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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Wie Bismarck Schutzzöllner würde

durch Aufhebung der für Eisen am 1. Januar 1877 in Kraft getretner Zoll¬
befreiungen vorbereiten.

10. April 1878. Auf einen langen Vortrag des Geheimen Regierungs-
rath von Tiedemann erklärt er sich endlich mit der Veranstaltung einer Enquete
über die Lage der Eisenindustrie einverstanden, vorausgesetzt, daß noch dem
damaligen Reichstage eine Vorlage im schutzzölluerischen Sinne gemacht werden
könne. "Wir müssen den Schutzzöllnern einen Schnaps geben; sie sind unsre
sichersten Verbündeten bei der Steuerreform." An demselben Tage läßt Bis¬
marck durch die Provinzialkorrespondenz über die bisherige Handelspolitik den
Stab brechen.

28. Mai 1878. Der Vorstand der Reichskanzlei von Tiedemann über¬
sendet dem Staatsminister Hofmann eine Eingabe der Sohllederfabrikanten
über die Erhöhung des Zolls für Sohlleder von 6 aus 36 Mark mit dem
Bemerken, daß Bismarck prima vistg. mit der Tendenz der Eingabe einverstanden
sei. Bald nach der Eröffnung des neugewählten Reichstags (Auflösung des
alten ans Anlaß des Nobiliugschen Attentats) findet er am 17. Oktober 1878
in dessen Mitte eine schutzzöllnerische Mehrheit vor (freie volkswirtschaftliche
Vereinigung des Reichstags, 204 Unterschriften).

Von nun ab geht er entschlossen ans sein Ziel los. Am 25. Oktober 1878
verkündigt er dem Reichstagsabgeordneten Freiherrn von Varnbüler die Absicht,
eine umfassende Revision des Zolltarifs herbeizuführen; drei Tage später über¬
sendet er aus Friedrichsruh mit vertraulichem Erlasse den preußischen Gesandt¬
schaften bei den deutschen Höfen die Abschrift eines vorbereitenden Antrags auf
Einsetzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs, dessen Einbringung
in den Bundesrat er bei dem preußischen Staatsministerium angeregt hatte.
Er verlangt Schutzzölle auf alle Gegenstände, die die Grenze vom Ausland
überschreiten. (Dieser Grundgedanke, das erste zollpolitische Detailprogramm
des Kanzlers, ist von der nachmaligen Zolltarifkommission nicht in seiner ganzen
Strenge durchgeführt worden.)

12. November 1878. Bismarck unterbreitet dem Bundesrat den vorhin
erwähnten Antrag auf Einsetzung der Zolltarifkommission.

Dezember 1878. Bismarck designiert drei ausgesprochne Schutzzöllner,
den frühern württembergischen Staatsminister Freiherrn von Varnbüler, den
Geheimen Rat von Tiedemann und den Regierungsrat Burchard, zu Mitgliedern
und ernennt den ersten zum Vorsitzenden der Zolltarifkommission.

15. Dezember 1878. Bismarck richtet an den Bundesrat ein Schreiben,
worin er ein Zollsystem empfiehlt, das innerhalb der durch das finanzielle
Interesse gezognen Schranken der gesamten inländischen Produktion einen Vorzug
gegenüber der ausländischen auf dem einheimischen Markt gewährt.

19. Dezember 1878. Dem Vorstande der deutschen Lederindustriellen
erklärt er, daß die deutsche Industrie auf dem deutschen Markte das erste und


Wie Bismarck Schutzzöllner würde

durch Aufhebung der für Eisen am 1. Januar 1877 in Kraft getretner Zoll¬
befreiungen vorbereiten.

10. April 1878. Auf einen langen Vortrag des Geheimen Regierungs-
rath von Tiedemann erklärt er sich endlich mit der Veranstaltung einer Enquete
über die Lage der Eisenindustrie einverstanden, vorausgesetzt, daß noch dem
damaligen Reichstage eine Vorlage im schutzzölluerischen Sinne gemacht werden
könne. „Wir müssen den Schutzzöllnern einen Schnaps geben; sie sind unsre
sichersten Verbündeten bei der Steuerreform." An demselben Tage läßt Bis¬
marck durch die Provinzialkorrespondenz über die bisherige Handelspolitik den
Stab brechen.

28. Mai 1878. Der Vorstand der Reichskanzlei von Tiedemann über¬
sendet dem Staatsminister Hofmann eine Eingabe der Sohllederfabrikanten
über die Erhöhung des Zolls für Sohlleder von 6 aus 36 Mark mit dem
Bemerken, daß Bismarck prima vistg. mit der Tendenz der Eingabe einverstanden
sei. Bald nach der Eröffnung des neugewählten Reichstags (Auflösung des
alten ans Anlaß des Nobiliugschen Attentats) findet er am 17. Oktober 1878
in dessen Mitte eine schutzzöllnerische Mehrheit vor (freie volkswirtschaftliche
Vereinigung des Reichstags, 204 Unterschriften).

