus einem halben Dutzend Zelten und steht nur wintersüber hier, denn
die Bewohner sind noch echte, der alten Lebensweise treugcbliebne Nenntier¬
nomaden, die im Sommer mit den Herden auf den "Fjallen" schweifen und
auch zur kalten Jahreszeit in den luftigen Zelten wohnen, während die nor¬
wegischen Lappen leider zum großen Teil in niedern Erd- und Torfhüttcn
Hausen und sich gern an der Meeresküste herumdrücken, um von den Fremden
Vorteil zu ziehen. Meines Führers Einladung folgend, trat ich in seine
"Kola" ein, um dort aller einem Gaste zukommenden Ehren teilhaftig zu
werden. Die Familie bestand außer dem Alten und seiner etwas hexenartigen
Zeltehre aus dem verheirateten Sohne mit den Seinen; die beiden Kinderchen
sahen in ihrer Fellkleidung an Gestalt jungen Bären nicht unähnlich, hatten
aber wie die jungem Frauen recht frische, rotwangige Gesichter. Bald ver¬
sammelte sich der ganze Hausstand im Zelte, dessen Mitte das immerfort
brennende Feuer einnimmt; darüber hängt der Kochtopf oder Wasserkessel, der
zur Bereitung des nie versiegenden Kaffees dient, während der Boden sauber
mit Birken- und Fichtenreisig bestreut ist; an den Wänden liegen Ballen ge¬
gerbter Felle, die als Sitzpolster und nachts zur Lagerstätte dienen, während
allerlei Geschirr herumsteht, und zierlich aus Holz geschnitzte Kofferchen den
sonstigen Besitz bergen.

Zunächst wurde Kaffee bereitet, mit dem man jeden eintretenden Besuch
bewirtet, und das Getränk würde gar nicht so übel ausgefallen sein, wenn ich
nicht die Frage, ob Milch gefällig sei, gewohnheitsmäßig bejaht hätte.
Hierauf nämlich zog die Wirtin einen getrockneten Magen hervor, worin sich
saure, gefrorne Nenntiermilch befand, und krümelte etwas davon in den Mokka,
der hierdurch, wie alle so bereiteten Speisen, einen den Neuling höchst ab¬
stoßenden Geschmack erhielt; aber was halfs -- ich mußte gute Miene dazu
machen, um keinen Anstoß zu erregen, und schluckte den höllischen Trank hastig
hinunter. Doch es sollte noch schlimmer kommen, denn unterdes hatte Gro߬
mutter eine gefrorne Renntierkeule hereingeschleppt, die zuerst am Feuer etwas
auskauen mußte; darauf schabte sie, ihr großes Messer mit schrecklich schmutzigen
Händen führend, Fleischspäne davon ab, die mit einer Beigabe von "Pellerins
Margarine" und der gefürchteten Sauermilch im eisernen Topfe geschmort
wurden. Nach kurzer Zeit wurde mir der Gulasch gleich im Topfe nebst einem
bemerlten Löffel serviert, bewies aber nur, daß barbarische Zubereitung auch
das köstliche Rennwildbret verderben kann. Wiederum würgte ich einige An-
standsbissen hinunter, um von der Mahlzeit wenigstens den Gewinn zu haben,
daß ich nunmehr ganz jenseits von Lust und Ekel war -- jedenfalls die beste
Abhärtung für weitere Forschungsreisen. Übrigens war die Reinlichkeit aus
dem Völkchen nicht ganz so verbannt, wie man nach dieser Probe glauben


Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

lager Sävvjärvi, bei dem milden Sonnenschein ohne Pelz und Handschuhe,
aber mit der Kamera bewaffnet, die schon in der Anstedlung als erste Beute
eine lappische Urgroßmutter zur Strecke gebracht hatte. Das „Dorf" bestand
nur aus einem halben Dutzend Zelten und steht nur wintersüber hier, denn
die Bewohner sind noch echte, der alten Lebensweise treugcbliebne Nenntier¬
nomaden, die im Sommer mit den Herden auf den „Fjallen" schweifen und
auch zur kalten Jahreszeit in den luftigen Zelten wohnen, während die nor¬
wegischen Lappen leider zum großen Teil in niedern Erd- und Torfhüttcn
Hausen und sich gern an der Meeresküste herumdrücken, um von den Fremden
Vorteil zu ziehen. Meines Führers Einladung folgend, trat ich in seine
„Kola" ein, um dort aller einem Gaste zukommenden Ehren teilhaftig zu
werden. Die Familie bestand außer dem Alten und seiner etwas hexenartigen
Zeltehre aus dem verheirateten Sohne mit den Seinen; die beiden Kinderchen
sahen in ihrer Fellkleidung an Gestalt jungen Bären nicht unähnlich, hatten
aber wie die jungem Frauen recht frische, rotwangige Gesichter. Bald ver¬
sammelte sich der ganze Hausstand im Zelte, dessen Mitte das immerfort
brennende Feuer einnimmt; darüber hängt der Kochtopf oder Wasserkessel, der
zur Bereitung des nie versiegenden Kaffees dient, während der Boden sauber
mit Birken- und Fichtenreisig bestreut ist; an den Wänden liegen Ballen ge¬
gerbter Felle, die als Sitzpolster und nachts zur Lagerstätte dienen, während
allerlei Geschirr herumsteht, und zierlich aus Holz geschnitzte Kofferchen den
sonstigen Besitz bergen.

Zunächst wurde Kaffee bereitet, mit dem man jeden eintretenden Besuch
bewirtet, und das Getränk würde gar nicht so übel ausgefallen sein, wenn ich
nicht die Frage, ob Milch gefällig sei, gewohnheitsmäßig bejaht hätte.
Hierauf nämlich zog die Wirtin einen getrockneten Magen hervor, worin sich
saure, gefrorne Nenntiermilch befand, und krümelte etwas davon in den Mokka,
der hierdurch, wie alle so bereiteten Speisen, einen den Neuling höchst ab¬
stoßenden Geschmack erhielt; aber was halfs — ich mußte gute Miene dazu
machen, um keinen Anstoß zu erregen, und schluckte den höllischen Trank hastig
hinunter. Doch es sollte noch schlimmer kommen, denn unterdes hatte Gro߬
mutter eine gefrorne Renntierkeule hereingeschleppt, die zuerst am Feuer etwas
auskauen mußte; darauf schabte sie, ihr großes Messer mit schrecklich schmutzigen
Händen führend, Fleischspäne davon ab, die mit einer Beigabe von „Pellerins
Margarine" und der gefürchteten Sauermilch im eisernen Topfe geschmort
wurden. Nach kurzer Zeit wurde mir der Gulasch gleich im Topfe nebst einem
bemerlten Löffel serviert, bewies aber nur, daß barbarische Zubereitung auch
das köstliche Rennwildbret verderben kann. Wiederum würgte ich einige An-
standsbissen hinunter, um von der Mahlzeit wenigstens den Gewinn zu haben,
daß ich nunmehr ganz jenseits von Lust und Ekel war — jedenfalls die beste
Abhärtung für weitere Forschungsreisen. Übrigens war die Reinlichkeit aus
dem Völkchen nicht ganz so verbannt, wie man nach dieser Probe glauben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/36>, abgerufen am 24.07.2024.