Von nun ab geht er entschlossen ans sein Ziel los. Am 25. Oktober 1878
verkündigt er dem Reichstagsabgeordneten Freiherrn von Varnbüler die Absicht,
eine umfassende Revision des Zolltarifs herbeizuführen; drei Tage später über¬
sendet er aus Friedrichsruh mit vertraulichem Erlasse den preußischen Gesandt¬
schaften bei den deutschen Höfen die Abschrift eines vorbereitenden Antrags auf
Einsetzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs, dessen Einbringung
in den Bundesrat er bei dem preußischen Staatsministerium angeregt hatte.
Er verlangt Schutzzölle auf alle Gegenstände, die die Grenze vom Ausland
überschreiten. (Dieser Grundgedanke, das erste zollpolitische Detailprogramm
des Kanzlers, ist von der nachmaligen Zolltarifkommission nicht in seiner ganzen
Strenge durchgeführt worden.)

12. November 1878. Bismarck unterbreitet dem Bundesrat den vorhin
erwähnten Antrag auf Einsetzung der Zolltarifkommission.

Dezember 1878. Bismarck designiert drei ausgesprochne Schutzzöllner,
den frühern württembergischen Staatsminister Freiherrn von Varnbüler, den
Geheimen Rat von Tiedemann und den Regierungsrat Burchard, zu Mitgliedern
und ernennt den ersten zum Vorsitzenden der Zolltarifkommission.

15. Dezember 1878. Bismarck richtet an den Bundesrat ein Schreiben,
worin er ein Zollsystem empfiehlt, das innerhalb der durch das finanzielle
Interesse gezognen Schranken der gesamten inländischen Produktion einen Vorzug
gegenüber der ausländischen auf dem einheimischen Markt gewährt.

19. Dezember 1878. Dem Vorstande der deutschen Lederindustriellen
erklärt er, daß die deutsche Industrie auf dem deutschen Markte das erste und


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[0352] Wie Bismarck Schutzzöllner würde durch Aufhebung der für Eisen am 1. Januar 1877 in Kraft getretner Zoll¬ befreiungen vorbereiten. 10. April 1878. Auf einen langen Vortrag des Geheimen Regierungs- rath von Tiedemann erklärt er sich endlich mit der Veranstaltung einer Enquete über die Lage der Eisenindustrie einverstanden, vorausgesetzt, daß noch dem damaligen Reichstage eine Vorlage im schutzzölluerischen Sinne gemacht werden könne. „Wir müssen den Schutzzöllnern einen Schnaps geben; sie sind unsre sichersten Verbündeten bei der Steuerreform." An demselben Tage läßt Bis¬ marck durch die Provinzialkorrespondenz über die bisherige Handelspolitik den Stab brechen. 28. Mai 1878. Der Vorstand der Reichskanzlei von Tiedemann über¬ sendet dem Staatsminister Hofmann eine Eingabe der Sohllederfabrikanten über die Erhöhung des Zolls für Sohlleder von 6 aus 36 Mark mit dem Bemerken, daß Bismarck prima vistg. mit der Tendenz der Eingabe einverstanden sei. Bald nach der Eröffnung des neugewählten Reichstags (Auflösung des alten ans Anlaß des Nobiliugschen Attentats) findet er am 17. Oktober 1878 in dessen Mitte eine schutzzöllnerische Mehrheit vor (freie volkswirtschaftliche Vereinigung des Reichstags, 204 Unterschriften). Von nun ab geht er entschlossen ans sein Ziel los. Am 25. Oktober 1878 verkündigt er dem Reichstagsabgeordneten Freiherrn von Varnbüler die Absicht, eine umfassende Revision des Zolltarifs herbeizuführen; drei Tage später über¬ sendet er aus Friedrichsruh mit vertraulichem Erlasse den preußischen Gesandt¬ schaften bei den deutschen Höfen die Abschrift eines vorbereitenden Antrags auf Einsetzung einer Kommission zur Revision des Zolltarifs, dessen Einbringung in den Bundesrat er bei dem preußischen Staatsministerium angeregt hatte. Er verlangt Schutzzölle auf alle Gegenstände, die die Grenze vom Ausland überschreiten. (Dieser Grundgedanke, das erste zollpolitische Detailprogramm des Kanzlers, ist von der nachmaligen Zolltarifkommission nicht in seiner ganzen Strenge durchgeführt worden.) 12. November 1878. Bismarck unterbreitet dem Bundesrat den vorhin erwähnten Antrag auf Einsetzung der Zolltarifkommission. Dezember 1878. Bismarck designiert drei ausgesprochne Schutzzöllner, den frühern württembergischen Staatsminister Freiherrn von Varnbüler, den Geheimen Rat von Tiedemann und den Regierungsrat Burchard, zu Mitgliedern und ernennt den ersten zum Vorsitzenden der Zolltarifkommission. 15. Dezember 1878. Bismarck richtet an den Bundesrat ein Schreiben, worin er ein Zollsystem empfiehlt, das innerhalb der durch das finanzielle Interesse gezognen Schranken der gesamten inländischen Produktion einen Vorzug gegenüber der ausländischen auf dem einheimischen Markt gewährt. 19. Dezember 1878. Dem Vorstande der deutschen Lederindustriellen erklärt er, daß die deutsche Industrie auf dem deutschen Markte das erste und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/352>, abgerufen am 24.07.2024.